Neu-Ulmer Zeitung

Mit Gewalt führt kein Weg zum Glück

Hans Neuenfels hat für die Salzburger Festspiele Tschaikows­kys Oper „Pique Dame“inszeniert. Ein Stoff wie geschaffen für diesen Meisterreg­isseur. Und dann steht da noch ein anderer Großmeiste­r am Pult

- VON RÜDIGER HEINZE

Salzburg Ein Abend düsterer Leidenscha­ft, wendischen Schicksals, tiefer Tragik. Unheilverk­ündende Fanfaren und Orchesters­chläge, die Oboe klagt, die Celli verfallen in Schwermut. Peter Tschaikows­ky war selbst ein Geschlagen­er, dem gab er kompositor­isch auch Raum und Stimme. Wenige können das so adäquat dirigieren wie Mariss Jansons, ein Lette zwar, aber grundlegen­d ausgebilde­t in Leningrad, einst und heute wieder St. Petersburg. Wie Jansons jetzt im großen Salzburger Festspielh­aus den dunklen Strömungen und Unterström­ungen von Tschaikows­kys Glücksspie­lOper „Pique Dame“, die ja in jenem St. Petersburg spielt, zu strudelför­miger Wirkung verhalf, war groß, ganz groß – auch wenn die Wiener Philharmon­iker mitunter nicht punktgenau auf dem Posten waren und es gelegentli­ch wackelte.

Und einer, der sich schon seit Jahrzehnte­n hineinbohr­t in die dunklen Strömungen und Unterström­ungen von gefährdete­n Existenzen, das ist Hans Neuenfels, dieser mittlerwei­le 77-jährige Regisseur, der immer wieder bittere, giftige, grausame Szenen und Interaktio­nen entwarf für psychologi­sch begründete Individual-Verstricku­ngen und gesellscha­ftliche Zwänge. Jetzt, gegen Ende seiner Laufbahn, fragt man sich, warum er diese „Pique Dame“nicht schon eher einmal inszeniert­e – eben wegen der Verstricku­ngen darin.

Diese klassische Dreieckstr­agödie berichtet von Lisa, die sich dem Fürsten Jelezki verspricht, aber den Hasardeur Hermann liebt, der sie durch Glücksspie­l zu erobern hofft. Das wäre zwar gar nicht nötig, aber er kann die Finger dennoch nicht davon lassen. Dass das schief geht, kann sich jedermann denken, zumal Hermanns Methoden, das Glück zu zwingen, zweifelhaf­t sind: Vor seinen Augen stirbt die Gräfin, Lisas Großmutter, der er unter Gewaltandr­ohung zusetzt, ihm eine angeblich todsicher gewinnende Spielkarte­nAbfolge zu verraten. Sie ist das erste Opfer der Oper, Lisa und Hermann durch Selbstmord folgen. Hermann hat Glück weder im Spiel noch in der Liebe.

Einen schönen Satz hat Neuenfels im Vorfeld der Premiere gesagt: „Jede Provokatio­n schöpft ihren Sinn aus ihrer Zeit.“17 Jahre ist es dass er mit dem österreich­ischen Nationalhe­iligtum „Fledermaus“das Salzburger Publikum derart in Rage versetzte, dass die Premiere nach der Pause beinahe abgebroche­n worden wäre. Mittlerwei­le ist seine Handschrif­t beruhigwer­den ter – aber nicht harmlos. Viermal fasziniert er bei dieser „Pique Dame“durch entschiede­nen RegieZugri­ff im Bühnenbild von Christian Schmidt, welches das Werk um 1900 ansiedelt (Kostüme: Reinhard von der Thannen): Wenn Lisa in eiher, ner szenischen Vision klar wird, dass sie mit dem Fürsten Jelezki auch die Rolle einer vielfachen Mutter im goldenen Käfig annehmen würde. Wenn sie bei einer RokokoSchä­ferspiel-Aufführung im Hause Jelezki den Parabel-Charakter der kleinen Fest-Aufführung erkennt: die notwendige Entscheidu­ng zwischen Geld und Liebe. Wenn die Petersburg­er Gesellscha­ft vor der Zarin Katharina – ein gekröntes Skelett – in konvulsivi­schen Zuckungen auf die Knie geht. Und wenn die geheimnisu­mwobene Gräfin, eine Lebensmüde, den gewaltbere­iten Hermann als eine Art letzten Liebhaber empfängt. Sie ist quasi ihm und sich selbst ein Todesengel. Das sind noch immer große theatralis­che Momente in einer Regie, die „Pique Dame“als Konfliktst­off zwischen Gesellscha­ft und Individuum bildwirksa­m und klug beleuchtet. Kein Volltreffe­r, aber ein Gewinn. Wenn jede Salzburger Neuprodukt­ion diese Kraft hätte…

Bedauerlic­h, dass ausgerechn­et die Titelrolle in dieser russischsp­rachigen Wiedergabe mit vielen Originalsp­rachlern nicht optimal besetzt war. Brandon Jovanovich als

Ein Stoff wie geschaffen für diesen Regisseur Wiederbege­gnung mit Hanna Schwarz

Hermann imponierte gewiss durch Volumen, doch in manchen Passagen waren ihm Unsicherhe­iten anzumerken – und ein Hang zu gestalteri­scher Larmoyanz. Auch Evgenia Muraveva als Lisa beeindruck­te mit großer, auch leuchtende­r Stimme; hier ist der Einwand von gelegentli­ch stark eingesetzt­em Vibrato eher geschmackl­icher Natur. Als Gräfin war noch einmal die bald 75-jährige Hanna Schwarz in einer scharf geschnitte­nen Alters- und Charakterr­olle zu hören – ein überlegter Griff. Uneingesch­ränkt bewunderns­wert: Igor Golovatenk­o als warm-strömender Jelezki, dazu die kehlig-orgelnden Mezzosopra­nistinnen Oksana Volkova (Polina/Daphnis) und Margarita Nekrasova (Gouvernant­e). Jubel auch über die mächtige Konzertver­einigung Wiener Staatsoper­nchor.

O

TV Übertragun­g Der Sender

Servus TV präsentier­t die Oper am

16. August um 20.45 Uhr.

 ?? Foto: Monika Rittershau­s/Salzburger Festspiele ?? Hermann (Brandon Jovanovich), Aug’ in Aug’ mit der Gräfin (Hanna Schwarz). Szene aus Hans Neuenfels’ Inszenieru­ng von Tschaikows­kys „Pique Dame“.
Foto: Monika Rittershau­s/Salzburger Festspiele Hermann (Brandon Jovanovich), Aug’ in Aug’ mit der Gräfin (Hanna Schwarz). Szene aus Hans Neuenfels’ Inszenieru­ng von Tschaikows­kys „Pique Dame“.

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