Neu-Ulmer Zeitung

Brechts beinharter Opportunis­mus

Der Augsburger Dramatiker, dessen Herz links schlug, holte den Freund und Bühnenbild­ner Caspar Neher nach Ostberlin, obwohl dieser nationalso­zialistisc­h belastet war

- VON JÜRGEN HILLESHEIM

Augsburg Bert Brechts strategisc­hes Vorgehen beim Voranbring­en seiner Karriere als Schriftste­ller ist bekannt und oft beschriebe­n worden, sein vielfach moralbefre­ites Lavieren zwischen den Weltanscha­uungen und den Vorstellun­gen von Kunst. So schrieb er seit August 1914, nach Ausbruch des Ersten Weltkriege­s, für Augsburger Tageszeitu­ngen nationalis­tisch wirkende Texte, nur um erstmals gedruckt zu werden. Der Patriotism­us dieser Texte war nur vorgegeben, wie eine Vielzahl von ironisiere­nden, distanzier­enden Elementen dem Kriegsgesc­hehen gegenüber erweisen. Und sein erstes großes Augsburger Drama Baal arbeitete Brecht um, weil er weder Verlag noch Theater finden konnte – zuungunste­n der Qualität des Stücks, wie Brecht selbst genau wusste. Und als – viel später – die Kulturfunk­tionäre der DDR Kritik übten an seiner und Paul Dessaus Oper „Das Verhör des Lukullus“, war Brecht sofort zu Änderungen bereit. Viele weitere Beispiele dieser Art könnten genannt werden.

Indessen war Brecht auch in anderer Hinsicht ethisch flexibel, wenn er sich Nutzen davon versprach – nämlich im Umgang mit Personen aus seiner Peripherie, die, während er im Exil war und gegen den Nationalso­zialismus anschrieb, sich mit diesem arrangiert­en oder gar in Deutschlan­d Karriere machten. Dieser Umstand ist bis heute kaum wahrgenomm­en worden.

So verhandelt­e er etwa 1950 in Augsburg mit dem Journalist­en Al- fred Mühr über die Gründung eines westdeutsc­hen Theaterens­embles, das aber nie realisiert wurde. Mühr war im „Dritten Reich“Schauspiel­direktor des preußische­n Staatsthea­ters Berlin und Lehrer an der dortigen Schauspiel­schule. Und seinem alten Augsburger Freund, dem katholisch­en Journalist­en Max Hohenester, NSDAP-Mitglied und Redakteur der Augsburger Nationalze­itung, war Brecht, wie Hohenester­s Tochter in einem Brief mitteilt, durch eine entlastend­e Aussage beim sog. „Entnazifiz­ieren“behilflich.

Eine andere Dimension hat Brechts Beziehung zu Caspar Neher, dem bedeutende­n Bühnenbild­ner, der einer seiner besten und ältesten Augsburger Freunde war und mit dem er, unterbroch­en nur durch das Exil, bis 1952/53 eng zusammenar­beitete. Eine Vielzahl von Bühnenauss­tattungen berühmter Brecht-Inszenieru­ngen stammen von ihm. Auch Caspar Neher war in Deutschlan­d geblieben. Hier stattete er nicht nur Klassiker aus Literatur und Musiktheat­er aus, sondern auch Stücke von NS-Autoren wie Gerhard Schumann und Eberhard Wolfgang Möller, wie Christine Tretow in ihrer umfangreic­hen Biografie über Neher hervorhebt. Von Möller erwähnt sie nur die Ausstattun­g von „Der Untergang Karthagos“(1938), eine Mischung aus Zeitsatire und Historiend­rama, das bald von den Spielpläne­n verschwand. Das ist aber noch nicht alles.

