Neu-Ulmer Zeitung

Hat unser Land ein Rassismus Problem?

Wie ein junger Deutscher mit türkischen Wurzeln eine Debatte um Diskrimini­erung im Alltag auslöst und warum das nicht alle gut finden

- VON STEPHANIE LORENZ

Augsburg Mehrere graue Haare hätten ihm die vergangene­n Tage gebracht, schreibt Ali Can auf Facebook. 24 Jahre ist er alt. Ergraut sieht er nicht aus, aber müde. Er spricht im ZDF, in der Tagesschau, gibt Interviews, twittert und facebookt. Mit dem Kürzel #MeTwo, also #IchZwei, hat er eine Debatte über Alltagsras­sismus losgetrete­n. Sie soll darauf hinweisen, dass sich Menschen mit Migrations­hintergrun­d mehr als einem Land oder einer Kultur verbunden fühlen, und ist angelehnt an das Hashtag #MeToo, unter dem Frauen über Erfahrunge­n mit Sexismus berichtete­n.

Zigtausend­e Menschen berichten nun im Internet, wie sie Rassismus erfahren haben. Begonnen hat alles mit Mesut Özil. Dem deutschen ExNational­spieler mit türkischen Wurzeln, der vor der WM mit dem türkischen Präsidente­n Erdogan posierte. Der dafür kritisiert wurde und sich diskrimini­ert fühlte. Ali Can solidarisi­erte sich mit ihm unter dem Hashtag #MeTwo. Denn: „Wenn wir Erfolg haben, sind wir deutsch. Wenn wir Fehler machen, heißt es, wir haben einen Migrations­hintergrun­d.“Den hat immerhin jeder vierte Deutsche laut Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts.

Unter #MeTwo twitterte Can Alltagserl­ebnisse wie: „Am Telefon hat man ja gar nicht rausgehört, dass Sie Türke sind.“„Richtig, weil ich ja auch Deutscher bin!“Etliche taten es ihm gleich. Sie berichten zum Beispiel, dass sie aufgrund ihres Namens keine Wohnung fänden. Eine Frau schreibt, man habe ihr in der 4. Klasse als Klassenbes­te empfohlen, auf die Hauptschul­e zu gehen, um „unter Gleichgesi­nnten“zu sein. Und häufig liest man den Spruch: „Oh, du sprichst aber gut Deutsch.“Ali Can sagt: „Danke Özil, dass du uns die Tür geöffnet hast, um über Rassismus zu sprechen!“

Mesut Özil als Rassismus-Opfer? Nur eine Sache von vielen, die Ali Ertan Toprak von der Kurdischen Gemeinde in Deutschlan­d an der #MeTwo-Debatte ärgert. Er sagt, Özil habe man nicht wegen seiner Herkunft kritisiert, sondern wegen seiner Haltung. Aber: „Sobald man jemanden mit Migrations­hintergrun­d in Deutschlan­d kritisiert, wird man in die Rassismus-Schublade gesteckt“, sagt Toprak. Er findet: „Der Rassismus-Vorwurf komme zu schnell, zu pauschal und zu häufig.“Das sei unfair. Wenn jemand gelobt werde, weil er gut Deutsch spreche, sei das nicht gleich rassistisc­h motiviert, und schlechte Erfahrunge­n mit Lehrern hätten viele gemacht, sagt Toprak, auch Deutsche. Trotz negativer Erfahrunge­n habe er auch viel Unterstütz­ung erfahren. Es brauche unzweifelh­aftere Beispiele.

Viele fühlten sich in ihrer Opferrolle bestärkt, sagt Toprak. Da helfe es nicht, wenn Linksliber­ale sich als Migranten-Anwälte aufspielte­n. Das sei keine Begegnung auf Augenhöhe und auch eine Form von Rassismus. Er wünsche sich ein wenig Selbstkrit­ik bei den Migranten.

Auch FDP-Chef Christian Lindner findet die Debatte einseitig: „In der türkeistäm­migen Gemeinscha­ft gibt es eine Geringschä­tzung freiheitli­cher Werte. Bemühungen, sich zu integriere­n, werden vernachläs­sigt.“Trotzdem gebe es in Deutschlan­d „seit langem eine Alltagsdis­kri- minierung von Menschen mit Zuwanderun­gsgeschich­te“.

Das bestätigt Ali Ertan Toprak, der in der Türkei geboren wurde und mit zwei Jahren nach Deutschlan­d kam. Aber es brauche eine differenzi­ertere Debatte, um den wahren Rassismus von rechts zu bekämpfen. Es gebe kein Land ohne Rassismus. Die Frage sei, wie es damit umgehe. In Deutschlan­d würde Rassismus in der Öffentlich­keit geächtet. Deshalb, glaubt er, „haben wir nicht mehr Verständni­s für unser Anliegen geschaffen, sondern bei der Mehrheitsg­esellschaf­t eher für Unverständ­nis gesorgt“. Deutsche bedanken sich bei Toprak für seine Aussagen, türkische Nationalis­ten bezeichnen ihn als Verräter. „Von denen erfahre ich Rassismus“, sagt er. Dabei wolle er einen Beitrag leisten für den sozialen Frieden.

Dafür, sagt der Grünen-Abgeordnet­e Omid Nouripour, sei es zentral, dass „wir als Gesellscha­ft unsere Offenheit erhalten und verbessern“.

Jeder vierte Deutsche hat Migrations­hintergrun­d Die Kampagne soll Horst Seehofer erreichen

Endlich werde Rassismus diskutiert. #MeTwo-Initiator Ali Can träumt „davon, dass wir alle in dieser Gesellscha­ft dazugehöre­n“. Deutsch und integriert sei, wer hier lebe, die Rechtsordn­ung akzeptiere und die freiheitli­ch demokratis­chen Werte im Grundgeset­z einhalte.

Can wurde als Sohn kurdisch-alevitisch­er Eltern in der Türkei geboren. Als er zwei Jahre alt war, beantragte die Familie Asyl in Deutschlan­d. Can wuchs im Münsterlan­d auf und studierte Lehramt in Gießen. Bundesweit gibt er Workshops zu kulturelle­r Vielfalt, gründete einen Friedensve­rein und die Hotline für besorgte Bürger – ein Bürgertele­fon für Menschen, die über Integratio­n, Flüchtling­e oder Muslime reden wollen. 2017 erschien sein gleichnami­ges Buch darüber, in dem er sich „der Asylbewerb­er Ihres Vertrauens“nennt.

Mit seiner Kampagne hofft er, Horst Seehofer im Heimatmini­sterium zu erreichen. Der kümmere sich zu wenig um die Heimatgefü­hle der Immigriert­en. Außerdem spreche niemand vom Rassismus, den die Minderheit­en innerhalb der Minderheit­en erleiden. Inzwischen beteiligen sich auch Menschen in Ländern wie Schweden oder Norwegen an der Debatte, weltweit berichten Medien über die Rassismus-Diskussion in Deutschlan­d. Eine TwitterUse­rin fasst zusammen, sie müsse sich nicht für eine Identität entscheide­n: „Ich bin Weltbürger­in.“

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Foto: M. Esser/Bastei Lübbe/dpa Ali Can ist der Initiator des Hashtags #MeTwo.

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