Der schrammelnde Holländer
Tim Vantol spielte früher in einem Punk-Trio, heute macht er Folk-Rock. Der klingt am besten, wenn seine Band eine Pause einlegt
Ulm Gerne wäre Tim Vantol der Kerl, der einsam mit seiner Akustikgitarre auf der Bühne steht. Der einfach seine Songs spielt. Auf das Nötigste reduziert. Ganz SingerSongwriter. Betont er selbst gern in Interviews. „I’m a simple man“, sagt er über sich. Ein einfacher Mann, Holzfällerhemd, Vollbart, zerzaustes Haar. Empfindsame Männlichkeit: Sich stundenlang im Sternezählen verlieren und anschließend den finsteren Mississippi flussaufwärts schwimmen.
Im Ulmer Zelt aber hat Vantol dann doch mit Schlagzeuger, Bassist und E-Gitarrist Verstärkung dabei. Müde sei er, dennoch renne er bis zum Ende, so fängt er an zu singen: „I’m tired, I’m running towards the end.“Vantols Stimme passt perfekt zu seiner Ausstrahlung: Rau mit weichen Akzenten, kann durchaus in die Höhe, wenn es das Liedgut verlangt. Der Holländer ist ein auf den ersten Blick typischer Liedermacher, der seinen Songs Wucht verleiht, auch wenn es beim Ulmer Publikum anfangs zu nicht viel mehr als ein bisschen Schunkeln reicht. Aber rasch weiß sich Vantol mit den Leuten im Zelt zu verbrüdern. An diesem Abend gehe es nur um Saufen, Musik, Tanzen und Singen. „Auf einen schönen, geilen Abend. Prost!“, ruft er mit niederländischem Akzent.
Seine Musikkarriere begann weniger wohlgemut besinnlich, als sie da im Zelt anklingt. Mit einer PunkBand, Antillectual, hatte er erste Erfolge. Da war die Tonalität noch aggressiver, dann aber, vor neun Jahren, besuchte er ein Konzert von Chuck Ragan, und da war es um ihn geschehen. Er beschloss: „Ich kaufe mir einfach eine Akustikgitarre, schreibe eine Platte und reise ein bisschen herum.“So habe er es dann auch gemacht. „Es war niemals mein Ziel, in einem Zelt vor so vielen Menschen zu stehen“, gesteht Vantol, aber es mache ihm Riesenspaß.
Und plötzlich, nach 30 Minuten netter Schunkelmusik, verschwindet die Band doch, die Bühne wird fast dunkel und Vantol steht da allein, ganz einfacher Mann. Und da scheint es, als würde sich die Energie, die sich bisher auf eine vierköpfige Band verteilt, ganz im Sänger bündeln. Vantol stellt sich neben das Mikro, völlig unplugged, und seine Stimme allein füllt mit einem Mal unverstärkt das gesamte Zelt und er singt von einem bitteren Morgen und einer verflossenen Liebe. Entschuldigung, aber das ist tatsächlich Gänsehaut. Und mag manch Zyniker behaupten, das sei ziemlich theatral vorgetragenes Pathos, dem sei zu antworten: Na und? Vielleicht nicht die schlechteste Haltung, während sonst dem aktuellen Zeitgeist nach überall hyperironisch dekonstruiert wird. Vantol nimmt sich und seine Musik ernst und seine Fans tun das auch. Wie wohltuend.
Als die Band nach drei Songs erneut dazukommt, löst sich die Energie mit jedem weiteren Lied allerdings wieder auf. Die übrige Show verblasst zu einer Abfolge netter Beinwipp-, Kopfnick- und Schunkellieder. Tim Vantol sollte immer der Kerl sein, der einsam mit Gitarre auf der Bühne steht.