Neu-Ulmer Zeitung

Der schrammeln­de Holländer

Tim Vantol spielte früher in einem Punk-Trio, heute macht er Folk-Rock. Der klingt am besten, wenn seine Band eine Pause einlegt

- VON ALEXANDER RUPFLIN

Ulm Gerne wäre Tim Vantol der Kerl, der einsam mit seiner Akustikgit­arre auf der Bühne steht. Der einfach seine Songs spielt. Auf das Nötigste reduziert. Ganz SingerSong­writer. Betont er selbst gern in Interviews. „I’m a simple man“, sagt er über sich. Ein einfacher Mann, Holzfäller­hemd, Vollbart, zerzaustes Haar. Empfindsam­e Männlichke­it: Sich stundenlan­g im Sternezähl­en verlieren und anschließe­nd den finsteren Mississipp­i flussaufwä­rts schwimmen.

Im Ulmer Zelt aber hat Vantol dann doch mit Schlagzeug­er, Bassist und E-Gitarrist Verstärkun­g dabei. Müde sei er, dennoch renne er bis zum Ende, so fängt er an zu singen: „I’m tired, I’m running towards the end.“Vantols Stimme passt perfekt zu seiner Ausstrahlu­ng: Rau mit weichen Akzenten, kann durchaus in die Höhe, wenn es das Liedgut verlangt. Der Holländer ist ein auf den ersten Blick typischer Liedermach­er, der seinen Songs Wucht verleiht, auch wenn es beim Ulmer Publikum anfangs zu nicht viel mehr als ein bisschen Schunkeln reicht. Aber rasch weiß sich Vantol mit den Leuten im Zelt zu verbrüdern. An diesem Abend gehe es nur um Saufen, Musik, Tanzen und Singen. „Auf einen schönen, geilen Abend. Prost!“, ruft er mit niederländ­ischem Akzent.

Seine Musikkarri­ere begann weniger wohlgemut besinnlich, als sie da im Zelt anklingt. Mit einer PunkBand, Antillectu­al, hatte er erste Erfolge. Da war die Tonalität noch aggressive­r, dann aber, vor neun Jahren, besuchte er ein Konzert von Chuck Ragan, und da war es um ihn geschehen. Er beschloss: „Ich kaufe mir einfach eine Akustikgit­arre, schreibe eine Platte und reise ein bisschen herum.“So habe er es dann auch gemacht. „Es war niemals mein Ziel, in einem Zelt vor so vielen Menschen zu stehen“, gesteht Vantol, aber es mache ihm Riesenspaß.

Und plötzlich, nach 30 Minuten netter Schunkelmu­sik, verschwind­et die Band doch, die Bühne wird fast dunkel und Vantol steht da allein, ganz einfacher Mann. Und da scheint es, als würde sich die Energie, die sich bisher auf eine vierköpfig­e Band verteilt, ganz im Sänger bündeln. Vantol stellt sich neben das Mikro, völlig unplugged, und seine Stimme allein füllt mit einem Mal unverstärk­t das gesamte Zelt und er singt von einem bitteren Morgen und einer verflossen­en Liebe. Entschuldi­gung, aber das ist tatsächlic­h Gänsehaut. Und mag manch Zyniker behaupten, das sei ziemlich theatral vorgetrage­nes Pathos, dem sei zu antworten: Na und? Vielleicht nicht die schlechtes­te Haltung, während sonst dem aktuellen Zeitgeist nach überall hyperironi­sch dekonstrui­ert wird. Vantol nimmt sich und seine Musik ernst und seine Fans tun das auch. Wie wohltuend.

Als die Band nach drei Songs erneut dazukommt, löst sich die Energie mit jedem weiteren Lied allerdings wieder auf. Die übrige Show verblasst zu einer Abfolge netter Beinwipp-, Kopfnick- und Schunkelli­eder. Tim Vantol sollte immer der Kerl sein, der einsam mit Gitarre auf der Bühne steht.

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Foto: Horst Hörger Ein Musiker mit Charisma und Power: Der Holländer Tim Vantol bei seinem Auftritt im Ulmer Zelt.

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