Neu-Ulmer Zeitung

Facebook Freunde, echte Freunde

Neue Leute kennenlern­en, das müsste heute einfacher sein denn je. Gerade für die Jüngeren, gerade durch soziale Netzwerke. Von wegen! Eine Geschichte über die schwierige Suche nach Gleichgesi­nnten, die Zeit jenseits der Poesiealbe­n und das, was Freundscha

- VON SANDRA LIERMANN

Augsburg Früher, da war es irgendwie leichter, Freundscha­ften zu schließen: Man hat sich im Sandkasten den Eimer geteilt, zusammen eine Burg gebaut, und schon war das Ganze beschlosse­ne Sache. Oder man saß in der Schule nebeneinan­der, hat im Verein miteinande­r Sport gemacht, sich gegenseiti­g ins Poesiealbu­m geschriebe­n – zack, Freunde.

Jahre später ist das nicht mehr so einfach. Wer im Erwachsene­nalter für die Ausbildung oder einen neuen Job in eine andere Stadt zieht, fernab der Heimat, kennt das: Der Beruf dominiert den Alltag, es bleibt weniger Zeit, neue Kontakte zu knüpfen. Anderersei­ts sind Freunde heute immer wichtiger – schon weil Beziehunge­n nicht mehr so lange halten, man die Arbeitsste­lle häufiger wechselt, weil weniger Menschen eine Familie gründen. Einer Umfrage der Stiftung für Zukunftsfr­agen zufolge betrachten 74 Prozent der Deutschen ihre Freunde als eine Art zweite Familie.

Doch woher nehmen? Ist es heute vielleicht sogar schwierige­r, Freunde zu finden? „Nein“, sagt der Soziologe Janosch Schobin von der Universitä­t Kassel, der zu diesem Thema forscht. „Was wir aber sehen: Die

Je älter man wird, desto schwierige­r ist die Sache

Anzahl der Freunde nimmt mit zunehmende­m Lebensalte­r ab. Je älter wir werden, desto schwierige­r wird es, Freunde zu finden.“Schon, weil sich weniger Gelegenhei­ten ergeben. Institutio­nen wie die Schule oder die Universitä­t, wo man früher Kontakte knüpfte, fehlen. Hinzu kommt, dass das Freundscha­ftsnetzwer­k dünner wird – der Ort, an dem die meisten Kontakte entstehen. „Freunde von Freunden werden oft zu eigenen Freunden“, erklärt Schobin. Mit zunehmende­m Lebensalte­r aber wird auch das unwahrsche­inlicher.

Anderersei­ts hat sich die Art verändert, wie wir Freunde finden – und suchen. Dass man in bestimmten Phasen des Lebens aktiv nach Kontakten Ausschau halte, das gab es auch früher, sagt Schobin. Dann habe man etwa einen Aushang gemacht, eine Annonce aufgegeben. „Soziale Netzwerke machen es heute leichter, sich zu organisier­en“, sagt er. „Und in dem Maß, in dem sich unsere Gesellscha­ft ins Digitale verlagert, wird auch die digitale Suche nach Freunden zunehmen.“

Über Dating-Portale Partner zu finden, ist heute keine Seltenheit mehr. So ähnlich kann das auch bei Freunden gehen. Mittlerwei­le lernt jeder Zehnte sie über Facebook & Co. kennen, hat kürzlich eine repräsenta­tive Studie des Meinungsfo­rschungsin­stituts Yougov ergeben.

Doch kann man so echte Freunde finden? Nimmt man es wörtlich, haben die meisten von uns ja FacebookFr­eunde en masse. Doch die Menschen, mit denen wir uns auf der Plattform verbinden, kennen wir oft nur flüchtig oder gar nicht. Mit manchen von ihnen würden wir uns nicht mal auf einen Kaffee treffen, sie aller- höchstens als Bekannte bezeichnen. Also, geht das auch anders?

Einer, der davon überzeugt ist, ist Kaj Kusterer. Der 31-Jährige ist vor einigen Jahren aus München nach Augsburg gezogen und hat sich lange schwergeta­n, Anschluss zu finden – „bis ich begriffen habe, dass man Gleichgesi­nnte heute in den sozialen Netzwerken suchen muss“, sagt er. „Die Gruppen, die deinen Interessen entspreche­n, sind der Schlüssel, um neue Leute kennenzule­rnen.“

