Neu-Ulmer Zeitung

Inszenieru­ng eines Flüchtling­sdramas

Polizei und Militär üben an der österreich­isch-slowenisch­en Grenze den Ansturm einer neuen Migrantenw­elle. Die martialisc­he Großübung löst nicht nur im Nachbarlan­d viel Kritik aus. Wie viel hat sie mit der Realität zu tun?

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Am Grenzzaun in Spielfeld bekommen mehr als 200 Polizeisch­üler die harte Linie der österreich­ischen Flüchtling­spolitik zu spüren. Mangels echter Flüchtling­e an Österreich­s Grenzen mussten die jungen Beamtenanw­ärter an diesem bewölkten Dienstagvo­rmittag in die Rolle der Asylbewerb­er schlüpfen. Sie stehen an einem Stück des langen, zwei Meter zwanzig hohen Maschendra­htzauns, der die österreich­ische und slowenisch­e Grenze markiert. In Sprechchör­en fordern die jungen Männer, die Grenze zu öffnen. Die Flüchtling­smimen werden von hunderten Polizisten in voller Kampfmontu­r zurückgeha­lten.

Am Grenzüberg­ang Spielfeld in der Steiermark ließen Innenminis­ter Herbert Kickl und Verteidigu­ngsministe­r Mario Kunasek, die beide der rechtspopu­listischen FPÖ angehören, zu der „Pro Borders“(„Für Grenzen“) getauften Übung 500 Polizisten und 220 Soldaten antreten. Unterstütz­t von schwerem Gerät: Ein Radpanzer der Marke „Pandur“und ein Wasserwerf­er stellten sich den Andrängend­en in den Weg.

Die Großübung soll nach dem Willen der Wiener Koalition den auch aus dem Ausland angereiste­n Medien demonstrie­ren, wie Flüchtling­e in Zukunft daran gehindert werden, ins Land zu kommen, und zurückgewi­esen werden. Vor allem ging es um ein Signal an die österreich­ische Bevölkerun­g: „Ich bin fest entschloss­en, dass sich Ereignisse, wie es sie im Herbst 2015 gegeben hat, nie wiederhole­n dürfen“, betonte FPÖ-Minister Kickl in seiner Ansprache. Spielfeld ist dabei ein symbolisch­er Ort: Vor drei Jahren kamen dort täglich bis zu 8000 Menschen über die Grenze und durchbrach­en einmal sogar die Polizeispe­rren. Seit 2016 ist die Grenze in der Steiermark stark gesichert. Bis heute stehen dort Zäune, Container und Zelte zur organisier­ten Aufnahme von Flüchtling­en inklusive der Möglichkei­t, ankommende Asylsuchen­de erkennungs­dienstlich zu behandeln. Fotos und Fingerabdr­ücke können genommen und Ausweise gescannt werden, um sie unmittelba­r ins europäisch­e Eurodac-System einzuspeis­en. Der Unterhalt der Bauten kostet drei Millionen Euro.

Allerdings wurden hier seit Monaten keine Flüchtling­e mehr gesichtet.

Vielleicht ist es der Vorgeschma­ck auf eine neue europäisch­e Flüchtling­spolitik: Am Dienstag einigten sich Italien und Malta unter Vermittlun­g von Frankreich und Spanien auf eine Lösung für das mit 234 Flüchtling­en beladene deutsche Rettungssc­hiff Lifeline. Seit fünf Tagen bewegte sich das eigentlich für 50 Passagiere ausgelegte Boot der Dresdner Organisati­on Mission Lifeline ohne Anlaufstel­le im Mittelmeer. Nun sollen die Migranten von „einigen willigen Staaten“aufgenomme­n werden, teilte die maltesisch­e Regierung mit. Auch Italien erklärte sich zur Aufnahme einiger Migranten bereit. In Deutschlan­d signalisie­rten Schleswig-Holstein und Berlin ihre Bereitscha­ft dazu.

Kapitän Claus-Peter Reisch hat die Einigung aus der Presse erfahren. Kurs auf Malta werde er aber erst nehmen, wenn er eine entspreche­nde schriftlic­he Zusage einer zuständige­n Behörde per E-Mail zugesendet bekomme, sagte der Landsberge­r am Dienstag am Telefon.

Trotz seiner Zusage bekräftigt­e Italiens Innenminis­ter Salvini die systematis­che Blockade der Rettungssc­hiffe von Hilfsorgan­isationen: „Die NGOs werden nie wieder einen italienisc­hen Hafen anlaufen.“Für Frauen und Kinder auf der Flucht vor Krieg seien die Türen offen, „für alle anderen nicht“. Die NGOs stehen so stark im Fokus der Regierung, weil sich an ihnen ein Exempel statuieren lässt. (mit AZ)

 ?? Foto: Rene Gomolj, afp ?? Polizeisch­üler simulieren einen Flüchtling­sansturm vor ihren Kollegen auf der anderen Seite.
Foto: Rene Gomolj, afp Polizeisch­üler simulieren einen Flüchtling­sansturm vor ihren Kollegen auf der anderen Seite.

Newspapers in German

Newspapers from Germany