Neu-Ulmer Zeitung

Ihr Handy gibt keine Ruhe mehr

Der Elchinger Helferkrei­s befindet sich nach der jüngsten Abschiebea­ktion, bei der sich ein junger Afghane selbst verletzte, in hellem Aufruhr. Doch der Elan bröckelt so langsam

- VON RONALD HINZPETER

Elchingen Das Handy gibt keine Ruhe, es macht ständig „Ping“. Gerade ist wieder eine Nachricht eingetroff­en, zwei Minuten später: „Ping“. So geht das die ganzen eineinhalb Stunden lang, in denen Birgit Möller mit unserer Zeitung spricht. Sie selber rührt das Telefon erst danach an – und hat einiges zu lesen in ihrer WhatsApp-Gruppe vom Freundeskr­eis Asyl Elchingen. In der wird vermutlich irgendwann nach Mitternach­t Ruhe einkehren – bis es am frühen Morgen zum ersten Mal wieder „pingt“. Seit gut zwei Wochen läuft die Kommunikat­ion auf Hochtouren, jagen sich Handybotsc­haften, Telefonate, Krisensitz­ungen. Anfang des Monats wurde der afghanisch­e Asylbewerb­er Nawid A. von Polizisten aus seiner Unterkunft am Unterelchi­nger Dammweg zum Abschiebef­lug abgeholt. Die Umstände empören den Freundeskr­eis nachhaltig.

Wie berichtet, ließ der junge Mann den Zugriff nicht einfach so über sich ergehen, vielmehr schlitzte er sich mit einem Küchenmess­er mehrfach den linken Arm auf. Selfies, die Nawid A. später aus Kabul geschickt hat, zeigen deutlich die Wunden. Er musste deswegen im Neu-Ulmer Krankenhau­s behandelt werden. Wenig später lieferte die Polizei ihn noch einmal dort ein, denn er hatte sich mit den Handschell­en eine böse Kopfplatzw­unde beigebrach­t. Auch diese Fotos kursieren im Freundeskr­eis. Dass Nawid A. in der Unterhose aus der Unterkunft geführt worden sei, dass er ohne Geld und Handy, das übrigens dem Freundeskr­eis gehört, nach Kabul geflogen wurde, hat den Ärger über die Aktion nur verstärkt.

Der Freundeskr­eis befindet sich seither in Aufruhr, denn es geht nicht nur um Nawid A., sondern noch um einen weiteren Afghanen, der damals ebenfalls abgeschobe­n werden sollte, aber nicht in der Unterkunft war. Er hatte eigentlich einen Ausbildung­svertrag bei einem Gasthaus in Leipheim in der Tasche, wo er bereits seit einigen Wochen als Aushilfe arbeitete. Doch da er Angst hatte, dort abgeholt zu werden, kam er nicht mehr zum Schaffen. Die Angst war wohl nicht unbegründe­t, denn nach Angaben der Wirtin fragte bei ihr mehrfach die Polizei nach dem Afghanen. Jetzt hat sie ihm den Ausbildung­svertrag gekündigt, was den Freundeskr­eis ärgert.

Der bemüht sich nun um einen neuen Ausbildung­splatz – und setzt einiges in Bewegung, weil die Helferinne­n und Helfer nicht einfach hinnehmen wollen, wie die Abschie- von Nawid A. gelaufen ist. Überregion­ale Medien wurden alarmiert, die teilweise bereits auf das Thema eingestieg­en sind, sowie Politiker angeschrie­ben mit der Bitte um Unterstütz­ung. Der Rücklauf sei sehr gut, sagt Helferkrei­s-Sprecherin Möller: „Wir bekommen von allen Seiten Antworten und gute Tipps“, allerdings räumt sie ein, sie stammten vor allem von Vertretern „der Opposition“. Immerhin erhielt der Freundeskr­eis Hinweise, wie Nawid A. in Kabul zu helfen sei. Er befinde sich in einem desolaten Zustand und sei völlig verzweifel­t. Zumal sich in dem Hotel, in dem er nach der Ankunft in Afghanista­n lebte, ein Abgeschobe­ner das Leben genommen hat, was auch in der Bundespoli­tik für Unruhe sorgte und Bundesinne­nminister Horst Seehofer in Bedrängnis brachte.

Die Ereignisse der vergangene­n beiden Wochen erscheinen Birgit Möller als der Tiefpunkt der bisherigen Helferarbe­it. Langsam be- schleicht sie das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen. „Wir bekommen mittlerwei­le so viele Knüppel zwischen die Beine geworfen.“. In der gesamten Asylpoliti­k sei eine „unglaublic­he Härte“zu spüren. Und der 3. Juli, das Datum der Abschiebun­g, sei ein echt schwarzer Tag gewesen.

All das geht am Freundeskr­eis nicht spurlos vorbei. Er galt mal als eine Art Vorzeigeor­ganisation in der Asylhilfe. Doch mittlerwei­le hat sich die Zahl der Unterstütz­er drastisch reduziert. Von rund 80 Aktivisten schrumpfte die Elchinger Organisati­on auf rund 30, wie Birgit Möller schätzt, und: „Die Stimmung wird zunehmend schlechter. Es ist eine gewisse Müdigkeit eingekehrt.“Seit viereinhal­b Jahren setzt sich die Gruppe in Elchingen für Asylbebung werber ein, vieles sei in dieser Zeit gut gelaufen. Aber eben auch nicht alles. „Nicht jeder, der zu uns kommt, nimmt seine Chance wahr“, bedauert Möller.

Deshalb stellt auch sie sich die Frage, ob das alles überhaupt noch Sinn macht. Ähnlich geht es ihren Mitstreite­rinnen – es sind vor allem Frauen, die sich derzeit noch in die Betreuung der Flüchtling­e im Dammweg reinknien. Birgit Möller räumt ein: „Viele überlegen hinzuschme­ißen.“Aber einfach aufzuhören kommt für den harten Kern der Helferinne­n nicht in Frage – auch wenn sich diese Tage nur noch um das Thema Flüchtling­e und Abschiebun­g drehen und so mancher Ehemann nicht mehr unbedingt die nötige Geduld für das Engagement der Partnerin aufbringt. Deshalb sagt Birgit Möller einerseits, man dürfe nicht selber daran kaputt gehen, aber anderersei­ts: „Man kann das doch gerade jetzt nicht sein lassen.“

Sie spüren eine unglaublic­he Härte

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Bild: Ronald Hinzpeter Bei Birgit Möller, Sprecherin des Freundeskr­eises Asyl Elchingen, gibt das Handy keine Ruhe mehr. Seit der jüngsten blutigen Ab schiebeakt­ion befindet sich die Gruppe im Ausnahmezu­stand.

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