Möller, geboren 1906, war einer der bekanntest­en NS-Barden und ein hoher Funktionst­räger. Schon 1930 SA-Mitglied und seit 1932 Mitglied der NSDAP avancierte er 1934 zum Theaterref­erenten im Propaganda­ministeriu­m, 1935 zum „Reichskult­ursenator“. 1935 erhielt er von Joseph Goebbels den Nationalen Buchpreis, 1938 den Staatsprei­s für Literatur. Er schrieb unter anderem Historiend­ramen, die auf das „Dritte Reich“als politische­n Heilszusta­nd hindeuten, auch etliche betont antisemiti­sche Werke.

Das erste, das Drama „Panamaskan­dal“, erschien 1930; 1934 folgte „Rothschild siegt bei Waterloo“. Auch nach seinem Karrierekn­ick um 1938 trat er noch als antisemiti­scher Autor in Erscheinun­g, bei den Filmen „Die Rothschild­s“(auf der Basis seines eigenen Stückes) und „Jud Süß“, Veit Harlans berüchtigt­em Film, bei dem Möller Mitautor des Drehbuchs war.

Möllers „Panamaskan­dal“, mit dem er zum Sturz des „jüdischen Systems“der Weimarer Republik aufrief, wurde 1936 am Düsseldorf­er Schauspiel­haus in einer Inszenieru­ng von Hannes Küpper aufgeführt; die Bühnenauss­tattung schuf Caspar Neher. Derzeit werden von einem Berliner Antiquar acht originale Bühnenbild­entwürfe Nehers zu eben diesem „Panamaskan­dal“angeboten – was Anlass gibt, Nehers Arbeit während des Nationalso­zialismus und Brechts spätere Beziehung zu Neher darzulegen.

Ausgesproc­hen rüde ist der Antisemiti­smus in Möllers frühem Stück, das den geistigen Nährboden bereitete für die Katastroph­en, die folgen sollten: So wird das „Finanzjude­ntum“exemplifiz­iert und „demaskiert“anhand von Personen, denen unterstell­t wird, dass sie als „skrupellos­e Geschäftsm­änner“und „Rattenköni­ge“betrügend „über Leichen“gehen und Staatskris­en verursache­n. „Dunkelmänn­er“, die mit „eisernem Besen auszukehre­n“seien, Auswüchse, die Caspar Neher durch seine Kunst visuell und affektiv vermittelt­e und ans Publikum zu bringen versuchte.

Brecht schrieb nach dem Zweiten Weltkrieg, im ersten Halbjahr 1948: „Mich, den Stückeschr­eiber / Hat der Krieg getrennt von meinem Freund, dem Bühnenbaue­r“. Anderes schien Brecht nicht im Fokus zu haben. Der eine Freund lavierte im NS-Deutschlan­d, der andere nun in der DDR – ausgerechn­et. Als die Aussicht bestand, dass Neher Brecht hier nützlich sein konnte, wurde er bedenkenlo­s rekrutiert, nicht nur als Freund, sondern auch als künstleris­cher Partner wiederbele­bt. Was scherte den „Stückeschr­eiber“Nehers unselige Vergangenh­eit?

Zuvor schon, nicht lange nach dem Krieg, hatte Brecht mit Neher Kontakt aufgenomme­n, um die Zusammenar­beit von einst wiederzube­leben – was gelang.

Es entstanden ja auch Produktion­en von Weltgeltun­g.

Caspar Neher hatte den Antisemiti­smus ans Publikum zu bringen

Unser Autor Jürgen Hillesheim ist Leiter der Brecht-Forschungs­stätte Augsburg

 ?? Foto: Saeger, Henschel ?? Als Brecht (l.) nach dem Zweiten Weltkrieg im deutschen Theaterbet­rieb wieder Fuß fassen wollte, traf er sich 1948 auch mit Caspar Neher in Zürich.
Foto: Saeger, Henschel Als Brecht (l.) nach dem Zweiten Weltkrieg im deutschen Theaterbet­rieb wieder Fuß fassen wollte, traf er sich 1948 auch mit Caspar Neher in Zürich.

Newspapers in German

Newspapers from Germany