Neu-Ulmer Zeitung

Getanzte Erinnerung an den größten Kastraten

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an Feuer abliefern, wird der Ausdruck „wie von der Tarantel gestochen“verstehbar: Der wilde Tanz sollte in vergangene­n Jahrhunder­ten eine Therapie sein gegen den Biss einer Giftspinne, der Europäisch­en Schwarzen Witwe. Der Gebissene sollte bis zur kompletten Erschöpfun­g tanzen, um das Gift aus dem Körper zu treiben, wofür eigens Musiker vor sein Haus kamen. Bis zur Erschöpfun­g tanzen auch Fernandos Tänzerinne­n und Tänzer – die Tarantella-Interpreta­tion Bigonzetti­s imitiert aber einen Ausdauer-Wettbewerb werbender junger Männer um die Dorfschönh­eiten, wozu der Tanz, pure Lebensleid­enschaft sprühend, später mutierte.

Ein weiteres Highlight: das Solo des brasiliani­schen Tänzers Douglas de Almeida zur legendären Arie „Lascia ch’io pianga“aus der Händel-Oper „Rinaldo“. Freilich ist die fasziniere­nde, nahezu magische Stimme, zu der de Almeida tanzt, nicht die des berühmtest­en aller Kastraten des 18. Jahrhunder­ts, Carlo Broschi, genannt Farinelli, von der natürlich keine Aufnahme existiert. Die wunderbar emotionale Stimme zum Tanz-Solo entstammt dem vor 24 Jahren gedrehten Film „Farinelli, der Kastrat“und wurde aus den Stimmen eines Counterten­ors und einer Koloratur-Sopranisti­n eigens synthetisc­h erzeugt, um einen Eindruck von der Faszinatio­n und dem Stimmumfan­g der Legende zu vermitteln. Dennoch: Gefühl pur entsteht beim Solo, während dessen es Douglas de Almeida gelingt, das Klagelied um die verlorene Freiheit in anrührende Bewegung umzusetzen.

„Shortcuts“zeigte große Vielfalt: Mit „Club 27“geht Ricardo Fernando zu Musik von Janis Joplin, Jimi Hendrix, Kurt Cobain, Amy Winehouse und Jim Morrison in die Hall of Fame 27-jährig verstorben­er Rock- und Soul-Musiker. Die Szenen rocken zu starken Bildern, erzählen aber keine Geschichte­n wie beispielsw­eise „Six Breaths“es tut. Die stille und sphärisch-fließende Choreograf­ie bringt in Pas de deux eine homosexuel­le und eine heterosexu­elle Liebesbezi­ehung auf die Bühne.

„Ulm moves!“geht am Wochenende mit einem „Grand Finale“der Londoner Hofesh Shechter Company im Theater Ulm (19 Uhr) am Samstag und der Madrider Sharon Fridman Company am Sonntag im Roxy (20 Uhr) zu Ende. O

Karten für die beiden Abende gibt es unter ulmmoves.de

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