An welche Zukunft wollen wir glauben?
Düstere Szenarien bestimmen längst den Blick auf das Kommende – weil das bei all den gegenwärtigen Gefahren realistisch wirkt. Das Augsburger Friedensfest aber fragt heute nach positiven Visionen. Denn: Utopien sind notwendig
Müssen wir nicht realistisch sein? Gerade angesichts der gigantischen globalen Herausforderungen, einer Welt im Umbruch? Wozu da noch von einer güldenen Zukunft träumen? Hat denn – zufolge der an der Geschichte des Kommunismus gewachsenen Weisheit – nicht noch jeder Versuch, irgendein vermeintliches Paradies auf Erden herzustellen, in die Hölle geführt? Ran an die konkreten Probleme also, Finger weg von verklärend Utopischem! Einerseits.
Andererseits: Setzt eine solche Haltung nicht auch die Axt direkt an den Grundfesten unseres Landes und der Weltgemeinschaft an? „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, deutsches Grundgesetz – eine Zustandsbeschreibung ist das jedenfalls nicht. Und dann erst: „Alle Menschen sind frei und gleich an Precht vertritt in seinem Bestseller „Jäger, Hirten, Kritiker“die Erkenntnis: „Die Zukunft kommt nicht, sie wird von uns gemacht! Die Frage ist nicht: Wie werden wir leben? Sondern: Wie wollen wir leben?“Der Wissenschaftsjournalist Thomas Schulz skizziert im Buch „Zukunftsmedizin“, wie der enorme Wandel durch Transparenz beherrschbar sein könnte. Aber auch der Augsburger Umweltforscher Jens Soentgen, der in „Ökologie der Angst“zeigt, wie der Mensch aus der Erkenntnis seiner verheerenden Wirkung auf Tier und Natur ein neues Verständnis entwickeln kann – und muss. Eine Hoffnung auf Bewusstseinswandel gerade in Zeiten der sich zuspitzenden Krise? Mut zur Utopie aus Verzweiflung?
Die für heute noch gültige Antwort ist exakt 100 Jahre alt. Damals, ausgerechnet im Sommer 1918 und nach vier alles Menschliche verheerenden Kriegsjahren, meldete sich ein damals 33-jähriger deutscher Denker erstmals eigenständig zu Wort. In „Geist der Utopie“entwickelte ein gewisser Ernst Bloch den Begriff der konkreten Utopie erstmals, den er nicht von ungefähr wohl während des Zweiten Weltkriegs dann im Exil zu seinem Großwerk „Prinzip Hoffnung“ausarbeitete. Nach Bloch geht es nicht um die Schaffung eines Paradieses als politische Systemfrage. Sondern um die wesentliche Notwendigkeit der Utopie für den Menschen. Konkret.
In unserem Schaffen bildet sich schon der Entwurf der Zukunft ab, und die weitere Entwicklung des Menschlichen sucht nach Ausdruck. Die uneingelösten Versprechen der Vergangenheit bleiben uns so erhalten. Denn natürlich sollte die Würde des Menschen unantastbar sein, sollten alle Menschen frei und gleich geboren werden, wollten wir in einer solchen Welt leben, wollten wir als Menschen eine solche Zukunft. Die Utopie kann uns erinnern, dass der kühle Blick auf Realitäten blind ist für Wesentliches am Leben: die Hoffnung. Das bedeutet hier: Glauben an den Menschen.
Zum Weiterlesen
Thomas Schulz: Zukunftsmedizin. dva, 288 S., 20 ¤
Richard David Precht: Jäger, Hirten, Kritiker. Goldmann, 288 S., 20 ¤
Jens Soentgen: Ökologie der Angst. Matthes & Seitz, 160 S., 14 ¤