Wenn der linke Traum in einem Blutbad endet
Daniel Ortega war einst eine Ikone der Revolution Mittelamerikas. Heute lässt er als Präsident protestierende Studenten niederschießen
Managua Die Familie von Esmilse Patricia Campos hatte gerade das Frühstück beendet, als Polizisten ihren Ehemann mitnahmen. „Ich habe gefragt: Warum? Sie haben mir nicht geantwortet“, sagt die Frau, die nun vor dem Gefängnis „El Chipote“in Nicaraguas Hauptstadt Managua steht, in den Händen einen Rosenkranz und ein Paket Kekse. „Meine Nachbarin hat gesagt, das sei passiert, weil wir zu den Märschen gegangen sind“, sagt Campos. Gemeint sind die regierungskritischen Demonstrationen, die das mittelamerikanische Land seit Wochen lähmen. Mehr als 300 Menschen sind nach Angaben von Menschenrechtlern bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften in den vergangenen zwei Monaten ums Leben gekommen.
Vor dem Gefängnis warten mit Esmilse Patricia Campos rund 20 traf auch Nicaraguas Wirtschaft. Die bereits angespannte Stimmung eskalierte, als Ortega im April eine Sozialreform ankündigte: Die Pensionen sollten gekürzt, dafür aber Steuern angehoben werden. Die Menschen gingen auf die Straßen – mit Erfolg. Ortega zog den Reformplan zurück, den Protesten setzte das aber kein Ende. „Die Polizei und paramilitärische Gruppen griffen die Demonstranten an“, berichtet wie der amerikanische Lateinamerika-Experte Geoff Thale. Ein Journalist sei sogar vor laufender Kamera erschossen worden. Seither kommt das Land nicht zur Ruhe.
Viele Menschen trauen sich nicht mehr aus ihren Häusern. In Managua lauern Scharfschützen auf Dächern. Die Regierungspresse betont gebetsmühlenartig den Friedenswillen Ortegas und seiner Ehefrau, der Vizepräsidentin Rosario Murillo. Doch das steht im Widerspruch zu dem täglichen Bild auf den Straßen. Die zivile Opposition fordert unbeirrt den Rücktritt des Regierungsehepaars Ortega-Murillo.
In seinen fast vier Jahrzehnten in der Politik hat Ortega eine erstaunliche Wandlung durchgemacht, vom idealistischen linken Rebellen zum autoritären Alleinherrscher. Nach
Viele Demonstranten starben durch gezielte Kopfschüsse
dem Sieg der Revolution gegen die Somoza-Diktatur 1979 war Nicaragua Sinnbild der internationalen Linken für Frieden und Freiheit. Später verbündete sich Ortega dann mit dem Großkapital und schlug einen neoliberalen Wirtschaftskurs ein. Viele öffentliche Gelder sollen über dunkle Kanäle in die Taschen seiner Familie geflossen sein.
Wegen seines autoritären Regierungsstils und zahlreicher Korruptionsvorwürfe wandten sich viele Weggefährten von Ortega ab. Darunter auch der Dichter und Revolutionär Ernesto Cardenal, dessen Bücher auch in Deutschland verehrt