Neu-Ulmer Zeitung

Gemeinsam einsam im Kanzleramt

Der erbitterte Asyl-Streit zwischen Kanzlerin Merkel und Innenminis­ter Seehofer wird für die Regierung zu einer immer größeren Belastung. SPD und Opposition sind genervt. Immerhin in einem Punkt gelingt eine Einigung

- VON BERNHARD JUNGINGER

Die lange Nacht im Kanzleramt hat die Spitzen von CDU und CSU einander nicht nähergebra­cht. Nach dem Ende des knapp vierstündi­gen Koalitions­ausschusse­s am frühen Mittwochmo­rgen fahren die Teilnehmer in schwarzen Limousinen davon, ohne eine gemeinsame Erklärung wie sonst üblich. Erst am nächsten Tag äußern sich einige von ihnen – aber getrennt voneinande­r. Dabei wird deutlich: Im Streit zwischen Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) über die Zurückweis­ung von Flüchtling­en an der Grenze ist keine Entspannun­g in Sicht. Und die SPD sieht mit wachsendem Entsetzen zu, wie sich die Unionsschw­estern immer feindselig­er gegenübers­tehen.

Einigen kann sich die Koalition immerhin beim Baukinderg­eld. Die Förderung kommt nun wie im Koalitions­vertrag geplant ohne die zuletzt im Raum stehende Wohnfläche­nobergrenz­e. Allerdings wird sie nur in den Jahren 2018 bis 2020 ge- Doch der Kompromiss kann nicht darüber hinwegtäus­chen, wie explosiv die Stimmung ist.

Am Mittwoch sagt Seehofer am Rande einer Sitzung des Innenaussc­husses des Bundestags, dass es in der Streitfrag­e, ob Flüchtling­e, die bereits in anderen EU-Staaten registrier­t sind, an der Grenze zurückgewi­esen werden dürfen, keinerlei Fortschrit­te gebe. Seehofers „Masterplan Migration“sieht dies als eine von 63 Maßnahmen vor, doch die Kanzlerin ist entschiede­n dagegen. Sie will bis zum Wochenende eine europäisch­e Lösung erreichen, gelingt ihr dies nicht, will Seehofer die Zurückweis­ung anordnen.

Bereits am Sonntag, bekräftigt Seehofer, werde die Frage entschiede­n. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt spricht von einer „angespannt­en Lage“. Wenn nötig werde Deutschlan­d auch im nationalen Alleingang an den Grenzen zurückweis­en. In der CSU ist trotz einiger versöhnlic­her Signale in den vergangene­n Tagen klar: Mit einer weiteren Verschiebu­ng einer europäisch­en Lösung in der Asylpoliti­k wird sich die Partei nicht zufriedeng­eben. Die Bundeskanz­lerin, so ein hochrangig­er Christsozi­aler zu unserer Zeitung, müsse „echte, konkrete, wirksame Maßnahmen“vom EU-Gipfel in Brüssel mitbringen, der am Donnerstag beginnt.

Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder (CDU) bestätigt, dass es beim Koalitions­gipfel keine Einigung im Asylstreit gab, eine solche sei auch gar nicht zu erwarten gewesen, da die Parteigrem­ien von CDU und CSU erst am Sonntag tagen. Kauder: „Es ist sehr ernst, das hat man gestern auch in den Gesprächen gemerkt.“Wie ernst die CDU-Spitze die Lage tatsächlic­h einschätzt, zeigt sich auch daran, dass hinter den Kulissen massive Bemühungen laufen, die eigenen Abgeordnet­en, von denen nicht wenige in der Sache mit Seehofer sympathisi­eren, auf die Merkel-Linie einzuschwö­ren. So warb Kanzleramt­sminister Helge Braun nach Informatio­nen unserer Zeitung bei der Sitzung der CDULandesg­ruppe Baden-Württember­g für den Merkel-Kurs. Zum Treffen der Landesgrup­pe Nordrheinz­ahlt. Westfalen reiste eigens Ministerpr­äsident Armin Laschet an, einer der wichtigste­n Merkel-Vertrauten. Jetzt zählt jede Stimme.

Andrea Nahles, SPD-Parteichef­in und Bundestags­fraktionsv­orsitzende spricht von einer „ausgesproc­hen angespannt­en Lage“, in der sich die Regierung befinde. Die Frage nach möglichen Neuwahlen in einem Fernsehint­erview scheint sie jedenfalls nicht zu überrasche­n: „Das warten wir jetzt mal ab.“Und SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil sagt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Unser Eindruck ist, dass die Gräben zwischen CDU und CSU sehr tief sind.“Dies schaffe Instabilit­ät in Deutschlan­d und Europa und sei unverantwo­rtlich – gerade in der jetzigen internatio­nalen Situation. Klingbeil weiter: „Man kann über das Verhalten von CDU und CSU nur den Kopf schütteln.“

Auch in der Opposition wächst der Unmut über den Unions-Zank mit jedem Tag. Grünen-Fraktionsv­orsitzende­r Toni Hofreiter zu unserer Zeitung: „Es ist nicht akzeptabel, dass die CSU mit ihrem Theater die Stabilität des ganzen Landes und Europas gefährdet. Die Union wird ihrer Verantwort­ung überhaupt nicht gerecht.“Die Hängeparti­e zeige, „dass die Koalition gerade nicht in der Lage und nicht willens ist, dieses Land zu regieren“.

Michael Theurer, stellvertr­etender FDP-Fraktionsc­hef, geht dagegen nicht die CSU, sondern die Bundeskanz­lerin scharf an: „Es zeigt sich erneut, dass sich Merkels Politik der Formelkomp­romisse überlebt hat.“Durch das „ständige Aufschiebe­n und Aussitzen schwierige­r Fragen“habe sich die Union in eine unmögliche Lage gebracht: „Merkel und Seehofer sind nur noch Getriebene.“Für Theurer ist klar: „Diese Chaos-Koalition schadet Deutschlan­d.“

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Immerhin: Sie reden noch miteinande­r. Finanzmini­ster Olaf Scholz folgt Kanzlerin Angela Merkel und SPD Chefin Andrea Nahles. CSU Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt erwartet sie schon. Die Stimmung in der Koalition ist extrem angespannt.

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