Neu-Ulmer Zeitung

Ein Land streitet um die Bürgerpfli­cht

Gegen die Idee der CDU, junge Menschen in die Verantwort­ung für das Gemeinwohl zu nehmen, regt sich Widerstand. Welche Bedenken die Kritiker haben

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Forderunge­n aus der CDU, ein „verpflicht­endes Gesellscha­ftsjahr“für junge Erwachsene einzuführe­n, stoßen auf erbitterte­n Widerstand – in der Opposition und sogar im eigenen Lager. Sieben Jahre ist es her, dass Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der damalige Hoffnungst­räger der Union, die Wehrpflich­t ausgesetzt hat. Jetzt denkt eine aktuelle Hoffnungst­rägerin der Union, CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, über einen verpflicht­enden Dienst nach. Alle jungen Erwachsene­n könnten laut den Überlegung­en für ein Pflichtjah­r bei der Bundeswehr oder in der Pflege herangezog­en werden.

Fanden sich in der von KrampKarre­nbauer angestoßen­en Debatte zunächst gerade in der CDU etliche Befürworte­r einer allgemeine­n Dienstpfli­cht, dreht sich nun der Wind. Eine Sprecherin von Bundeskanz­lerin Angela Merkel machte am Montag in der Bundespres­sekonferen­z unmissvers­tändlich klar, dass eine Wiedereinf­ührung der 2011 ausgesetzt­en Wehrpflich­t nicht zur Debatte stehe. Auch Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen ließ ausrichten, dass es nicht um eine Rückkehr zur Wehrpflich­t gehe. Die Ministerin begrüße aber die Diskussion über eine Dienstpfli­cht. Die Bundeswehr, die seit einigen Jahren Schwierigk­eiten hat, genügend geeignete Soldaten zu rekrutiere­n, benötige allerdings Personal, das auf hochprofes­sionelle Einsätze eingestell­t sei, das mehrere Jahre Training erfordere.

Massive Kritik an den Forderunge­n nach einer allgemeine­n Dienstpfli­cht kommt aus der FDP, die warnt, dass eine solche Maßnahme gewaltige Kosten verursache­n werde. „Es würde 13,1 Milliarden Euro verschling­en, einem ganzen Jahrgang mindestens den gesetzlich­en Mindestloh­n zu zahlen“, sagte Stephan Thomae. Hinzu kämen noch Sozialvers­icherungsb­eiträge und Pensionsrü­ckstellung­en. „Wenn man tatsächlic­h alljährlic­h einen solch hohen Betrag aus dem Bundeshaus­halt in die Hand nehmen wollte, lassen sich bessere Verwendung­en vorstellen, als diese Summe für nicht ausgebilde­te und sicher auch nicht alle gleicherma­ßen motivierte Menschen auszugeben“, findet der FDP-Politiker. Der heute 18 Jahre alte Jahrgang umfasse rund 750 000 Männer und Frauen, bei einem Mindestloh­n von aktuell 8,84 Euro und 38 Wochenarbe­itsstunden in 52 Wochen entstünden so die von Thomae errechnete­n Gesamtkost­en von 13,1 Milliarden Euro.

Bei den Grünen heißt es, ein Personalma­ngel bei der Bundeswehr und in sozialen Berufen könne nicht „über einen Zwangsdien­st“behoben werden. Und Linken-Parteichef Bernd Riexinger will keine „Millionenb­eträge für einen antiquiert­en Kriegsdien­st“verfeuern, sondern lieber in das krankende Pflegesyst­em investiere­n.

Unterstütz­ung erhält die CDUForderu­ng von der AfD. Parteichef Alexander Gauland sagte: „Wer gegen die Wiedereins­etzung der Wehrpflich­t ist, schadet Deutschlan­d.“Bei der SPD stößt die von CDU-Generalin Kramp-Karrenbaue­r angestoßen­e Debatte dagegen auf wenig Begeisteru­ng. Verteidigu­ngsexperte Fritz Felgentreu: „Zwangsdien­ste sind nach europäisch­em Recht menschenre­chtswidrig.“

Geäußert hat sich inzwischen auch Karl-Theodor zu Guttenberg. Eine allgemeine Dienstpfli­cht sieht er kritisch. Dies sei eine „ehrenwerte Idee“, den Menschen müsse aber auch reiner Wein eingeschen­kt werden, was die Kosten und die verfassung­srechtlich­e Lage betreffe, sagte der CSU-Politiker der Bild-Zei- tung. Das Grundgeset­z sehe einen verpflicht­enden, „also erzwungene­n Arbeitsein­satz nicht vor“.

Der CSU-Bundeswehr-Experte Johannes Hintersber­ger warnt davor, die Debatte aus rechtliche­n Bedenken schon im Keim zu ersticken. Der Landtagsab­geordnete aus Augsburg hatte schon 2010 für ein „aktives Bürgerjahr“geworben. „Sich ein Jahr lang für das Gemeinwese­n einzubring­en, brächte nicht nur einen Mehrwert für das Land, sondern auch für die jungen Leute“, sagt Hintersber­ger. Er ist überzeugt davon, dass ein solches „Dienstjahr“auch den sozialen Zusammenha­lt in Deutschlan­d stärken würde.

Mit dem Ende der Wehrpflich­t, die auch den Wegfall des Zivildiens­ts bedeutete, war 2011 der in der Regel zwölfmonat­ige Bundesfrei­willigendi­enst im sozialen und ökologisch­en Bereich eingeführt worden. Eine Sprecherin von Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) sagte, der Bundesfrei­willigendi­enst habe sich zu einer „echten Erfolgsges­chichte entwickelt“. Rund 320 000 Freiwillig­e haben demnach bisher teilgenomm­en. Die Tendenz sei weiter steigend. Im Juli 2018 wurden bundesweit gut 39000 „Bufdis“gezählt. Der Jahresdurc­hschnitt sei von 34345 Personen im Jahr 2012 auf die Zahl von 41 891 Freiwillig­en im Jahr 2017 gestiegen.

„Wenn man tatsächlic­h einen solch hohen Betrag in die Hand nehmen wollte, lassen sich bessere Verwendung­en vorstellen.“Stephan Thomae, FDP Fraktionsv­ize

 ?? Foto: Michael Reichel, dpa ?? Für Einigkeit und Recht und Freiheit: Die Politik debattiert darüber, ob junge Männer und Frauen verpflicht­et werden sollen, für eine gewisse Zeit einen gemeinnütz­igen Dienst zu verrichten – sei es in der Bundeswehr oder im sozialen Bereich.
Foto: Michael Reichel, dpa Für Einigkeit und Recht und Freiheit: Die Politik debattiert darüber, ob junge Männer und Frauen verpflicht­et werden sollen, für eine gewisse Zeit einen gemeinnütz­igen Dienst zu verrichten – sei es in der Bundeswehr oder im sozialen Bereich.

Newspapers in German

Newspapers from Germany