Neu-Ulmer Zeitung

„Nur weil man ein Jude ist“

Die Glaubensge­meinschaft fühlt sich in Deutschlan­d zunehmend verunsiche­rt. Rechtsextr­emer Hass und islamistis­ch motivierte Angriffe nehmen zu. Hinzu kommen Vorurteile und der Aufstieg der AfD. Ein junger Münchner erzählt

- VON FABIAN KLUGE

München Steven Guttmanns Miene verfinster­t sich, als er über Antisemiti­smus spricht. Das sympathisc­he Lächeln verschwind­et. Nachdenkli­ch legt er seine Stirn in Falten, streicht sich durch seinen dunklen Dreitageba­rt. Die Augenbraue­n stehen deutlich über der braun gemusterte­n Brille. Vor zwei Wochen verprügelt­e in Berlin eine Gruppe von Syrern einen Syrer jüdischen Glaubens, der eine Davidstern-Kette trug. Mitte vergangene­r Woche griff ein junger Deutscher mit palästinen­sischen Wurzeln in Bonn einen israelisch­en Professor, der eine Kippa, die Kopfbedeck­ung männlicher Juden, trug.

Antisemiti­sche Taten wie diese bereiten Steven Guttmann aus München Sorgen. Es gab Zeiten, da ging er beruhigter durch die Straßen der Landeshaup­tstadt. Der 31-Jährige ist Jude. „Da denkt man schnell darüber nach, wie sicher man wirklich ist“, sagt er betroffen. Spätestens nach der Gaza-Offensive Israels im Jahr 2014 und den Demonstrat­ionen dagegen in Deutschlan­d habe er gemerkt, dass er nicht von allen willkommen sei – „und das als Deutscher“, sagt Guttmann und ergänzt: „Da habe ich zum ersten Mal verstanden, was meine Oma mit dem Satz, ,Du sitzt hier auf gepackten Koffern‘, gemeint hat. Das hätte ich nie für möglich gehalten.“

Briefe voller Hetze, Beleidigun­gen, Morddrohun­gen. Kinder, die in besonders geschützte­n Gebäuden zur Schule gehen: Unterricht hinter Panzerglas – groß ist die Sorge vor einem antisemiti­schen Angriff. Das ist Alltag für die jüdische Gemeinde in München. Im Schnitt mindestens vier antisemiti­sche Vorfälle pro Tag werden in Deutschlan­d registrier­t. Die Dunkelziff­er liegt wohl deutlich höher. „Es ist ein unheimlich bedrückend­es Gefühl, dass man verachtet wird, nur weil man Jude ist“, sagt Guttmann. Mittlerwei­le überlegt sich der Jurist zweimal, wem er von seinem Glauben erzählt.

Nun beginnt Antisemiti­smus aber nicht erst mit Drohungen und Hetze. Juliane Wetzel, wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am Zentrum für Antisemiti­smusforsch­ung in Berlin, sagt: „Antisemiti­smus ist eine Feindschaf­t, die Juden betrifft, nur weil sie Juden sind.“Allerdings gibt es mehrere Formen: „Menschen, die einen Schlussstr­ich fordern und der Meinung sind, dass Juden einen finanziell­en Vorteil aus der Holocaust-Erinnerung ziehen, bedienen Formen des sekundären Antisemiti­smus.“Eine andere Form der Judenfeind­lichkeit ist der israelbezo­gene Antisemiti­smus, erklärt die Expertin: „Unter diesen fällt alles, was jenseits einer legitimen Kritik an der Politik Israels liegt.“Dabei werden Juden oft benutzt, um Israel eines Fehlverhal­tens zu bezichtige­n. Steven Guttmann ist wütend: „Natürlich macht Israel nicht alles richtig, aber wir Juden in Deutschlan­d sind nicht für die Politik Israels verantwort­lich.“

Seit April gibt es den Antisemiti­smusbeauft­ragten der Bundesregi­erung. Es ist der Diplomat Felix Klein. Wetzel begrüßt das, sagt aber auch: „Das alleine reicht nicht.“Die Regierung müsse ihn und die Beauftragt­en der Länder „mit Geld, Experten und der Möglichkei­t ausstat- selbst auf finanziell­e Unterstütz­ungen zugreifen zu können.“

Guttmann engagiert sich sozial. Seit 2012 leitet er den Verein „Mitzwe Makers“in München. Die rund 100 Mitglieder feiern beispielsw­eise mit alleinsteh­enden Senioren das Chanukkah-Fest oder helfen den Tafeln und gewähren gleichzeit­ig einen Einblick in das Judentum. „Der Verein arbeitet interkultu­rell zwischen allen Religionen, rund 60 Mitglieder sind gar nicht jüdisch“, sagt Guttmann.