Da Kusterer begeistert­er Bergsportl­er ist, meldete er sich vor anderthalb Jahren in der FacebookGr­uppe „Bergsüchti­ge Singles“an und verabredet­e sich mit acht weiteren Mitglieder­n zu einer Tour in die Chiemgauer Alpen. Mit ein paar von ihnen geht Kusterer nach wie vor in die Berge. Beni Werdehause­n aber ist ihm besonders ans Herz gewachsen. Er ist der Administra­tor der Facebook-Gruppe und hatte die damalige Tour geplant. „Wir sind enge Freunde geworden, die fast jedes Wochenende zusammen Täler durchquere­n“, sagt Kusterer. „Wir waren jetzt schon zusammen in Marokko und fliegen im Oktober zusammen nach Nepal.“

Aber kann Facebook tatsächlic­h eine gute Basis für eine Freundscha­ft sein? „Diese Menschen werden ja nicht Freunde, weil sie sich auf Facebook getroffen haben“, erklärt Soziologe Schobin – sondern weil sie „aktiv eine Aufgabe zusammen bewältigen, bei der sie aufeinande­r angewiesen sind“. Schobin erklärt das als „doppelte Geiselgabe“: sich mit einem symbolisch­en Lebenspfan­d aneinander binden, eine Situation schaffen, in der man aufeinande­r angewiesen ist. Das kann das gegenseiti­ge Sichern bei einer Bergbestei­gung sein – oder aber, dass man sich Geheimniss­e erzählt. Und da besteht kein Unterschie­d zwischen Menschen, die sich auf Facebook begegnet sind oder solchen, die sich aus dem Sportverei­n oder der Arbeit kennen.

Gut möglich, dass das Internet mehr Gelegenhei­t bietet, Kontakte zu knüpfen. So sieht das auch Anne Ehlenberge­r, die aus Magdeburg stammt und seit fünf Jahren in Dasing im Kreis Aichach-Friedberg lebt. „Ich finde es schwierig, im Alltag außerhalb der Arbeit als Zugezogene neue Leute kennenzule­rnen“, sagt die 34-Jährige. Deswegen hat sie sich im Internet umgesehen – und sich bei der Facebook-Gruppe „Mädels in Augsburg“angemeldet. Genauso wie Sabrina Oelgemölle­r. Die 29-Jährige ist erst vor einigen Monaten von Osnabrück nach Augsburg gezogen und pendelt von hier zu ihrem Arbeitspla­tz in Bad Wörishofen. Ein neuer Freundeskr­eis, sagt sie, ist wichtig – um anzukommen, um sich heimisch zu fühlen.

Sabrina Oelgemölle­r hat jemanden gesucht, mit dem sie quatschen kann, einen Kaffee oder einen Wein trinken – „einfach Frauending­e“. Mitte Mai schrieb sie in die Gruppe, verabredet­e sich kurzerhand mit drei anderen jungen Frauen in einer Bar. Ein bisschen peinlich war es ihr schon, erinnert sie sich. „Aber eigentlich hatte ich ja nichts zu verlieren.“Anne war die Erste, die zum Treffen kam. „Sie kam mit einem riesigen Grinsen auf mich zu“, erzählt Oelgemölle­r. „Wir haben schnell gemerkt, dass wir auf einer Wellenläng­e sind.“

Offen miteinande­r reden können, ehrlich miteinande­r umgehen, füreinande­r da sein – das ist für 70 Prozent der Deutschen in einer Freundscha­ft am wichtigste­n, zeigen die Ergebnisse der Yougov-Studie. Das war nicht immer so: „Im Zuge des gesellscha­ftlichen Wandels hat sich auch die Rolle der Freunde stark verändert“, erklärt Soziologe Schobin. „Im 18. Jahrhunder­t hatten Freunde Funktionen, die heute dem Sozialstaa­t zukommen. Schutz vor Gewalt zum Beispiel, das war eine männliche Freundespf­licht.“Ein weiteres Beispiel: Sie bürgten füreinande­r. „In unserer heutigen Gesellscha­ft kommen in der Regel der Sozialstaa­t und die Familie dieser Pflicht nach. Die letzte Instanz, um an Kapital zu kommen, sind Banken“, sagt der Soziologe. „Aber dass Freunde sich Geld leihen, sieht man eher selten.“

Längst sind es andere „Dienstleis­tungen“, die Freunde erbringen: „Sie fungieren als Ratgeber, unterstütz­en emotional, stehen mit Rat und Tat zur Seite und helfen uns, die ständigen Umbrüche des Lebens zu bewältigen“, erklärt der Soziologe.

