Lebensgefährlicher Koloss
Ein gigantischer Eisberg bedroht die Sicherheit der Siedlung Innaarsuit. Jetzt können die Behörden zumindest ein Stück weit Entwarnung geben
Innaarsuit Auf einmal war er da – fast wie in einem Hollywood-Katastrophenfilm: Am Donnerstag der vergangenen Woche hatte sich ein gigantischer Eisberg vor dem 169 Einwohner zählenden Küstendorf Innaarsuit im Westen Grönlands aufgetürmt. An der höchsten Stelle ragte der gestrandete Koloss 90 Meter aus dem Wasser. Laut Schätzungen ist er insgesamt 250 Meter hoch und bis zu elf Millionen Tonnen schwer. Immer wieder brachen Teile von ihm ab und stürzten, große Wellen vor dem Dorf verursachend, ins Meer. Wenn ein zu großes Stück sozusagen auf der falschen Seite abgebrochen und ins Wasser gestürzt wäre, hätte es eine zerstörerische Flutwelle auf das Dorf geben können.
Die Behörden hatten deshalb den Gemischtwarenladen des Dorfes, weitere Einrichtungen und die Häuser von 33 Einwohnern – alle Gebäude befinden sich nicht hoch genug über dem Meeresspiegel – evakuieren lassen. Die meisten Betroffenen kamen bei Verwandten in Nachbardörfern unter. Oder im Gemeindehaus. Es war zu diesem Zeitpunkt niemandem klar, ob die eisige Belagerung des Dorfes Monate anhalten oder schon nach wenigen Tagen vorbei sein würde.
Doch nun können die Dorfbewohner – zumindest ein wenig – aufatmen. Denn der gestrandete Koloss hatte sich dank Hochwassers und starkem Wind langsam 500 Meter weiter in Richtung Norden bewegt. Am Dienstag vergrößerte sich der Abstand noch etwas mehr.
Die Polizei verringerte dann die Sperrzone am Ufer von zehn auf fünf Meter über dem Meeresspiegel. Mehrere Dorfbewohner dürfen nun heim. Aber die Betreiber des Gemischtwarenladens der Kette Pilersuisoq, die Mitarbeiter des Elektrizitätswerks als auch mehrere Einwohner, die zu nah an der Küste wohnen, müssen noch warten.
Die 25 Arbeiter der lokalen Fischfabrik hingegen konnten ihre Arbeit wieder aufnehmen. Zunächst hatten sie befürchtet, dass 175 Tonnen eingelagerter Fisch verderben – sollte die Evakuierung länger andauern.
Treibende Eisberge sind an der Küste Grönlands eigentlich ganz normal. Sie gehören zum Panorama. Dieser Eisberg aber ist besonders groß und er war ausgerechnet vor dem Dorf auf Grund gelaufen. Die Marine Dänemarks (Grönland ist eine teilautonome Region Dänemarks) hatte sofort das Erkundungsschiff „Knud Rasmussen“entsandt. Es sollte zur Rettung von Menschenleben bei einer eventuellen Flutwelle beitragen. Auch Luftaufnahmen ließ das dänische Militär anfertigen.
Seit sich der Koloss etwas wegbewegt, sind die Einwohner von Innaarsuit wieder entspannter. „Wir sind große Eisfelder gewöhnt“, sagte Einwohnerin Susanne Eliassen dem grönländischen Rundfunk KNR. Gänzlich vorbei ist die Gefahr aber noch nicht. Etwa, wenn ein sehr großes Stück vom Eisberg abkönnte bricht – auch wenn er sich schon entfernt hat.
Erst im vergangenen Sommer, am 17. Juni 2017, war es, ebenfalls in Westgrönland, zu einer Katastrophe gekommen. Ein Erdrutsch hatte damals eine gewaltige Flutwelle ausgelöst, die das Dorf Nuugaatsiaq traf. Menschen starben und Häuser wurden weggespült. Auf der riesigen Insel Grönland (sechsmal so groß wie Deutschland) leben nur 56 000 Einwohner.