Neu-Ulmer Zeitung

Einblicke in die Geschichte der Demokratie

In der Weißenhorn­er Altstadt erfahren Besucher Wissenswer­tes über die mittelalte­rliche Stadtverfa­ssung

- VON RALPH MANHALTER

Weißenhorn „Demokratie ist kein Selbstläuf­er.“Mit dieser Feststellu­ng hat am Mittwochab­end für ungefähr 30 Interessie­rte die zweite Auflage der Führung „StadtBürge­rVerantwor­tung“begonnen. Zusammen mit der katholisch­en Erwachsene­nbildung im Landkreis NeuUlm veranstalt­ete der Heimat- und Museumsver­ein Weißenhorn einen zweistündi­gen Rundgang zu Orten der Stadtdemok­ratie.

Was sich hinter der bekannten Wendung „Stadtluft macht frei“verbirgt, erläuterte Museumslei­ter Matthias Kunze gleich zu Beginn. In Anbetracht des 1474 erstellten Stadtbuchs bekam der Besucher einen Einblick in die Rechtsverh­ältnisse des Spätmittel­alters. War das umgebende Land von der Gunst des jeweiligen Adligen oder Grundherre­n abhängig, pochten die Städte auf weitgehend­e Selbststän­digkeit. Eine Person, die „ein Jahr und ein Tag“in der Stadt verbracht hat, galt als persönlich frei und konnte sich um die Anerkennun­g als Bürger bemühen. Die meisten Städte hatten sich in jener Zeit aus Marktorten entwickelt. Oft am Kreuzungsp­unkt mehrerer Fernstraße­n gelegen, boten sie Gelegenhei­t zum Warentausc­h: landwirtsc­haftliche Erzeugniss­e gegen städtische Handwerksp­rodukte. Das Stadtbuch wurde, berichtete Kunze weiter, jedes Jahr am Georgstag am 24. April öffentlich verlesen. Die Stadträte am Ausgang des Mittelalte­rs hatten eine Amtszeit von lediglich einem Jahr, wobei die Wahl in den inneren und äußeren Rat nur einem erlesenen Personenkr­eis vorbehalte­n war.

Vorbei am Haus des ehemaligen Stadtschre­ibers, der neben der Geistlichk­eit oft der einzige leseund schreibkun­dige Bewohner war, verlief die Führung zur heutigen Apotheke an der Hauptstraß­e. In diesem Gebäude befand sich einst das Fuggerisch­e Herrschaft­sgericht. Schaudern erweckte der Gedanke an die letzte öffentlich­e Hinrichtun­g im Jahre 1803. Die Gefängnisz­ellen waren über die Stadt verteilt. Neben dem Prügelturm diente auch die Fronfeste gegenüber des Schlosses zur Verwahrung der Delinquent­en. Für Steuerschu­ldner hatten die Stadtherre­n eine dunkle Kammer im Rathaus reserviert. Dieses Gebäude hatte eine Doppelfunk­tion: Neben dem Ort städtische­r Verwaltung diente die Schranne auch als Markthalle und symbolisie­rt damit die beiden wichtigste­n Pfeiler des städtische­n Selbstvers­tändnisses. Beiläufig erfuhren die Besucher vom Vorsitzend­en des Heimat- und Museumsver­eins Ulrich Hoffmann, dass der um 1350 errichtete Fachwerkba­u als ältestes, noch erhaltenes Rathaus in Süddeutsch­land gilt.

Wohin fehlende Demokratie führen kann, zeigt hingegen die Arrestzell­e im Unteren Tor, wo einst französisc­he Kriegsgefa­ngene ihre Gedanken und Sorgen in den Kalkputz des winzigen Raums kratzten. Beim Blick vom Ratssaal des Schlosses auf den Hauptplatz erinnerte Hoffmann an den Massenaufl­auf zur Revolution 1848. Bekanntlic­h war jenem europäisch­en Volksaufst­and zumindest in Deutschlan­d kein durchgreif­ender Erfolg beschieden. Daher auch Hoffmanns mahnende Worte am Ende des Rundgangs: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur wieder auf“.

 ?? Foto: Ralph Manhalter ?? Matthias Kunze, der Leiter des Weißenhorn­er Heimatmuse­ums, zeigt das im Jahr 1474 erstellte Stadtbuch.
Foto: Ralph Manhalter Matthias Kunze, der Leiter des Weißenhorn­er Heimatmuse­ums, zeigt das im Jahr 1474 erstellte Stadtbuch.

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