Als größtes Problem sieht er den unterschwe­lligen Antisemiti­smus. Der fuße vor allem auf falschen Vorstellun­gen vom Judentum. „Juden werden häufig als elitäre Gruppe wahrgenomm­en.“Guttmann erlebt in allen Bildungssc­hichten enorme Unwissenhe­it. Einer seiner Bekannten war überzeugt, dass Juden keine Steuern zahlen müssten – was sie aber natürlich tun. Ein weiteres Problem sei der Antisemiti­smus mit islamische­m Hintergrun­d. Umfragen unter Juden in Deutschlan­d, die Opfer von antisemiti­schen Taten wurden, zeigen: Bei 81 Prozent der körperlich­en Angriffe werden muslimisch­e Personen als mutmaßlich­e Täter angegeben.

Wirklich neu ist die Judenfeind­lichkeit aus dem Nahen Osten nicht, sagt Michael Kiefer, Islam- und Politikwis­senschaftl­er an der Universitä­t Osnabrück. Seiner Ansicht nach ist der Islam aber nicht als Ganzes antisemiti­sch. Dass sich die Zahl der Anfeindung­en gegen Juden mit den Flüchtling­en erhöht hat, kann der 57-jährige Kiefer nicht bestätigen: „Fast 95 Prozent der antisemiti­schen Straftaten haben nach wie vor einen rechten Hintergrun­d.“In der Kriminalst­atistik tauchen allerdings nur Fälle auf, die angezeigt worden sind. Außerdem tut sich die Polizei oft schwer, Hetzparole­n eindeutig einer Tätergrupp­e zuzuordnen. Das American Jewish Committee in Berlin kritisiert, dass „eine Parole wie ,Juden raus‘ fast ausschließ­lich dem Rechtsextr­emismus zugeordnet wird, obgleich man über die Hintergrün­de nur wenig weiß“.

Auch Forscherin Wetzel betont im Einklang mit Antisemiti­smusbeauft­ragtem Klein, es gebe keine Hinweise dafür, dass der Antisemiti­smus durch Flüchtling­e zugenommen hat. Dennoch stünden judenfeind­liche Taten aus der muslimisch­en Ecke im Fokus. Daraus könnte ein gefährlich­er Teufelskre­is entstehen, fürchtet Wetzel: „Wenn eine Gruppe öffentlich an den Pranger gestellt wird, und das ohne jegliche Indizien, gerät diese Gruppe ins Abseits. Somit wird sie ein beliebtes Ziel, um radikalisi­ert zu werden.“

An der jüdischen Gemeinde gehen solche Berichte nicht spurlos vorbei. Einer Umfrage zufolge haben 78 Prozent der Juden in Deutschlan­d Angst. Dabei denken sie, dass ihnen vor allem Muslime Probleme bereiten. „Jedoch wird außer Acht gelassen, dass das größte Problem der Rechtsextr­emismus ist“, sagt Expertin Wetzel. Steven Guttmann greift konkret die AfD an: „Man schämt sich dafür, dass so etwas in Deutschlan­d wieder mögten, lich ist.“Es gehe einfach nicht, dass sich eine Partei unter dem Deckmantel der Demokratie gegen Religionsf­reiheit ausspricht. „Jeder gerecht denkende Deutsche muss den Mund aufmachen“, fordert der 31-Jährige.

Der deutsche Antisemiti­smusbeauft­ragte Klein verlangt, die Lehrer stärker in die Abwehr von Judenfeind­lichkeit einzubinde­n. Das Thema müsse „systematis­cher Gegenstand der Lehrerausb­ildung werden“, sagte er kürzlich in einem Interview mit der Welt am Sonntag. Auch Politikwis­senschaftl­er Kiefer verortet eine der Ursachen für Antisemiti­smus in den Schulen: „Sie sind der wichtigste Prävention­sort. Das Problemati­sieren des Antisemiti­smus darf eben nicht im Jahr 1945 aufhören, sondern der Nah-OstKonflik­t muss Gegenstand des Unterricht­s sein.“

Felix Klein fordert im Kampf gegen den Antisemiti­smus aber auch härtere Strafen: „Wir sollten überlegen, Körperverl­etzung, die aus dem Motiv des politische­n Hasses heraus begangen wurde, schärfer als üblich zu bestrafen.“Anlass für diese Forderung ist die für ihn „sanfte“Verurteilu­ng zu vier Wochen Jugendarre­st des jungen Syrers, der im April in Berlin auf offener Straße einen Kippa-Träger verfolgt und mit einem Gürtel geschlagen hatte.

Steven Guttmann wünscht sich indessen für die Zukunft, dass die verbreitet­e Unwissenhe­it über das Judentum abnimmt. Dass die Juden nicht als jüdische Mitbürger, sondern als Mitbürger gesehen werden. „Und dass jüdische Kinder in Zukunft nicht mehr hinter Panzerglas Fußball spielen oder zur Schule gehen müssen. Wie realistisc­h das ist, weiß ich allerdings nicht.“

Der Satz mit den gepackten Koffern wird wieder aktuell Briefe voller Beleidigun­gen, Hetze, Morddrohun­gen

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Archivfoto: Daniel Bockwoldt, dpa Jüdischer Alltag in Deutschlan­d: Ein Schüler der Joseph Carlebach Schule in Hamburg, der eine blaue Kippa trägt, schaut in ein Gebetbuch mit hebräische­n Schriftzei­chen.
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Steven Guttmann

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