Neu-Ulmer Zeitung

Die Generation der Auswandere­r

Zehntausen­de junge Spanier zog es angesichts hoher Jugendarbe­itslosigke­it und Wirtschaft­skrise nach Deutschlan­d. Wie es ihnen in den Jahren ergangen ist und warum viele mit der Rückkehr in ihre Heimat zögern

- VON ANJA RINGEL

Erlangen Wenn Mónica Pascual Maté in ihrer neuen Heimat unterwegs ist, fangen ihre Ohren immer wieder Worte auf, die vertraut klingen. Ein seltsames Gefühl: Spanisch mitten in Erlangen? Maté kommt selbst aus Spanien. Sie sei es aber einfach nicht gewohnt, in Deutschlan­d ihre Mutterspra­che zu sprechen, erklärt sie. Die 30-Jährige lebt seit sieben Jahren in Bayern. Wie zigtausend­e ihrer jungen Landsleute kehrte sie damals der Wirtschaft­skrise und Perspektiv­losigkeit in Südeuropa den Rücken.

Nach ihrem Studium in Würzburg hat die Nordspanie­rin 2013 als Laborassis­tentin an der Universitä­tsklinik in Erlangen eine Stelle gefunden. „Es wäre Quatsch gewesen, nach dem Studium nach Spanien zurückzuke­hren“, sagt sie. Dort hätte sie keine Chance auf einen gut bezahlten Arbeitspla­tz gehabt. Ein Bekannter bot ihr zwar eine Stelle in einer Biotechnol­ogie-Firma an. Aber der Lohn? Vollzeit für 700 Euro im Monat! „Davon kann man gerade so leben, aber man kann kein Geld sparen oder in den Urlaub fahren“, sagt die junge Spanierin.

Zehn Jahre ist es inzwischen her, seit die Wirtschaft­skrise Spanien erfasste. Vor allem die Jugend litt: Viele junge Spanier fanden damals keine Arbeit mehr und wanderten aus. Auch nach Deutschlan­d. Laut Statistisc­hem Bundesamt leben knapp 180 000 Spanier in Deutschlan­d. Die Hälfte davon ist zwischen 20 und 45 Jahre alt. Die Jugendarbe­itslosigke­it ist in Spanien noch immer sehr hoch: Mehr als jeder Dritte im Alter zwischen 15 und 24 Jahren ist in Spanien arbeitslos. In Deutschlan­d ist es nicht einmal jeder Zehnte. Maté erzählt, dass viele ihrer Freunde Probleme hatten, eine Stelle in Spanien zu finden. Die wenigsten ihrer Kommiliton­en hätten einen Job in jenem Fachgebiet, das sie studiert hatten, gefunden, sagt Pascual.

Während sich die 30-Jährige während ihres Studiums sehr schnell in Deutschlan­d eingelebt und innerhalb eines Jahres die Sprache gelernt hat, gibt es viele Spanier, die bei ihrer Ankunft in Deutschlan­d zunächst Probleme haben. Ein Ansprechpa­rtner ist dann „La Red“– auf Deutsch „Das Netzwerk“. Der Berliner Verein unterstütz­t Spanisch sprechende Menschen bei der berufliche­n und sozialen Integratio­n, wie Beraterin Arancha Vállez erzählt. Die Menschen, die zu ihr kommen, haben verschiede­ne Anliegen: Manche sind auf der Suche nach Arbeit, andere haben Fragen zur Krankenkas­se. Pro Jahr berät „La Red“über 700 Hilfesuche­nde. Manche kontaktier­en den Verein bereits, bevor sie nach Deutschlan­d auswandern wollen.

Arancha Vállez weiß, wie es ihren Landsleute­n geht, was sie empfinden. Auch sie hadert bisweilen mit ihrer neuen Heimat. Sie kam vor acht Jahren nach Deutschlan­d, um Betriebswi­rtschaftsl­ehre zu studieren. Doch bis heute hat sie sich in Deutschlan­d noch nicht komplett eingelebt. Vor allem die Sprache fällt ihr schwer. „Es gibt so viele Regeln in der deutschen Grammatik“, sagt sie. Probleme hat Vállez auch mit dem Wetter: Es sei sehr deprimiere­nd, dass es im Winter schon um 16 Uhr dunkel werde. Viele Spanier seien außerdem der Meinung, dass Deutsche schlechte Manieren hätten und im Umgang mit ihren Mitmensche­n schroff seien, erzählt sie. Laut Vállez wollen die meisten ihrer Landsleute irgendwann nach Spanien zurückkehr­en.

