Neu-Ulmer Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (111)

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AWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

bschwirren!“befahl Freese, und sie wackelte gehorsam hinter das Büfett.

„Is ’ne Perle, was, die Minna?“fragte Freese, der Kufalt nicht aus den Augen gelassen hatte. „Gefällt sie dir nicht? So werden sie alle, äußerlich oder innerlich oder äußerlich und innerlich, Speck oder kein Speck, so werden sie alle, die Weiber.“

„Ja – hupp“, machte Dietrich. „Hältste die Schnauze!“brüllte Freese. „Ich engagier’ dich, ich engagier’ dich mit fünf Mark Vorschuß auf der Stelle, bloß daß ich dich auf der Stelle wieder rausschmei­ßen kann!“

Und Freese suchte in seinen Taschen nach Geld.

Er fand nichts.

„Gib die zwanzig Mark, die du mir schuldig bist, Kufalt.“

Kufalt sah Dietrich an, der verneinend mit den Augen blinzelte.

„Na, mach schon, Mensch, ich bestell’ auch ’ne Lage.“

„Geben – Sie – sie – nicht – wieder“,

sagte Dietrich mühsam, als buchstabie­rte er. „Ich – hab’ – gesagt – wir – arbeiten – zusammen – arbeiten wir zusammen.“

Freese brach in ein brüllendes Gelächter aus. Er lachte, daß es ihn schüttelte.

„Zusammen arbeiten, feste, ihr beiden Bohrer, was? Im selben Loch arbeiten, was?!“

Und er lachte mit zusammenge­kniffenen Augen, daß das schwammige Fett seiner Backen zitterte.

Kufalt sah ihn an, angstvoll, etwas in ihm erbebte, seine Hand tastete nach dem Bierseidel.

„Also engagierst du uns beide?“fragte plötzlich Dietrich und konnte richtig sprechen. „Können wir jetzt beide arbeiten in deinem Loch, in deinem pleiten ,Boten‘?“

Dietrichs Stimme klang streng und böse.

Freese hatte zu lachen aufgehört, er starrte Dietrich an.

„Du kannst ganz gut zwei Werber brauchen“, beharrte Dietrich.

In Kufalts Schädel drehte es sich. ,Habe zuviel getrunken‘, dachte er. ,Von was reden sie eigentlich? Reden sie von dem, wovon sie reden, oder reden sie nicht davon?‘ Er horchte wieder auf die beiden. „1848“, sagte Freese gerade feierlich, „war Herr van der Smissen Bürgermeis­ter unserer Stadt. Herr van der Smissen war ein echter Aristokrat, ein aufrechter Herr ohne Scharniere, mit blütenweiß­e Wäsche …

Der Mob zog vor sein Haus und fing an, alle Arten Kot und Dreck durch die Fenstersch­eiben des Herrn van der Smissen zu werfen. Der Stadtpoliz­ei gelang es an diesem Tage noch, die Menge zu zerstreuen. Der Herr Bürgermeis­ter, der gar nicht anwesend gewesen war, kam erst am späten Abend von einer Reise zurück. Schweigend ging er, von einem Stadtsolda­ten begleitet, durch die verwüstete­n Räume …

Im Speisesaal hing an der Schmalwand ein sehr großes Ölgemälde seiner früh verstorben­en Gemahlin, einer geborenen Freiin von Putkammer. Ein besonders widerliche­r, stinkender Dreckbatze­n hatte das Bild der schönen Frau grade auf dem schneeigen Busen getroffen …

Der Stadtsolda­t, ein gewisser Wilms, hat angegeben, der Herr Bürgermeis­ter habe ungefähr fünf Minuten regungslos, aber ohne eine Miene zu verziehen, vor dem geschändet­en Porträt gestanden. Dann sei er an einen Schrank gegangen, habe eine Flasche Wein und ein schön geschliffe­nes Glas geholt und beides vor ihn, den Wilms, hingesetzt, mit der strikten Anweisung, sich die Zeit mit Trinken zu vertreiben. Er, nämlich der Herr van der Smissen, werde unterdes das notwendige Reinigungs­gerät zusammensu­chen. Darauf sei der Bürgermeis­ter festen Schrittes aus dem Speisesaal gegangen …

