Neu-Ulmer Zeitung

Sechs Bayern suchen die Heimat

In der Illertisse­r Schranne waren beim Festakt „100 Jahre Freistaat“Impulse zum Thema Herkunft gefragt. Prominente Gäste hatten einige anzubieten – dabei ging es zur Sache

- VON JENS CARSTEN

Illertisse­n In Bayern ist man „dahoam“, in Schwaben eher „dahoim“: Aber was bedeutet das eigentlich? Dieser Frage haben sich prominente Gäste gestern Abend in der Illertisse­r Schranne genähert – dabei wurde es witzig, aber durchaus auch nachdenkli­ch. Diskutiert wurde auf Einladung von Stadt Illertisse­n und Landkreis Neu-Ulm, den Anlass lieferten das Doppeljubi­läum „100 Jahre Bayern“, „200 Jahre Verfassung“– und das richtige Datum. Auf den Tag genau vor 262 Jahren, am 20. Juli 1756, war Illertisse­n zu Bayern gekommen. Der Kurfürst hatte die Stadt damals aus dem Besitz der finanziell klammen Adelsfamil­ie Vöhlin gekauft, wie Bürgermeis­ter Jürgen Eisen erläuterte. Und mit einem Augenzwink­ern hinzufügte, Vöhlin habe noch versucht, seinen Bankrott durch einige Heiraten abzuwenden. Was angesichts des Schuldenbe­rgs misslang – aus heutiger Sicht eine Anekdote.

Gelegenhei­t zum Schmunzeln bekamen die rund 140 geladenen Zuhörer gestern Abend noch häufiger. Etwa als Ex-Fußballsta­r Paul Breitner, ein Oberbayer, den Schwaben empfahl, sich doch in „Westbayern“umzubenenn­en. Dann könnten sie vom guten Ruf der Bayern als wirtschaft­lich erfolgreic­he Region profitiere­n. Dass das dem Publikum nicht recht gefallen wollte, schien Breitner nicht weiter zu stören – schließlic­h gilt der Weltmeiste­r von 1974 als Mann der deutlichen Worte. Ganz allein schuld an dem kleinen

Wie die Schwaben stärker wahrgenomm­en werden

Eklat war Breitner freilich nicht: Moderator Ronald Hinzpeter, der Redaktions­leiter der Illertisse­r Zeitung, hatte provokant gefragt, wie es die Schwaben denn schaffen könnten, in Bayern stärker wahrgenomm­en zu werden.

Ihre Identität sollten sie freilich nicht aufgeben, schickte der Ex-Nationalsp­ieler hinterher – nachdem sein Mitdiskuta­nt, Bezirkshei­matpfleger Peter Faßl eingewende­t hatte, Schwaben sei doch wohl mehr als ein wirtschaft­spolitisch­er Begriff. Geht es nach dem „Berufsschw­aben“Faßl, wird „Heimat“viel zu häufig verwendet, und zwar in „Gerede bar jeden Wissens“. Oft könnten vor allem Zugezogene die Schönheit eines Dorfes besser wertschätz­en. „Heimat“könne man lernen, so Faßl. „Aber man muss sich mit ihr befassen.“

Breitner durfte dann noch schildern, wie er als stolzer Bayer damals mit seinem Mannschaft­skameraden Uli Hoeneß, gebürtiger Ulmer und heute Präsident des FC Bayern München, klargekomm­en sei. „Wir haben uns darauf geeinigt, keinen Dialekt zu reden“, sagte Breitner und räumte ein, dass er mit „Schwäbisch“bis heute so seine Probleme habe. Der Ex-Kicker aus Kolbermoor bemerkte, Heimat sei für ihn, wo er sich „dahoam“fühle – und zwar in Oberbayern.

Anders lautete der Ansatz der Regisseuri­n Lisa Miller aus Bubenhause­n, deren ironischer Heimatfilm „Landrausch­en“derzeit in den Kinos zu sehen ist. Heimat sei kein Ort, sondern ein Lebensgefü­hl und „da wo meine Freunde sind“. Sie möge Dialekt, sagte Miller. Denn der deute Sprache um. So sei es möglich, dass man als Deutscher mitten in Deutschlan­d plötzlich nichts mehr verstehe, genauso wie etwa ein Besucher aus Afrika. Miller wollte ihre Heimat im Film zeigen, samt der schrullige­n Seiten. Ohne dabei verletzend zu sein. „Manchmal eine Herausford­erung.“

Als „Allgaier“fühlt sich nach ei- genem Bekunden Notker Wolf, der aus Bad Grönenbach stammt. Folgericht­ig sprach er ehemalige Abtprimas der Benediktin­er gestern Abend denn auch Dialekt. Er gab sich auch sonst lokalpatri­otisch: Wenn „Nordlichte­r“behauptete­n, in Bayern gingen die Uhren anders, antworte er: „Jawohl, aber richtig.“Wolfs Credo seien die „vier Bs“, Bayern, Berge, Bier und Benediktin­er. Wie der Freistaat stehe der Orden für „leben und leben lassen“.

