Unser Gehirn kann Schmerz nicht einfach vergessen
diesem Zusammenhang von einem „Schmerzgedächtnis“. Im Gehirn werden bestimmte Erfahrungen mit Schmerzen assoziiert. Obwohl der ursprüngliche Auslöser dafür weggefallen ist, sind diese vollkommen real. „Das menschliche Gehirn hat keine ,Löschtaste‘ für Erinnerungen, die es gerne loshaben will“, sagt Zieglgänsberger.
Doch es gibt auch andere Auslöser für andauernde Pein: Krankheiten, die dauerhaften Schmerz verursachen. Kurt G. ist ein Beispiel dafür. Der 50-Jährige leidet an Fibromyalgie, Weichteilrheuma. Einer Krankheit, die an verschiedenen Muskeln des Körpers dauerhaft heftige Schmerzen verursacht. Eine Heilung gibt es nicht. In Augsburg versucht er, durch eine Therapie seine Situation zu verbessern. Das Klinikum Augsburg bietet eine sogenannte multimodale Schmerztherapie an, eine interdisziplinäre Behandlung im teilstationären Rahmen. Therapeuten der Fachbereiche Psychotherapie, Physiotherapie, Konzentrative Bewegungstherapie und Ärzte für Spezielle Schmerztherapie arbeiten dabei eng zusammen, um den Schmerz der Patienten zu lindern. Diese strukturierte Form der Therapie ist in Deutschland einheitlich, viele große Kliniken haben sie inzwischen im Angebot.
Maria Steiner behandelt in Augsburg Schmerzpatienten in der Konzentrativen Bewegungstherapie. „Das ist eine Form der Psychotherapie, bei der der Fokus auf dem Zusammenspiel zwischen Körper und Seele liegt“, sagte sie. Denn der Schmerz beeinflusst die Stimmung der Kranken. Manche werden ängstlich und ziehen sich zurück, andere reagieren gereizt oder aggressiv. Solche psychischen Belastungen können Schmerzen wiederum verstärken. Daher ist auch psychologische Betreuung ein Teil der Behandlung. In Augsburg arbeitet Bernhard Liebl mit einer verhaltenstherapeutisch orientierten Schmerztherapie. Die Patienten sollen wieder einen Teil ihrer verlorenen Lebensqualität zurückgewinnen. „Es ist wichtig, den Menschen zu zeigen, dass es in ihrem Leben noch mehr als nur den Schmerz gibt“, sagt er. Schmerzpatient Kurt G. hat zeitweise den Blick für alles andere verloren. Er stand vor dem „schwarzen Loch“, wie er es sagt. Ohne Arbeit und Hobby, kaum fähig, sich zu bewegen, litt seine Psyche. Dem Psychologen zufolge passiere es oft, dass sich Schmerzpatienten sozial zurückziehen. Dadurch geraten sie in einen Teufelskreis, denn soziale Isolation kann den Schmerz sogar verstärken.
Der Psychologe hat in vielen Gesprächen mit seinen Patienten festgestellt, dass die Entstehung der Schmerzproblematik oft mit psychisch belastenden Situationen zusammenhängt. „Nicht nur die körperlichen, sondern auch die psychischen und sozialen Faktoren spielen beim chronischen Schmerz eine große Rolle.“Daher sei es wichtig, auch diese Bereiche in der Therapie zu bearbeiten. Eine stationäre Behandlung hat den Vorteil, dass der Patient aus den Problemen des Alltags herausgenommen wird. „Allerdings ist es nach der Therapie umso wichtiger, dass der Patient nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückfällt, sondern die neu erlernten Strategien im Umgang mit dem Schmerz stabilisiert“, sagt Liebl.
In der multimodalen Schmerztherapie gehören auch Schmerzmittel zur Behandlung. Dem Münchner Forscher Zieglgänsberger zufolge begehen manche Ärzte allerdings den Fehler, ausschließlich auf diese Medikamente zu setzen. Das könne fatale Folgen haben: Wenn der Patient täglich vom Arzt ein Schmerzmittel bekommt, geht es ihm einige Stunden lang besser. Aber irgendwann kommen die Schmerzen zurück – der Patient gewinnt den Eindruck, dass ihm die Medikamente immer weniger helfen. Am nächsten Tag hat er das gleiche Erlebnis – und durch seine Erfahrung wirkt das Schmerzmittel vielleicht schon etwas kürzer. „Irgendwann geht er davon aus, dass die Medikamente bei ihm gar nicht mehr wirken“, sagt Zieglgänsberger. Daher sei die therapeutische Begleitung entscheidend: Sie ermöglicht dem Patienten, seine negativen Erfahrungen durch positive zu „überschreiben“. Auch der derzeit umstrittene medizinische Gebrauch von Cannabis kommt für den Arzt dafür infrage: „Es ist nicht besonders stark schmerzlindernd, sondern wirkt der Angst entgegen und sorgt für eine positive Gestimmtheit.“Allerdings müsse die Therapie von einem entsprechend geschulten Personal begleitet werden.
Die multimodale Schmerztherapie kann Erfolge vorweisen – inzwischen ist das klinisch belegt. In Augsburg kann Kurt G. zwar nicht behaupten, dass seine Schmerzen leichter geworden sind, psychisch gehe es ihm aber besser. Vollen Erfolg hat die Behandlung bei Sabine Z. gezeigt. Die 45-Jährige ist seit April in der Therapie, seit zwei Wochen ist sie nun weitgehend symptomfrei. Schmerzen kannte sie davor lange. Vor acht Jahren hatte sie einen Bandscheibenvorfall. Im Lauf der Jahre besserten sich die Symptome nur langsam, Anfang 2018 erkrankte sie allerdings an Brustkrebs. Während der Behandlung bekam sie zunehmend Schmerzen im Beckenbereich, die nicht mehr aufhören wollten. „Wenn man in der Situation ist, kreisen die Gedanken nur noch um die Schmerzen. Da geht dann ein richtiges Gedankenkarussell los“, sagte sie. Die Therapie im Klinikum Augsburg habe ihr geholfen, wieder einen Weg hinaus zu finden. Inzwischen kann sie wieder Dinge tun, die ihr Spaß machen – noch im Sommer will sie sich wieder an ihre erste längere Wanderung wagen. Ihr Hobby rückt für sie wieder in greifbare Nähe.
Damit geht Sabine Z. den Weg, den Zieglgänsberger als optimale Behandlung sieht. Denn ihr Schmerzgedächtnis wird von positiven Erfahrungen überlagert. Sie hat gemerkt, dass eine Therapie bei ihr