Es fährt ein Bus nach Nirgendwo
Kabarettist Jochen Malmsheimer erlebt eine Schreckensreise mit Rentnern in Beige, hofft auf eine bessere Zukunft – und hat kurz vor Schluss vor Lachen selbst Tränen in den Augen
Ein schöner Zufall, dass der Weg aus dem Ruhrgebiet nach Venedig an Ulm vorbeiführt. Jochen Malmsheimer passiert das Ulmer Zelt auf seiner Schreckensfahrt im Bus also nur mit ein paar Kilometern Entfernung. Witze über Städte und ihre Namen gehören fest ins Programm des in Essen geborenen Kabarettisten. Die über Heidenheim und die Brenz zünden in Ulm ganz besonders. Und irgendwo hier in der Gegend kommt Malmsheimers bizarre Reise zu ihrem Höhepunkt.
Der Wortkünstler aus dem Pott ist der wahrscheinlich witzigste Vorleser der Republik. Malmsheimer baut Sprachungetüme, verschraubt Belangloses zu bedeutsam klingenden Festreden und wirft seinen Zuhörern dann eine simple Weisheit grob vor die Füße. Schon im Fernsehen, in der ZDF-Sendung „Neues aus der Anstalt“erntete Malmsheimer Lachsalven. Auch die Besucher im Zelt lieben ihn.
Dabei ist gar nicht alles nur lustig. Was Malmsheimer da albern verpackt vorträgt, ist ihm wichtig: Dass Lektüre mehr ist als die Aufforderung, an einer Pforte zu lecken. AfD-Politiker nennt er „Hohlmantelgeschosse“, Rassismus, Gefühllosigkeit und Intoleranz bezeichnet er als Zeichen von Dummheit. Malmsheimer will, dass die Menschen sich bilden, klüger werden, lesen, weltoffen sind. Die ernsten Botschaften und die Keilerei gegen Rechtspopulisten bescheren dem 56-Jährigen genauso viel Beifall wie seine Späße über Rentner in Funktionsjacken.
Mit einer derartigen Reisegruppe ist Malmsheimer unterwegs, vom Ruhrgebiet an die Adria, weil seine Frau dorthin möchte. Es ist ein Szenario, dass den Zuhörer glauben lässt, er sei selbst mit an Bord – und mit ihm die Fremdscham. Während draußen Siegen, Gießen, Heiden- heim vorbeiziehen, durchwandern Bilder, Ideen und Erinnerungen Malmsheimers Kopf. Manchmal wühlt er in der Fernsehgeschichte seiner Kindheit, manchmal springt er ins hohlköpfige TV-Programm der Gegenwart. Am stärksten ist Malmsheimer beim Beobachten des Alltäglichen. Die Rentner in Beige, die Enge des Busses, der Tank des Bord-WCs, Kartoffelsalat, Dosenbier, Ehestreit. Der Mann im Karohemd überspitzt alles grenzenlos und bleibt dabei trotzdem erschreckend nah an dem, was der Alltag tatsächlich so bietet.
„Sie müssen nicht immer klatschen, wenn Sie etwas verstanden haben“, sagt Malmsheimer am Anfang. Seit rund zwei Jahren ist der Kabarettist mit seinem Programm „Dogensuppe Herzogin“unterwegs. Wer wirklich alles verstehen will, muss es wohl mehr als einmal ansehen. So rasant springt der Sprachakrobat von Idee über Wortspiel zu Unverschämtheit und zurück. Langweilig wird es nie. Wer den Anschluss verpasst, gewinnt ihn bei der nächsten Wendung zurück. Auf seiner Schreckensfahrt durchlebt Malmsheimer einen wirren Traum, irgendwo hier auf der A7. Odysseus, Marco Polo, Robin Hood und Martin Luther sitzen mit im Bus. Sie alle gemeinsam kommen zu dem Schluss, den der Kabarettist ins Publikum schreit: Lesen!
Der heimliche Höhepunkt im Zelt, wo die NUZ den Auftritt des Wortkünstlers präsentierte, ist ein anderer: Der reisende Malmsheimer schlägt sich vor Schreck eine Zahnkrone ab, als er Long John Silver aus Stevensons „Schatzinsel“neben sich sitzen sieht. Und als der echte Malmsheimer wieder ins Mikrofon spricht, übersteuert es – als würde wirklich Luft durch die Zahnlücke pfeifen. Malmsheimer hat vor Lachen selbst Tränen in den Augen. „Ich hab schon ’ne halbe Seite vorher Schiss vor der Stelle“, gesteht er. Die Sommerabende locken nicht nur das Publikum ins Freie, sondern auch das Philharmonische Orchester: In der besonderen Atmosphäre des Neu-Ulmer Glacis-Parks gibt es wieder Klassik für alle – bei freiem Eintritt. Am Mittwoch, 27. Juni, entführen die Philharmoniker ihre Zuhörer musikalisch unter anderem unter die glühende Sonne Spaniens und in den Wüstensand des Orients. Ab 19 Uhr erklingen auf der Veranstaltungsbühne Werke von Gioachino Rossini, Giuseppe Verdi, Camille Saint-Saëns, Georges Bizet und Jerónimo Giménez. Dirigent des Glaciskonzerts ist Joongbae Jee, Solistin I Chiao Shih, Moderatur Benjamin Künzel. (az) Im Rahmen ihres Sommerprogramms fährt die Volkshochschule im Landkreis Neu-Ulm am Mittwoch, 25. Juli, zu den Bregenzer Festspielen. Gespielt wird auf der Seebühne die Oper „Carmen“von Georges Bizet. Sie wurde zur Zeit ihrer Uraufführung 1875 in Paris als problematisch empfunden – zu exotisch, zu vulgär. Heute gehört Carmen zu den beliebtesten und meist aufgeführten Werken des Opernrepertoires. (az) O
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