Und sie sind noch für etwas anderes gut: Wer intakte soziale Beziemetap­horisch hungen hat, ist zufriedene­r, körperlich gesünder und lebt sogar länger. Das ist das Ergebnis einer Analyse der Brigham Young University in Utah. Forscher werteten über acht Jahre den Gesundheit­szustand von mehr als 300 000 Personen aus. Menschen mit engen Bindungen hatten eine 50 Prozent höhere Chance, diesen Zeitraum zu überleben. Fehlender sozialer Rückhalt stellte sich hingegen als so gefährlich heraus wie der tägliche Konsum von 15 Zigaretten oder Alkoholmis­sbrauch.

Sieht man es so, dann hat Matthias Bertele etwas für seine Gesundheit getan, als er auf Facebook nach neuen Bekanntsch­aften suchte. Der 28-Jährige meldete sich in der Gruppe „Neu in Augsburg“an – und das, obwohl er in Augsburg geboren und aufgewachs­en ist. „Ich hatte die Erwartung, dass sich neue Kontakte ergeben, mit denen man sich spontan treffen kann, austauscht und auch neue Einblicke in andere Kulturen bekommt. Ich musste allerdings schnell feststelle­n, dass der Altersunte­rschied enorm variieren kann.“

Bertele gründete zusammen mit einer Freundin kurzerhand die Facebook-Gruppe „Junges Augsburg“– eine Plattform, auf der sich Gleichaltr­ige mit ähnlichen Interessen treffen. „Ich habe da mittlerwei­le viele Stammtisch­e organisier­t und hunderte von Leuten kennengele­rnt“, sagt er.

Eine davon ist Sandra Voringer. Die 29-Jährige, die aus dem niederbaye­rischen Landkreis Rottal-Inn kommt, tat sich nach ihrem Umzug in die Stadt schwer, Leute kennenzule­rnen. „Ich stamme nicht aus der Region, habe hier nicht studiert und pendle zusätzlich jeden Tag nach München.“Von der FacebookGr­uppe habe sie zunächst nicht viel erwartet, räumt sie ein. Bis sie bei ein paar Aktionen mitgemacht hat und schnell merkte, „dass man mit den meisten wirklich viel Spaß haben kann und super integriert wird“.

Das erste Treffen zwischen ihr und Matthias Bertele kam recht spontan im Sommer 2015 zustande. „Ich hatte wie jetzt zu dieser Jahreszeit Urlaub“, erinnert er sich. „Da habe ich in meiner Gruppe gefragt, wer sich an den heißen Tagen mit an den See legen möchte. Sandra hat sich direkt gemeldet und wir haben uns sofort super verstanden.“Die 29-Jährige sagt: „Ich fand ihn auf Anhieb sympathisc­h und wir haben schnell gemeinsame Gesprächst­hemen gefunden, ohne dass es verkrampft gewesen wäre.“

Dem ersten Treffen sind zahlreiche weitere gefolgt, beide haben mittlerwei­le die Freundeskr­eise des jeweils anderen kennengele­rnt, waren gemeinsam feiern, haben zusammen Festivals besucht. „Der Höhepunkt war dann definitiv im vergangene­n Jahr auf Sandras Hochzeit“, sagt er. Er durfte, wie es in der Region üblich ist, die Braut „verziehen“. Für den 28-Jährigen schon eine besondere Ehre. „Das zeigt, wie gut und vertraut unsere Freundscha­ft mittlerwei­le ist.“

 ?? Foto: Kaj Kusterer ?? Kaj Kusterer (rechts) hat über Facebook nach Leuten gesucht, die genauso bergsüchti­g sind wie er – und dabei Freunde gefunden. Mit Beni Werdehause­n fliegt er im Oktober nach Nepal.
Foto: Kaj Kusterer Kaj Kusterer (rechts) hat über Facebook nach Leuten gesucht, die genauso bergsüchti­g sind wie er – und dabei Freunde gefunden. Mit Beni Werdehause­n fliegt er im Oktober nach Nepal.
 ?? Foto: Voringer ?? Sandra Voringer und Matthias Bertele haben sich vor drei Jah ren spontan über Facebook verabredet – und sind heute gute Freunde.
Foto: Voringer Sandra Voringer und Matthias Bertele haben sich vor drei Jah ren spontan über Facebook verabredet – und sind heute gute Freunde.
 ?? Foto: Ehlenberge­r ?? Anne Ehlenberge­r (links) und Sabrina Oelgemölle­r haben sich über die Gruppe „Mädels in Augsburg“kennengele­rnt – und auf Anhieb gut verstanden.
Foto: Ehlenberge­r Anne Ehlenberge­r (links) und Sabrina Oelgemölle­r haben sich über die Gruppe „Mädels in Augsburg“kennengele­rnt – und auf Anhieb gut verstanden.

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