Im Netz des Verbrechens
In Ulm diskutieren Experten über Cyberkriminalität. Eine Frau aus der Donaustadt kämpft in Brüssel für neue Regeln. Denn Ermittler sind oft hilflos gegen Gefahren aus dem digitalen Raum
Ein Virus habe den Computer befallen, behauptet der Service-Mitarbeiter von Microsoft am Telefon. Er spricht auf Englisch mit indischem Akzent. Das sei allerdings nicht weiter tragisch. Er könne das Problem beheben, sofern der Kunde ihm kurz aus der Ferne Zugang zum Computer gewähre. Ein persönlicher Besuch sei nicht nötig. Hat der besorgte PC-Besitzer dem Mann am Telefon den Zugriff ermöglicht, entpuppt dieser sich als Betrüger, schnüffelt Kontodaten und Passwörter aus und überweist sich Geld auf ein ausländisches Konto. Ein Fall, in dem die Polizei NeuUlm ermittelt hat. Ein typischer Fall von Cyberkriminalität – der digitalen Form des Verbrechens. Regelmäßig ermittelt die Polizei in Ulm und Neu-Ulm aus solchen Gründen.
Im digitalen Raum überfällt niemand einen Geldtransporter, es werden keine Geiseln genommen. Hier begehen die Täter Datendiebstahl, verschicken schadhafte Programme – und ergaunern reales Geld. Die Justiz kämpft auf einem ihr bisher unbekannten Feld und konnte noch keine Waffengleichheit herstellen. Juristen haben in der Vergangenheit mit Normen gearbeitet, die auf körperliches Handeln ausgerichtet sind. Im Cyberspace stehen sie hilflos da. Claudia Warken, Sachverständige der Generaldirektion „Migration und Inneres“der EU-Kommission glaubt: „Es ist noch nicht angekommen, dass man mit Daten anders umgehen muss als mit greifbaren Dingen.“
Die ehemalige Richterin aus Ulm ist zu Gast beim Europe-Direct-Informationszentrum Ulm und spricht über „Cyberkriminalität in Europa und im Raum Ulm – Aktuelle Lage und Ausblick“. Sie zeichnet ein düsteres Bild des laufenden Kampfs gegen das Verbrechen im Netz. Die Strafverfolgungsbehörden kommen nur schwer und vor allem viel zu langsam an Daten, die auf irgendwelchen Servern in einem Ozean aus Informationen schwimmen. Im Moment brauche es im Schnitt 13 Monate, um an die Daten zu kommen, die Facebook und Co. horten, beschreibt die Juristin. In der gleichen Zeit werden die meisten Verfahren längst eingestellt. 60 000 Anfragen an die sechs größten Online-Firmen stellten deutsche Ermittler in der Vergangenheit. Nur die Hälfte wurden beantwortet.
Michael Bischofberger von der Staatsanwaltschaft Ulm äußert sich ähnlich unzufrieden. „Wir wollen keine gläsernen Bürger, aber für schwerwiegende Delikte benötigen wir Mittel, um die Ermittlung möglich zu machen.“Es gebe heute kaum ein Verbrechen, bei dem durch das Auslesen von Providerdaten und Handyspeicher die Strafverfolgung nicht schneller zum Erfolg führe.
Das bestätigt Kriminaloberkommissar Martin Wittek, stellvertretender Leiter der Abteilung Cybercrime der Neu-Ulmer Kriminalpolizei – und relativiert zugleich: „Es gibt Licht und Schatten.“Geht es zum Beispiel um Leib und Leben, seien die großen Firmen wie Google und Facebook durchaus sehr zügig beim Übermitteln der Daten: „Bei akuter Lebensgefahr funktioniert das oft noch in derselben Stunde.“Ansonsten könnten schon mal Wochen und Monate vergehen. Im Jahr 2017 hat das Kommissariat 350 Fälle bearbeitet. Meist handelte es sich dabei um Hackerangriffe – wie der des vermeintlichen Microsoft-Mitarbeiters. Regelmäßig ermitteln Wittek und seine Kollegen auch, wenn Täter ganze EDV-Anlagen von Firmen sabotierten.
Die Täter sitzen häufig im Ausland. Deswegen müssen die Behörden erst beim jeweiligen Staat um Hilfe bei der Strafverfolgung bitten. Es kann lange dauern, bis so ein Antrag geprüft und genehmigt ist, sagen Polizei und Justiz. Es sei eher die Diplomatie als die Provider, die Ermittler an der kurzen Leine hält.
Daran möchte Juristin Claudia Warken etwas ändern. Sie wirbt für die geplante E-Evidence-Richtlinie der EU, an der sie selbst in Brüssel mitarbeitet. Durch diese soll der grenzüberschreitende Zugriff auf digitale Beweismittel möglich werden, ohne dass zuerst der langwierige Rechtshilfeantrag abgewartet werden muss. Dann kämen die Ermittler direkt an die relevanten Server heran und müssten nicht den Umweg über die jeweiligen Länderbehörden gehen. Mit einem Bild aus dem Alltag gesprochen bedeutet das: Ein Junge, der seinen Fußball in den Nachbargarten geschossen hat, klettert über den Zaun und schnappt sich den Ball, statt erst zu klingeln und auf Antwort zu warten, ob er das Grundstück betreten darf. Datenschützer sehen darin allerdings einen schweren Eingriff in die Privatsphäre. Beamte der Bundespolizei haben am Sonntagvormittag gegen 10.30 Uhr einen 40-jährigen Deutschen festgenommen. Die Beamten berichten, dass der Mann unter Angabe falscher Personalien eine Anzeige wegen Diebstahls erstattete und sich dabei mehrfach in Widersprüche verstrickte. Die Polizisten überprüften die rechtmäßigen Personalien des Mannes und stellten fest, dass dieser bereits wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt ist und von der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern mit einem Haftbefehl gesucht wird. Er muss noch eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat verbüßen und nun zusätzlich mit einem Strafverfahren wegen des Verdachts des Vortäuschens einer Straftat rechnen. Polizisten brachten den wohnsitzlosen 40-Jährigen anschließend in eine Justizvollzugsanstalt. (az) Ungewöhnliche Beute haben Unbekannte in der vergangenen Woche in Rottenacker im Alb-DonauKreis gemacht. Die Eigentümer eines Gartenteiches stellten am Samstag fest, dass sämtliche Fische verschwunden waren. Nach ersten Ermittlungen der Polizei drangen Unbekannte in der Zeit zwischen Donnerstagnachmittag und Samstagmittag auf das Grundstück an der Gartenstraße ein. Dort fischten sie etwa 20 zum Teil hochwertige Zierfische, darunter auch einen Koi, aus dem Wasser. Die Polizei Munderkingen, die noch nach Zeugen der Tat sucht, schätzt den Schaden auf 1500 Euro. (az)