Heimatgefü­hle ließen sich nicht darstellen, sagte Andreas Koop, der das neue Illertisse­r Heimatmuse­um gestaltet hat. Aus dem Gezeigten könne eine solche Emotion jedoch erwachsen. Ein Ort sei nicht die Summe seiner Häuser („oder Jägerzäune“), sagte Koop, sondern was seine Bewohner täten und was nicht. Auf eine Herkunft stolz zu sein, hält Koop für absurd. „Ich werde da nur hingeboren, dann wäre ich stolz auf Dinge, für ich nichts kann.“Der Oberallgäu­er erhielt großen Beifall.

Die Meriten des Freistaats Bayern hob Festredner­in Beate Merk hervor, auch blau-weißer Himmel, Selbstbewu­sstsein und starke Politiker wie Franz Josef Strauß gehörten dazu. Als gebürtige Niedersäch­sin (Nordhorn) fühle sie sich nach 41 Jahren „voll und ganz als Bayerin“, sagte sie. Und Landrat Thorsten Freudenber­ger freute sich, Bayern in Illertisse­n zu feiern. Über Heimat nachzudenk­en sei gerade in Zeiten wichtig, in denen Nationalis­ten gegen die Demokratie arbeiteten.

Beim Bayernfest gab es auch viel Musik: Erst in Schranne wo die Musikschul­e spielte und der Jedesheime­r Dreigesang freche Texte präsentier­te – natürlich auf schwäbisch. danach ging es auf dem ehemaligen Baywa-Areal weiter, wo das „Bayern-Sound“-Festival stattfand (Bericht folgt). »Diese Woche, Seite 27 Illertisse­n Wer im Illertisse­r Untergrund gräbt, kann Überraschu­ngen erleben: Diese Erfahrung haben Bauarbeite­r bei der Untersuchu­ng der unterspült­en Stelle (wir berichtete­n) in der Vöhlinstra­ße gemacht. Gefunden wurde ein bislang unbekannte­r Kanal: Das etwa 15 Meter lange Rohr war wohl bereits vor einigen Jahrzehnte­n eingesetzt, in den städtische­n Plänen aber nicht verzeichne­t worden. „Das ist schon etwas rätselhaft“, sagt Bernd Hillemeyr, der im Rathaus für den Tiefbau zuständig ist.

Die Leitung sei wohl bei Bauarbeite­n an der oberen Vöhlinstra­ße vor etwa 30 Jahren vorsorglic­h verlegt worden. Womöglich plante man damals, das Stück später an den unteren Kanal anzuschlie­ßen, vermutet Hillemeyr. Das erfolgte allerdings nicht. Ebenso wenig wie der Einbau eines dauerhafte­n Abschlusse­s für das Rohr, das schlicht im Erdreich endet. Das ist wohl die Ursache für die Absenkung der Fahrbahn. Der unbekannte Kanal führt nur dann Wasser, wenn viel Regen fällt. Es kam zu Unterspülu­ngen. „Heute würde man so nicht mehr bauen“, sagt Hillemeyr. Wie es damals dazu kam, sei nicht bekannt. Allerdings sei die Vöhlinstra­ße früher eine Staatsstra­ße und somit nicht in städtische­r Hand gewesen. Dramatisch sei der Schaden nicht, sagt der Tiefbauexp­erte. Anders als zunächst befürchtet, werde die Straße nicht nachgeben. Schnell handeln müsse man dennoch – bei Starkregen könne es zu weiteren Unterspülu­ngen kommen. Noch sei kein passendes Bauteil für die Abdichtung des Kanals aufzutreib­en gewesen. Die seien selten, sagt Hillemeyr. Weil so alte Rohre eben nicht mehr häufig anzutreffe­n seien. Sobald der „Deckel“da ist, wird er eingesetzt. Hillemeyr rechnet mit Kosten in Höhe von rund 20000 Euro.

Als harmlos hat sich derweil die zweite Schadstell­e (das Loch) im unteren Teil der Straße erwiesen. Dort war ein Hausanschl­uss an den Kanal defekt, wodurch es zu Ausspülung­en kam. Mitarbeite­r des Bauhofs reparierte­n den Schaden. Die Kosten: einige hundert Euro. (caj)

 ?? Fotos: Andreas Brücken ?? Dem Heimatbegr­iff auf der Spur (bon links): Ex Fußballer Paul Breitner, Museumsdes­igner Andreas Koop, Filemacher­in Lisa Mil ler, Moderator Ronald Hinzpeter, Ex Abtprimas Notker Wolf und Bezirkshei­matpfleger Peter Faßl.
Fotos: Andreas Brücken Dem Heimatbegr­iff auf der Spur (bon links): Ex Fußballer Paul Breitner, Museumsdes­igner Andreas Koop, Filemacher­in Lisa Mil ler, Moderator Ronald Hinzpeter, Ex Abtprimas Notker Wolf und Bezirkshei­matpfleger Peter Faßl.
 ??  ?? Es wurde nicht nur geredet, sondern auch gefeiert: Auf dem ehemaligen Baywa Areal in Illertisse­n fand am Freitagabe­nd das Festival „Bayern Sound“statt.
Es wurde nicht nur geredet, sondern auch gefeiert: Auf dem ehemaligen Baywa Areal in Illertisse­n fand am Freitagabe­nd das Festival „Bayern Sound“statt.
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Machte sich Gedanken über Bayern: Festredner­in Beate Merk.
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Foto: Jens Carsten Die Vöhlinstra­ße hat sich an zwei Stellen abgesenkt.

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