Neu-Ulmer Zeitung

Wer bekommt die VW Milliarde?

Der Autobauer kassiert die nächste Rechnung für seine Diesel-Manipulati­onen. Warum der Skandal trotzdem nicht ausgestand­en ist und was mit dem Geld passiert

- VON MICHAEL STIFTER

Zieht sich Volkswagen mit seiner Milliarden­zahlung endgültig aus der Diesel-Affäre? Fakt ist: Nie zuvor musste ein deutsches Unternehme­n ein derart hohes Bußgeld hinlegen. Für den renommiert­en Rechtswiss­enschaftle­r Prof. Ulrich Battis ist trotzdem klar: Der Skandal um manipulier­te Fahrzeuge ist noch lange nicht ausgestand­en. Battis hält die Strafe für ein gutes Signal. „Es muss richtig schmerzen, wenn man sich freikauft“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung und erteilt Verschwöru­ngstheorie­n eine Absage: „Dass das Verfahren gegen eine Geldbuße eingestell­t wurde, hat übrigens nichts mit Wildwest oder Willkür zu tun, sondern bewegt sich im Rahmen der Strafproze­ssordnung.“Nur was passiert denn nun mit der VW-Milliarde?

„Da es sich nicht um eine Geldauflag­e, sondern um ein Bußgeld handelt, fließt es direkt in die Staatskass­e“, sagt der Braunschwe­iger Oberstaats­anwalt Klaus Ziehe auf Nachfrage. Bedeutet: Das Land Niedersach­sen kann nun selbst ent- scheiden, was es mit dem Geldregen aus Wolfsburg anfängt. Begehrlich­keiten gibt es genug. Der Steuerzahl­erbund fordert, Schulden abzubauen. Die Richter wollen mehr Jobs in der Justiz. Und es gibt sogar Leute, die sagen, das Geld müsste in den Länderfina­nzausgleic­h eingespeis­t werden. Das dementiert die Landesregi­erung allerdings sicherheit­shalber am Rande: Das Land ist selbst an VW beteiligt und damit indirekt auch Geschädigt­er der Konzernkri­se. Nun „profitiert“Niedersach­sen allerdings mal vom Diesel-Skandal.

Volkswagen hat sechs Wochen Zeit, um die Milliarde zu überweisen. Die Braunschwe­iger Staatsanwa­ltschaft ist überzeugt davon, dass die Strafe selbst einen solchen Riesenkonz­ern hart trifft: „Tausend Millionen Euro für eine Ordnungswi­drigkeit ist schon eine Ansage, und ich gehe davon aus, dass das natürlich schmerzhaf­t ist“, sagt Ziehe. „Wenn wir das Gefühl gehabt hätten, das führt zum allgemeine­n Lacher und einer Überweisun­g aus der Portokasse, hätten wir einen anderen Betrag ermittelt“, fügt er hinzu. An der Börse sieht man das offenbar ein bisschen anders. Die Anleger scheinen eher erleichter­t zu sein. Zum einen, dass die Sache endlich vom Tisch ist. Zum anderen, dass die Summe den Autobauer nicht wirklich in Not bringt. Im vergangene­n Jahr hat VW schließlic­h unter dem Strich mehr als 11 Milliarden Euro verdient. Die Aktie legt am Tag danach jedenfalls sogar zu.

In Amerika hat es den Autobauer jedenfalls deutlich härter getroffen als in Deutschlan­d. Dort musste der Konzern bislang 25 Milliarden Euro für Entschädig­ungen, Strafen und Anwaltskos­ten hinblätter­n. Vor allem die Sammelklag­en von geprellten US-Kunden wurden teuer. Diese Möglichkei­t gibt es in Deutschlan­d bislang nicht. Doch auch hier sollen Verbrauche­r künftig gemeinsam vor Gericht ziehen können.

Die Diesel-Affäre wird VW auch juristisch noch lange verfolgen. Mindestens 19000 Kunden haben den Autobauer verklagt, weil sie sich betrogen fühlen. Sie fordern Schadeners­atz oder wollen ihren Problem-Diesel zurückgebe­n. Sie hoffen auf Rückenwind durch das Braunschwe­iger Bußgeld. Dass Volkswagen die Strafe akzeptiert hat, heißt aber nicht, dass andere Kläger automatisc­h recht bekommen. VW selbst argumentie­rt sogar genau anders herum. Vorstandsc­hef Herbert Diess verspricht sich von der Zahlung jedenfalls „erhebliche positive Auswirkung­en“auf andere Verfahren, die sein Unternehme­n noch am Hals hat.

Um die 450 Beschäftig­te der Wanzl-Werke in Leipheim (Landkreis Günzburg) und Kirchheim (Landkreis Unterallgä­u) sind am frühen Donnerstag­nachmittag für eine Stunde vor das Tor von Werk 4 in Leipheim getreten – nach dem Dezember 2017 zum zweiten Mal. In diesem Werk sitzt auch die Geschäftsf­ührung des weltgrößte­n Hersteller­s von Einkaufswa­gen. An sie waren die Vorwürfe der IG Metall, die diese „aktive Mittagspau­se“organisier­t hatte, gerichtet: Die Unternehme­nsführung nehme die Belegschaf­t nicht ernst und ignoriere konsequent deren Forderung nach einem Tarifvertr­ag.

Die Firma ist nicht tarifgebun­den, hat sich in der Vergangenh­eit aber an die erzielten Abschlüsse der Tarifpartn­er angelehnt. Die letzten beiden Lohnerhöhu­ngen 2016 und 2018 (insgesamt ein Plus von 6,3 Prozent) seien allerdings nicht an die Mitarbeite­r weitergege­ben worden. Damit fehlen nach Berechnung­en der Gewerkscha­ft einem Facharbeit­er brutto 185 Euro im Geldbeutel – und das jeden Monat.

Die Geschäftsf­ührung steht einem „Tarifvertr­ag mit allen Inhalten der Fläche“skeptisch gegenüber. Er nehme der Firma die „Flexibilit­ät, den Anforderun­gen gerecht zu werden, die in unserer Branche gestellt werden“, sagt Klaus Meier-Kortwig, Vorsitzend­er der Wanzl-Geschäftsf­ührung. Der aktuelle Tarifabsch­luss in der Metallund Elektroind­ustrie ist nach der Aussage des Managers „mit unserer Wertschöpf­ungskette nicht umsetzbar“. Dennoch will die Geschäftsl­eitung ab Anfang Juli mit der IG Metall in Dialog treten.

Günter Frey, erster Bevollmäch­tigter der IG Metall Neu-Ulm/ Günzburg, plädierte vor den mit Trillerpfe­ifen demonstrie­renden Arbeitnehm­ern für eine möglichst große Geschlosse­nheit in der Belegschaf­t. Das sei das wirksamste Argument der Gewerkscha­ft.

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Foto: Imago Volkswagen hat sechs Wochen Zeit, die Milliarde an das Land Niedersach­sen zu überweisen.

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