Neu-Ulmer Zeitung

„Oma Ingrid“muss lange hinter Gitter

Vier Monate nach der Haftentlas­sung wurde Ingrid Millgramm, 84, wieder beim Ladendiebs­tahl erwischt

- VON ALF GEIGER

Bad Wörishofen/Memmingen 55 Tage und 15 Stunden saß Ingrid Millgramm im vergangene­n Herbst in einer Doppelzell­e der Memminger Justizvoll­zugsanstal­t, weil sie in insgesamt sechs Fällen wegen Ladendiebs­tahls zu mehreren Geldund Bewährungs­strafen verurteilt worden war. Kurz vor Weihnachte­n kam sie vorzeitig aus der Haft frei. Das Ende einer langen Leidensges­chichte? Ingrid Millgramm versichert­e damals: „Ich werde nie wieder etwas stehlen. Die Zeit im Gefängnis war das Schlimmste, was mir je passiert ist.“

Gut vier Monate später wurde die 84-jährige Bad Wörishofer­in, die als „Oma Ingrid, die vor Hunger klaute“bundesweit Schlagzeil­en gemacht hatte, erneut beim Stehlen erwischt. Diesmal hatte sie Kosmetikar­tikel, Sahnesteif und Haarklamme­rn im Gesamtwert von 17,63 Euro geklaut und war von einem Ladendetek­tiv beobachtet worden.

Gestern stand sie also erneut vor dem Amtsgerich­t in Memmingen – und zunächst leugnete sie alle ihr vorgeworfe­nen Diebstähle. In einer Prozesspau­se redeten ihr ihre beiden Rechtsanwä­lte offenbar eindringli­ch ins Gewissen – und plötzlich räumte die Rentnerin ein, doch gestohlen zu haben. Aber eben nicht alles, was der Ladendetek­tiv und die Polizei bei ihr gefunden hatten. Einen Teil der Waren habe sie lediglich umtauschen wollen.

Kann man einer Frau glauben, die schon mehrfach wegen ähnlicher Delikte rechtskräf­tig verurteilt wurde? Oder glaubt man da besser einem langjährig­en, erfahrenen Ladendetek­tiv und einem Polizeibea­mten, die gegen die einschlägi­g vorbestraf­te 84-Jährige aussagen?

Für Amtsrichte­rin Katharina Erdt bestand gestern am Ende der gut zweieinhal­bstündigen Verhandlun­g jedenfalls kein Zweifel mehr, dass Ingrid Millgramm auch diesen Ladendiebs­tahl begangen hatte. Ein Gutachter konnte auch keine Krankheit bei Oma Ingrid feststelle­n, die ihr Verhalten erklärt.

Für die Richterin bestand daher kein Zweifel, dass nur eine Haftstrafe infrage kommt – zu schnell sei Millgramm rückfällig geworden. Dennoch blieb die Richterin deutlich unter dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft, die eine Haftstrafe von zehn Monaten gefordert hatte. Dass die Angeklagte aus Hunger oder bitterer Armut gestohlen habe, wollte ihr die Richterin nicht glauben: „Es spricht so viel gegen Sie ...“

Vier Monate lang muss die 84-Jährige jetzt wegen diesem erneuten Ladendiebs­tahl ins Gefängnis – und da sie aus drei vorherigen Verurteilu­ngen zu Gefängniss­trafen noch unter Bewährung stand, droht der Rentnerin jetzt eine lange Haftstrafe: Aus den alten Urteilen sind noch sieben Monate Haft offen, zusammen mit der neuen Verurteilu­ng droht Ingrid Millgramm jetzt eine Gesamtstra­fe von elf Monaten in der Justizvoll­zugsanstal­t.

Ingrid Millgramm selbst nahm das Urteil fast apathisch auf, musste erst bei ihren Rechtsanwä­lten nachfragen: „Wie lange?“Für einen Moment schien sie die Fassung zu verlieren, saß zusammenge­sunken auf ihrem Stuhl – doch als die aus ganz Deutschlan­d angereiste­n Medienvert­reter sie vor die Kameras zerrten, hatte sie ihre Haltung schnell wiedergefu­nden und machte deutlich, dass sie es nicht verstehen könne, dass man sie jetzt schon wieder ins Gefängnis stecke. „Ich hoffe nur, dass ich das nicht mehr erleben werde“, sagte sie in die laufenden TVKameras.

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Auf dem Weg zur Anklageban­k: Ingrid Millgramm aus Bad Wörishofen.

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