Leichter ohne Termin zum Arzt
Gesundheitsminister Spahn will den Praxen mehr Zeit für ihre Patienten verschreiben. Das soll sogar extra bezahlt werden. Warum er damit nur auf wenig Gegenliebe stößt
Augsburg Patienten sollen bei Haus-, Kinder- oder Frauenärzten schneller drankommen – auch ohne zuvor vergebenen Termin. Das strebt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an, der dies auch von den Kassen extra belohnt sehen will. Bei den Ärzten, zumindest bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), kommt er damit überhaupt nicht an: „Das führt zu Chaos in den Praxen“, heißt es in einer Erklärung des Verbandes.
In einem Interview mit dem Ärzteblatt sagte der Minister angesichts langer Wartezeiten für einen Termin und überfüllter Notaufnahmen in den Krankenhäusern, die Regierung wolle den Zugang der Patientinnen und Patienten zur Versorgung verbessern: „Ärzte, die uns dabei helfen, sollen höher und außerhalb des Budgets vergütet werden.“Bedenken der Krankenkassen wies Spahn schroff zurück: „Wenn wir im Gesetz festschreiben, dass es eine zusätzliche Vergütung gibt, dann gibt es eine. Punkt.“
Bereits im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist festgeschrieben, dass Kassenärzte die Zahl der Mindestsprechstunden pro Woche von 20 auf 25 Stunden erhöhen sollen. Den Gesetzentwurf will Spahn in Kürze vorlegen. Zusätzlich strebt der Minister fünf „offene Sprechstunden“pro Woche an, in die Patienten kommen können, die keinen Termin haben. Patienten könnten in dieser Zeit „schnell etwas abklären lassen“. Das, so Spahn, wirke wie ein Überlaufventil bei zu langen Terminwartezeiten.
Welche Praxen das anbieten müssen, sollen Krankenkassen und Ärzteschaft aushandeln. Es soll auf alle Fälle besser honoriert werden. Ebenso die Bereitschaft von Ärzten, Patienten aufzunehmen, die über Terminservicestellen in die Praxis vermittelt wurden.
Der Minister betonte allerdings auch, er wisse, dass viele Ärzte die zeitlichen Anforderungen „schon übererfüllen“. Durch klarere Vorgaben, so Spahn, „schützen wir genau diese große Mehrheit der Ärzte, die teilweise bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit arbeitet, vor einer Minderheit, die ihren Versorgungsauftrag nicht voll ausfüllt“.
Der Hausärzteverband lobt Spahns Vorstoß als Schritt in die richtige Richtung, lehnt aber „verpflichtende Regelungen, die den Ärztinnen und Ärzten vorschreiben, wie sie konkret ihren Praxisalltag zu organisieren haben“, ab, so Verbandschef Ulrich Weigeldt. „Der Vorschlag ist gut gemeint, aber wird kein Problem lösen, dafür neue schaffen“, sagt hingegen KBV-Vorstandsvorsitzender Andreas Gassen. Er erwartet statt einer besseren Versorgung längere Wartezeiten in den Praxen. Sein Stellvertreter Stephan Hofmeister fügte hinzu: „Die offenen Sprechstunden werden in der Regel nicht die Kranken nutzen , die schnell ärztliche Hilfe brauchen.“
Der Augsburger Gesundheitsforscher Professor Gerhard F. Riegl zeigt Verständnis für die Skepsis der KBV. Der Vorstoß von Spahn berge „viele Tücken“, zum Beispiel die zusätzlichen Dokumentationspflichten. Riegl spricht von einem „bürokratischen Moloch“. Fünf Stunden ohne festgelegte Termine würden tatsächlich „Tür und Tor öffnen für Chaos“. Der Wissenschaftler, der sich seit Jahren intensiv mit Abläufen in den Arztpraxen befasst, empfiehlt stattdessen allen Medizinern, für nicht Planbares wie Notfälle oder Patienten ohne Termin immer einen Zeitpuffer bei der Terminvergabe einzubauen.
Der Spahn-Vorschlag treffe aber insbesondere die zunehmende Zahl der Ärztinnen, die wegen des Familienlebens ihre Zeit oftmals anders einteilten als ihre männlichen Kollegen, sagt Riegl. Er rechnet mit erheblichen Mitnahmeeffekten. Denn viele Ärzte hätten die fünf Stunden mit Patienten ohne festen Termin schon heute schnell voll. Dann würden sie zusätzliches Geld bekommen, ohne dass sich die Gesamtversorgung verbessert. »Kommentar
„Ärzte, die uns dabei helfen, sollen höher vergütet werden.“Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU)