Die meisten AfD Wähler bleiben lieber unsichtbar
Das ist nicht abwertend gemeint. Wenn der halt ein Neger ist, dann ist er halt ein Neger“, stellt er klar und schenkt Tee nach.
Nolte ist einer von denen, die bei der Landtagswahl im Oktober AfD wählen wollen. Und er ist einer von denen, die das nicht öffentlich aussprechen. Deshalb dürfen wir seinen echten Namen nicht schreiben. „Ich habe keine Lust, dass irgendwelche Penner kommen und mir die Autos abfackeln oder Schlimmeres“, sagt er. In Augsburg, wo sich die AfD am Wochenende zum Parteitag trifft, hat sie viele Anhänger. Bei der Bundestagswahl lagen die Rechtspopulisten hier mit 13,8 Prozent klar über dem bayerischen Durchschnitt. Es gibt Stadtteile, in denen fast ein Viertel der Bewohner AfD gewählt hat. Und doch ist die Partei nahezu unsichtbar. Der einzige Stadtrat fällt nicht weiter auf. Ein Stammlokal gibt es nicht. Viele Wirte wollen keinen Ärger – egal, ob von links oder von rechts. Nur in einem Gasthaus in der Innenstadt organisiert die Augsburger AfD regelmäßig Veranstaltungen. Mitte Juli gibt es zum Beispiel einen Vortrag über „Sexsklavenmärkte in Syrien“. Ansonsten: nichts.
Wo also sind all diese besorgten Bürger, die Merkel-Hasser und politisch Unkorrekten? Wo sind die Leute, die vor der Islamisierung des Abendlandes warnen und nicht mehr an den „Vogelschiss“in der deutschen Geschichte erinnert werden wollen? Für diesen Text haben wir viele AfD-Anhänger aus Augsburg angeschrieben. Menschen, die ihrer Wut in sozialen Netzwerken freien Lauf lassen und sich dann wieder ihrem realen Leben zuwenden, als wäre nichts gewesen. Keiner von ihnen will uns offen erzählen, was ihn so wütend macht. Was am Wahlprogramm der AfD so überzeugend findet.
Wir gehen auf Spurensuche im Univiertel. Dort leben viele Russlanddeutsche. „Klein-Moskau“sagen manche despektierlich über den Stadtteil. Viele der Spätaussiedler, die Anfang der 90er Jahre hierher kamen, sympathisieren mit der AfD, die hier bei der Bundestagswahl mehr als 22 Prozent der Stimmen holte. Vor einer Sportsbar steht eine Gruppe von Männern mittleren Alters. Einer von ihnen trägt ein rotes Trikot mit den Buchstaben CCCP auf der Brust. Eine Erinnerung an die Sowjetunion. Drinnen läuft die Fußball-WM in Russland. Ob wir mit ihnen über die AfD reden können? Nein, über Politik wollen sie nicht sprechen. Und erst recht nicht mit jemandem von der Zeitung. „Sie dürfen sowieso nicht schreiben, was hier wirklich los ist“, sagt einer und gibt mit seinen Augen zu verstehen, dass das Gespräch beendet ist.
Ein paar hundert Meter entfernt sitzt Sabine Doering-Manteuffel in ihrem Büro und sucht nach Antworten. Wer sind denn nun diese Leute, die AfD wählen? Die Präsidentin der Universität Augsburg hat sich als Volkskundlerin viele Gedanken darüber gemacht. Sie ist überzeugt davon, dass die Flüchtlingskrise nur ein Ventil ist. Ein Ventil für unterschwellige Ängste, deren Ursprung Jahrzehnte zurückliegt. Bis dahin geht es immer bergauf. Die Löhne steigen, der Wohlstand wächst. Doch dann ändert sich der Blickwinkel vieler Leute. „Früher hieß es, unsere Kinder sollen es mal besser haben. Das dreht sich in den 1980er Jahren. Viele Menschen haben Sorge vor dem sozialen Abstieg. Sie befürchten, zu den Verlierern der Veränderungen zu gehören“, sagt Doering-Manteuffel. „Die Arbeitswelt wandelt sich, die Ökonomisierung der Gesellschaft beginnt. Industrielle Jobs werden abgebaut und ins Ausland verlagert. In einer Stadt wie Augsburg spürt man das besonders stark“, sagt die Wissenschaftlerin.
