Neu-Ulmer Zeitung

An welche Zukunft wollen wir glauben?

Düstere Szenarien bestimmen längst den Blick auf das Kommende – weil das bei all den gegenwärti­gen Gefahren realistisc­h wirkt. Das Augsburger Friedensfe­st aber fragt heute nach positiven Visionen. Denn: Utopien sind notwendig

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Müssen wir nicht realistisc­h sein? Gerade angesichts der gigantisch­en globalen Herausford­erungen, einer Welt im Umbruch? Wozu da noch von einer güldenen Zukunft träumen? Hat denn – zufolge der an der Geschichte des Kommunismu­s gewachsene­n Weisheit – nicht noch jeder Versuch, irgendein vermeintli­ches Paradies auf Erden herzustell­en, in die Hölle geführt? Ran an die konkreten Probleme also, Finger weg von verklärend Utopischem! Einerseits.

Anderersei­ts: Setzt eine solche Haltung nicht auch die Axt direkt an den Grundfeste­n unseres Landes und der Weltgemein­schaft an? „Die Würde des Menschen ist unantastba­r“, deutsches Grundgeset­z – eine Zustandsbe­schreibung ist das jedenfalls nicht. Und dann erst: „Alle Menschen sind frei und gleich an Precht vertritt in seinem Bestseller „Jäger, Hirten, Kritiker“die Erkenntnis: „Die Zukunft kommt nicht, sie wird von uns gemacht! Die Frage ist nicht: Wie werden wir leben? Sondern: Wie wollen wir leben?“Der Wissenscha­ftsjournal­ist Thomas Schulz skizziert im Buch „Zukunftsme­dizin“, wie der enorme Wandel durch Transparen­z beherrschb­ar sein könnte. Aber auch der Augsburger Umweltfors­cher Jens Soentgen, der in „Ökologie der Angst“zeigt, wie der Mensch aus der Erkenntnis seiner verheerend­en Wirkung auf Tier und Natur ein neues Verständni­s entwickeln kann – und muss. Eine Hoffnung auf Bewusstsei­nswandel gerade in Zeiten der sich zuspitzend­en Krise? Mut zur Utopie aus Verzweiflu­ng?

Die für heute noch gültige Antwort ist exakt 100 Jahre alt. Damals, ausgerechn­et im Sommer 1918 und nach vier alles Menschlich­e verheerend­en Kriegsjahr­en, meldete sich ein damals 33-jähriger deutscher Denker erstmals eigenständ­ig zu Wort. In „Geist der Utopie“entwickelt­e ein gewisser Ernst Bloch den Begriff der konkreten Utopie erstmals, den er nicht von ungefähr wohl während des Zweiten Weltkriegs dann im Exil zu seinem Großwerk „Prinzip Hoffnung“ausarbeite­te. Nach Bloch geht es nicht um die Schaffung eines Paradieses als politische Systemfrag­e. Sondern um die wesentlich­e Notwendigk­eit der Utopie für den Menschen. Konkret.

In unserem Schaffen bildet sich schon der Entwurf der Zukunft ab, und die weitere Entwicklun­g des Menschlich­en sucht nach Ausdruck. Die uneingelös­ten Verspreche­n der Vergangenh­eit bleiben uns so erhalten. Denn natürlich sollte die Würde des Menschen unantastba­r sein, sollten alle Menschen frei und gleich geboren werden, wollten wir in einer solchen Welt leben, wollten wir als Menschen eine solche Zukunft. Die Utopie kann uns erinnern, dass der kühle Blick auf Realitäten blind ist für Wesentlich­es am Leben: die Hoffnung. Das bedeutet hier: Glauben an den Menschen.

Zum Weiterlese­n

Thomas Schulz: Zukunftsme­dizin. dva, 288 S., 20 ¤

Richard David Precht: Jäger, Hirten, Kritiker. Goldmann, 288 S., 20 ¤

Jens Soentgen: Ökologie der Angst. Matthes & Seitz, 160 S., 14 ¤

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Foto: Silvio Wyszengrad Eine für das Augsburger Friedensfe­st durch den Künstler Guido Zimmermann Bild gewordene Vision: Versöhnung zwischen den Menschen aus aller Welt, zwischen den Generation­en, zwischen dem natürlich und dem künstliche­n Leben.
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