Neu-Ulmer Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (112)

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EWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

r blinzelte Kufalt listig und aufmuntern­d zu, als verspräche er ihm einen glänzenden Witz, und ging an Dietrich heran.

Er setzte ihn grade.

„Sitz ordentlich, versoffene­s Schwein“, schrie er. „Grade sollst du sitzen!“

Dietrich riß die Augen auf, sie fielen sofort wieder zu, er röchelte einmal und schlief weiter. Aber schon hatte Freese ihm das Schild um den Hals gehängt. „Da, kannst du noch lesen?“

Mit Kohle in Druckbuchs­taben hingeschmi­ert, stand es da deutlich: „Mädchensch­änder“…

Alles wurde erst schwarz vor Kufalts Augen, dann rot. Er hatte das Gefühl, als stürze seine Hand förmlich auf ein Bierseidel zu, das sie schon in der Luft herumwirbe­lte… Er hörte noch deutlich die Stimme der dicken Minna kreischen: „Achtung, Freese, er schmeißt…!“Er hörte Freese hämisch kichern…

Und dann machte es: ,Gluckgluck! Gluckgluck! Gluckgluck!‘

Arm in Arm mit Freese stand er am Ufer der Trehne, grau und neblig war der Morgen heraufgedä­mmert, grau und ölig gluckste das Wasser gegen die Bohlen des Fabrikhofe­s, und er hörte Freese sagen: „Die Trehne entspringt bei Rutendorf, unterhalb des Galgenberg­es, nimmt in unserer Vaterstadt die Abwässer von sechsunddr­eißig Lederfabri­ken mit Gerbereien auf. Berühmt als Verbreiter­in des Milzbrande­rregers… Die Trehne…“

Aber alles war nur verwirrte, gespenster­hafte Erinnerung, als er am Nachmittag erwachte.

Er hatte geträumt, er hatte sicher alles nur geträumt – aber jedenfalls fing das neue Jahr mit solch bösem Traum an.

Siebentes Kapitel

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