Gerade in den klassischen Arbeitervierteln wechseln die Wähler damals in Scharen zu den rechtspopulistischen Republikanern. Bei der Europawahl 1989 holen sie mit Parteichef Franz Schönhuber in Augsburg beinahe 20 Prozent der Stimmen. Plötzlich schaut die ganze Republik auf Schwaben. Von der „Hauptstadt der Bewegung“ist jetzt die Rede, von Provinz und kleinbürgerlichem Mittelmaß. Günther Göttling ist damals mittendrin. Er kam eher zufällig zu den Republikanern, eigentlich wollte er sich für die SPD engagieren. Doch die rebelliert gegen das Berufsbeamtentum, was ihm als Polizist gar nicht gefällt. An seinem Geburtstag geht er mit Freunden ins Bierzelt – und hört dort „den Schönhuber Franz“. Und was der sagt, findet er gut. Schon bald sitzt Göttling mit fünf weiteren Republikanern im Augsburger Stadtrat und wird schwäbischer Parteichef.
„Wir waren keine Radikalen oder Nazis – wir wollten mit Protest etwas erreichen und den rechten Rand der CSU abdecken“, sagt der inzwischen 72-Jährige. Er erlebt damals etwas, das heute auch die AfD stark macht: „Die Leute hatten das Geer fühl, dass sich keiner mehr um sie kümmert.“Göttling ist ein Typ, der den Kontakt mit Menschen sucht – im Sportverein, am Stammtisch, beim Schafkopf. Als Polizist sieht er viele Abgründe und Probleme. Er kennt Gott und die Welt oder ist, wie man heute sagt, gut vernetzt. Das Ende der großen Industrie- und Textilära in Augsburg erlebt er vor der eigenen Haustür. Göttling ist im Stadtteil Bärenkeller geboren und bis heute dortgeblieben. Doch das Viertel hat sich verändert. Wo einst Arbeiterwohnblocks waren, stehen jetzt Reihenhäuser. „Früher haben hier 70 Prozent die Roten gewählt, aber das ist längst Geschichte“, sagt er. Doering-Manteuffel erkennt darin ein typisches Muster. „Die klassischen Milieus lösen sich auf und Parteien versuchen mit alten Programmen Milieus zu erreichen, die es gar nicht mehr gibt“, sagt die Wissenschaftlerin. „Die Leute sind nicht unbedingt arm. Aber sie fühlen sich nicht mitgenommen. Und sie sind unsicher, ob sie ihren heutigen Lebensstandard halten können.“
In den 80ern nutzen die Republikaner solche Ängste – und bestimmen mit deftigen Parolen die Schlagzeilen. Zum Parteitag in Augsburg 1993 kocht die Stimmung hoch. Die Stadt will die Veranstaltung verbieten, doch die Republikaner erstreiten sich vor Gericht den Zugang zur Schwabenhalle – jenem Ort, an dem sich nun auch die AfD trifft. Die Polizei hat viel zu tun, um linke Chaoten daran zu hindern, auf die Rechtspopulisten loszugehen.
Göttling ist nicht immer mit der Außendarstellung seiner Partei einverstanden. Als sie in einem Wahlspot Asylbewerber zeigt und die Szenen mit der Melodie von „Spiel mir das Lied vom Tod“unterlegt, reicht es ihm. „Da bin ich zum Schönhuber und habe gesagt: Bist du verrückt? – Er hat nur geantwortet: Günther, auch Negativwerbung ist gute Werbung. Wenn wir totgeschwiegen werden, sind wir tot.“
Diese Methode der ständigen Provokation nutzt heute auch die AfD. Sie braucht kein Gesicht, sie braucht keine Lösungen. Man wählt eine Stimmung, kein Programm. Doering-Manteuffel glaubt nicht, dass der Siegeszug der Populisten bald vorbei sein wird. Denn anders als die Republikaner hat es die AfD in den Bundestag geschafft und wird auch in den Bayerischen Landtag einziehen. Die Theorie, dass es richtig krachen muss, bis die Anhänger erkennen, dass die einfachen Antworten