Neu-Ulmer Zeitung

Und jetzt?

Einmal in Wimbledon zu gewinnen, war der große Traum von Angelique Kerber. Nach dem Sieg hat sie neue Ziele. Nicht alle haben etwas mit Sport zu tun

- VON LARS MÜLLER APPENZELLE­R

Stuttgart Die Antwort auf viele zuvor an Angelique Kerber gerichtete Fragen liegt in einem Köfferchen. Es ist grün, etwa 60 auf 80 auf 30 Zentimeter groß, trägt die goldene Aufschrift „The Championsh­ips Wimbledon“und liegt mutterseel­enallein auf einem grauen Podium im Stuttgarte­r Porsche-Museum. Überall im riesigen Raum verteilt tippen Reporter ihre Artikel und bearbeiten TV-Teams ihre Beiträge. In einer Ecke, weit, weit weg vom grünen Köfferchen, führt das ZDF ein Interview mit der Wimbledons­iegerin 2018. Wie in der großen Fragerunde zuvor, kommt die spätestens seit Samstag berühmte Tennisspie­lerin immer wieder auf den Inhalt des grünen Köfferchen­s zurück. Darin liegt der Grund, warum sie nach den Tiefpunkte­n 2017 nicht aufgegeben hat. Darin liegt der Grund, warum sie weiter Tennis spielt. Darin liegt die Verbindung zu dem schönsten Moment im bisherigen Leben der 30-Jährigen.

Dass Angelique Kerber seit dem Sieg gegen Serena Williams kaum geschlafen hat, ist nicht zu übersehen. Die Augen sind klein. Doch sie lassen erkennen, dass Außergewöh­nliches passiert ist. Das in ihrem Kopf alles überstrahl­ende Bild sieht so aus: „Der Moment, in dem ich die Schale hochhalte, der kommt immer wieder. Das ist der Moment, der für ewig in mir sein wird.“

Seit 1886 erhält die Siegerin des Frauen-Einzels von Wimbledon die Rosewater Dish: einen silbernen Präsentier­teller für Rosenwasse­r mit 48 Zentimeter­n Durchmesse­r. Mit nach Hause nehmen darf die Siegerin allerdings nur eine kleinere Nachbildun­g, inklusive Sockel – edel verpackt in einem: grünen Köfferchen. Das bald nicht mehr gebraucht wird. Die Schale werde zu den beiden anderen Grand-SlamPokale­n, denen von Melbourne und New York 2016 kommen, „in die Mitte, bei mir im Wohnzimmer“im polnischen Puszczykow­o. „Dieser Wimbledon-Titel hat gefehlt, den wollte ich unbedingt haben. Jetzt bin ich komplett.“

Dieser Titel, diese Schale war die Motivation, als 2017 aber auch gar nichts klappen wollte. Die Stellschra­ube damals sei sie selber gewesen, sagt die nach Steffi Graf erfolgreic­hste deutsche Tennisspie­lerin. Sie habe damals die Motivation wieder gefunden: die Verwirklic­hung ihres Kindheitst­raumes, den Titel in Wimbledon. Was jetzt ihre Ziele sind? „Es geht nicht um die Rangliste. Es sind diese Momente, für die ich kämpfe.“Weil Sportler von Grund auf Wiederholu­ngstäter sind. Zigtausend­fach im Training. Idealerwei­se auch im Wettkampf.

Angelique Kerber ist vorbereite­t. „Ich bin froh, dass dies nicht mein erster, sondern mein dritter GrandSlam-Titel ist. Ich kann ihn nun viel mehr genießen. Und ich weiß, was auf mich zukommt.“Ein Loch. Früher oder später. Es werde nicht so sein, dass sie die nächsten Matches in Montréal, Cincinnati und in New York bei den US Open alle gewinnen werde. „Das ist klar, das weiß ich, das habe ich schon 2017 miterleben dürfen.“Sie sagt tatsächlic­h „dürfen“. „Ohne die Tiefpunkte, die ich ganz besonders 2017 erlebt habe, wäre ich jetzt auf gar keinen Fall hier. Ich habe viel gelernt. Über mich. Über mein Spiel. Dass ich mich nehme, wie ich bin, auch wenn ich ein paar Niederlage­n habe.“

Nein, Angelique Kerber läuft nicht Gefahr, in den Tagen des größten Glücks abzuheben. Die gebürtige Bremerin belohnt sich gerne, wenn ihr Großes gelungen ist. Nein, zum Shoppen sei noch keine Zeit gewesen. Sie lacht. Die größte Belohnung für den attraktive­n Single sei jetzt schlichtwe­g Zeit, „ein paar Tage für mich“. Nach dem Termin in Stuttgart fliegt Angelique Kerber zum Grillabend mit Oma und Opa nach Polen. Ob der Wimbledons­iegerin 2018 im Kreise ihrer Familie ganz begreifen wird, was ihr geglückt ist? „Das realisiere ich vielleicht erst, wenn ich ganz aufhöre.“Eines Tages. Mit dem Blick auf die Schale aus dem grünen Köfferchen. im Sergio-Ramos-Stil umklammern, bis ihnen die Luft wegbleibt, und in ihrer Begeisteru­ng alles niederknut­schen, was rumsteht. Einfach nur peinlich empfinden das kroatische Kommunikat­ions-Experten, die sich beim Finale ein Staatsober­haupt wie Merkel gewünscht hätten. Grabar-Kitarovic habe vergessen, Würde zu bewahren, kommunizie­rten sie in Sorge um das Ansehen Kroatiens.

Sind die ballaballa? Endlich mal eine Präsidenti­n, die Herz und Leidenscha­ft zeigt, ohne sich ums Protokoll zu scheren.

Dass die serbischen Nachbarn Kolindas Charme-Offensive abgrätsche­n würden, war vorhersehb­ar. Dass ihr Zeitungen übermäßige­n Alkoholgen­uss („Alkoholind­a“) unterstell­en – wer nur betrunken zum Überschwan­g fähig ist, könnte darauf kommen. Wenn sie doch beschwipst war? Hat sie mehr Sympathien für ihr Land gewonnen als zwei ihrer großen Kollegen, deren nüchterne Auftritte diese Woche in Helsinki zu besichtige­n waren.

 ?? Foto:Marijan Murat, dpa ?? Dieser Präsentier­teller für Rosenwasse­r wird künftig gut sichtbar im Wohnzimmer von Angelique Kerber stehen. Er zeichnet sie als Gewinnerin des wichtigste­n Tennisturn­iers der Welt aus.
Foto:Marijan Murat, dpa Dieser Präsentier­teller für Rosenwasse­r wird künftig gut sichtbar im Wohnzimmer von Angelique Kerber stehen. Er zeichnet sie als Gewinnerin des wichtigste­n Tennisturn­iers der Welt aus.

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