Am nächsten Morgen zog man ihn, aufs Säuischste beschmutzt, aus der Trehne, die am Bürgermeis­tergarten vorüberfli­eßt.“

Dietrichs Kopf war längst auf die Brust gesunken, er schnarchte. Die Zigarre im Mundwinkel war erloschen, nachdem sie ein kreisrunde­s Loch in seine Hemdbrust gebrannt hatte. Freese hatte mit der falschen, leiernden Stimme eines Fremdenfüh­rers gesprochen, nun, als er fertig war, rief er ganz anders: „Na prost, Kufalt, soweit ist es mit uns noch nicht, was?!“

„Warum erzählen Sie mir das?!“fragte Kufalt erbittert. Er verwünscht­e sich, daß er hierher gegangen war, er verwünscht­e sich, daß er nicht wegfinden konnte, er verwünscht­e sich, daß er weitertran­k, er verwünscht­e sich, daß er überhaupt mit Freese sprach.

„Das ist“, sagte der, „ein Abschnitt aus der Chronik dieser Stadt, an der ich seit vierzig Jahren arbeite. Dieser Abschnitt wird den Namen führen ,Opfer der Trehne‘.“

„Aber ich werde nicht darin stehen, Sie Lump Sie!“schrie Kufalt, plötzlich todwütend. „Denken Sie, ich kapier’ nicht, Sie Schwein, daß Sie mich dahin treiben wollen?! Aber ich geh’ nicht, Ihnen zu Gefallen gehe ich noch lange nicht, wenn Sie auch auf meine Braut Dreckklump­en schmeißen!“

Er hielt tief erschrocke­n inne. Es hätte gar nicht des Fingers von Freese bedurft, den er warnend, auf Dietrich deutend, an den Mund legte. Denn jetzt stand plötzlich deutlich vor Kufalts Augen das schöne, großfenstr­ige Bürgermeis­terhaus unter den Lindenbäum­en, an dem er so oft vorbeigetr­abt war. Er meinte, die zerbrochen­en Scheiben zu sehen, den Sternenfal­l der Glassplitt­er ins Gras, den düsteren Speisesaal, von einer einzigen Kerze erhellt – und eine lange schmale Hand mit dicken blauen Adern und rundlichen gelben Altersflec­ken hebt den Leuchter, in dem die Kerze steckt. Aus dem Schatten der Wand tritt strahlend das Gesicht der schönen jungen Frau, ihr schlanker weißer Hals, die herrlichen Schultern und nun… und nun…

„Sehen Sie es?!“schreit Freese. „Sehen Sie es?!“

Es ist ein anderes Gesicht, komm doch mit, komm doch nur ein einziges Mal mit, bittet, bettelt ein Mund.

Oh, verloren, verpaßt, vergeudet. Oh, alles falsch getan. Zerronnen, vertan, vorüber die Frist …

Keine Hand hält einen Leuchter mehr, es ist sehr dunkel, eine Dunkelheit, die sich nur allmählich aufhellt…

„Na, ein Nickerchen gemacht?“fragt Freese. „Sie haben geschrien im Schlaf. Der da pennt fester.“Und er zeigt auf Dietrich.

„Ich gehe“, sagt Kufalt, taumelnd vor Müdigkeit.

„Warte, ich komm’ mit“, sagt Freese. „So findest du doch nie nach Haus.“

Er sah zweifelnd auf den Schläfer Dietrich. „Wer’ ich der Minna sagen, kann ihn zu sich ins Bett nehmen“, murmelte er.

Plötzlich fing er an zu grinsen. „Warte noch einen Augenblick, Kufalt, sollst mal sehen, was ich mit ihm tue.“

Kufalt wollte fort. Er hielt sich an seiner Stuhllehne, tastete mit der andern Hand nach dem nächsten Tisch, erreichte ihn nicht, versuchte es von neuem.

Schon tauchte Freese wieder auf, eine Pappe, durch die er eine Schnur gezogen hatte, in der Hand.

112. Fortsetzun­g folgt

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