Droht Özil die Bank?
Vor dem ersten Auftritt des Weltmeisters am Sonntag gegen Mexiko hat der 29-Jährige seinen Status als Stammspieler verloren. Das hat nichts mit Erdogan zu tun
Nein, Mesut Özil hat auch am Freitag nicht gesprochen. Zumindest nicht zu den Medienvertretern. Er macht das auch sonst äußerst ungern, seitdem er sich aber zusammen mit Recep Tayyip Erdogan fotografieren lässt, ist er in der Öffentlichkeit vollkommen verstummt. Das wird sich in den kommenden Wochen auch kaum ändern. „Ich habe den Spielern geraten, sich dazu nicht zu äußern, sondern den Fokus auf das Spiel zu legen. Nach der WM ist auch noch Zeit. Jetzt aber ist nicht der Zeitpunkt, das aufzuarbeiten“, sagte Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff. Verbandspräsident Reinhard Grindel immerhin hofft, dass sich Özil anderweitig äußert – über seine fußballerischen Fähigkeiten. „Jetzt sollte sich jeder für Deutschland einsetzen, mit allem, was er hat. Wenn nicht in Interviews, dann auf dem Platz.“
Das aber ist eine der offenen Fragen vor dem ersten Auftritt der deutschen Mannschaft an diesem Sonntag gegen Mexiko (17 Uhr, ZDF). Dem Regisseur des Teams nämlich ein Platz auf der Bank drohen. Bisher vertraute Bundestrainer Joachim Löw seinem fußballerischen Feingeist immer das Spiel der Mannschaft an. Hoffte auf seine Kreativität und Ballsicherheit. Den Status des absoluten Stammspielers aber hat Özil vorerst verloren.
Das hat allerdings nichts mit dem Erdogan-Bild zu tun. Am Ende der Saison plagten den Mittelfeldspieler des FC Arsenal hartnäckige Rückenprobleme, im Trainingslager in Eppan folgte eine Knieprellung, wegen der er auch das Testspiel gegen Saudi-Arabien verpasste. In seiner Abwesenheit spielte sich Marco Reus in den Vordergrund. Der Dortmunder war einer der wenigen Gewinner des misslungenen Spiels gegen die Araber. Wenn die Deutschen sich mal stilvoll vor dem gegnerischen Tor annäherten, hatte Reus daran gewiss seinen Anteil.
Selbstverständlich könnte der 29-Jährige auch über den linken Flügel das Spiel antreiben und so Platz für Özil schaffen. Dann allerdings bliebe für Julian Draxler nur ein Platz auf der Bank. Löw aber hat eine Vorliebe für den leichtfüßig agierenden Pariser. Letztlich sind es Luxusprobleme derart, die sich jeder Trainer wünscht. Und Diskussionen, die der deutschen Mannschaft lieber sind als jene, die sich um Fotos mit türkischen Präsidenten drehen. „Wir freuen uns, dass jetzt bald der Ball rollt“, so Bierhoff.
Die von Misstönen begleitete Vorbereitung soll in einem gelungekönnte nen Turnierstart münden. Bierhoff ist optimistisch, dass das gelingt. Schließlich hätten vor allem „die erfahrenen Spieler die Zügel angezogen“. Man habe zwar zwei Tage gebraucht, um sich zurechtzufinden, nun aber hätten sich auch die Abläufe im Mannschaftsquartier in Watutinki eingespielt. Kritik an der Abgeschiedenheit und dem Sportschulcharakter des Hotels wollte er noch nicht gelten lassen. Schon die Herbergswahlen in Südafrika und Brasilien seien anfangs eher missliebig zur Kenntnis genommen worden.
Am Ende aber stellten sich die Unterkünfte als gewinnbringend für die Mannschaft heraus. In welchem Kontext der Gebäude- und Parkkomplex außerhalb Moskaus am Ende gesehen wird, hängt wahrscheinlich auch an der Verfassung Özils. Findet er zu alter Form, stehen die Chancen Deutschlands gut. Für ihn allerdings könnte das auch einen Nachteil haben. Wird er nämlich nach dem Spiel von einer amerikanischen Brauerei – die natürlich Sponsor der Fifa ist – zum Spieler der Partie erkoren, muss er auch zur Pressekonferenz erscheinen. Und reden. nie für sie, letztmalig das Achtelfinale überstanden sie 1986. Bei der Heim-WM scheiterten sie schließlich an Deutschland. Also beschallen sie nun vorsichtshalber tagein, tagaus Innenstädte und Hotelflure mit Gitarren und Gesang. Wer sich einer frühen Heimreise gewiss ist, braucht nicht mit seinen Kräften hauszuhalten.
Doch durchgängiges Feiern kann nicht über großen Nationalstolz hinwegtäuschen. Das eigene Land ist freilich das großartigste der Welt. Schließlich entspringt man auf direkter Linie den Azteken und verbreitete schon Furcht und Schrecken in Nord- und Mittelamerika als sich Europäer noch lieber auf ihrem Kontinent im Bärenfell vergnügten.
Dann aber: Kolonialisierung. Die Spanier fanden Gefallen an den großen Gold- und Silbervorkommen im Land. Es folgten der Kampf um die Unabhängigkeit, Kriege mit Frankreich und Amerika – und großer Nationalstolz. Die für Drogenbarone lukrative Transitstrecke zwischen Kolumbien und den USA belastet die Beziehungen zwischen Mexiko und dem nördlichen Nachbarn bis heute. Zudem gilt vielen Mexikanern die USA als besserer Lebensmittelpunkt, weshalb sie ihren Wohnsitz illegal jenseits der Grenze verlegen.
Der Entspannung gewiss nicht zuträglich war die Ankündigung Donald Trumps, eine Mauer zwischen den beiden Ländern zu errichten und den Nachbarn dafür auch noch zahlen zu lassen. Dass die Mexikaner aber nicht allzu nachtragend sind, zeigten sie mit ihrer Teilnahme an einer gemeinsamen Bewerbung mit den USA und Kanada um die Weltmeisterschaft 2026. Als erstes Land überhaupt wird dann Mexiko mit seinen 125 Millionen Einwohnern bereits zum dritten Mal das Turnier ausrichten.