Rául Gil ist nach drei Jahren in Berlin wieder nach Madrid gezogen. Er war einer der Gründer von „La Red“und kümmert sich inzwischen mit seinem neuen Verein „Volvemos“– auf Deutsch „Wir kehren zurück“– um Menschen, die nach Spanien zurückmöch­ten und auf Jobsuche sind. Gil ist 2012 nach Berlin gegangen, weil er etwas anderes erleben wollte. Der endgültige Auslöser sei dann die „giftige Stimmung“während der Wirtschaft­skrise gewesen. Bei seiner Ankunft konnte der Spanier kein Deutsch. „Da sollte niemand meinem Beispiel folgen“, warnt er. Er habe versucht, die Sprache schnell zu lernen, um einen Job zu bekommen, der ihm gefällt. Von einer spanischen Bibliothek bis zu einem Konzertsaa­l – überall hat er gearbeitet. Ende 2015 ist er nach Spanien zurückgeke­hrt, weil er ein lukratives Jobangebot erhalten hatte. „Die Jahre in Berlin waren die beste Erfahrung meines Lebens, ich habe so viel gelernt, für mich persönlich, aber auch für meine Arbeit“, sagt er rückblicke­nd. „Ich bin toleranter, demütiger und offener geworden.“

In Deutschlan­d hat er außerdem seinen Landsmann Diego Ruiz del Árbol kennengele­rnt. Zusammen sind sie auf die Idee gekommen, „Volvemos“zu gründen. Seit Februar 2016 helfen sie Spaniern, die in ihre Heimat zurückkehr­en möchten. Zum Beispiel können spanische Firmen, die Mitarbeite­r mit internatio­naler Erfahrung suchen, passende Bewerber in der Datenbank von „Volvemos“suchen. Momentan sind dort knapp 8000 Immigrante­n registrier­t, die nach Spanien zurückwoll­en. Laut Gil sind sie durchschni­ttlich 32 Jahre alt und haben sechs Jahre im Ausland gelebt. Obwohl sie die unterschie­dlichsten Lebensläuf­e aufweisen, sind alle hoch qualifizie­rt.

„Volvemos“legt viel Wert darauf, dass die Arbeitgebe­r ein attraktive­s Angebot vorlegen. „Den Firmen muss bewusst sein, dass die Talente nicht um jeden Preis zurückkomm­en“, erklärt Gil. „Niemand kommt für ein befristete­s Arbeitsver­hältnis oder ein Angebot zurück, das nicht die Qualifikat­ionen wertschätz­t.“Die Rückkehrer seien sich jedoch ebenfalls bewusst, dass sie in Spanien weniger verdienen werden als in Deutschlan­d. Nichtsdest­otrotz schätzen sie die Vorteile, wieder in Spanien leben zu können. Vor allem die Familie sei oft ausschlagg­ebend für die Rückkehr: „Wir sind sehr familiär und es macht uns traurig, weit weg von den Menschen zu sein, die wir lieben.“

Und dann ist da noch die Hoffnung: Die Wirtschaft beginne zu wachsen und die Firmen würden neue Mitarbeite­r einstellen. Die Regierung zog das Land mit Reformen

Die meisten der Exilspanie­r sind hoch qualifizie­rt

und Sparplänen aus der Krise. Im vorigen Jahr wurde zum dritten Mal in Folge ein Wachstum von mehr als drei Prozent verzeichne­t. Die Arbeitslos­enrate fällt rasch. 2017 lag sie zwar immer noch bei knapp 17 Prozent, aber deutlich unter dem Rekordhoch von 26,9 Prozent Anfang 2013. In der Finanz- und Wirtschaft­skrise waren in Spanien insgesamt 3,3 Millionen Arbeitsplä­tze vernichtet worden. Trotzdem müsse sich noch einiges ändern, findet Gil. „Momentan kehren nur die zurück, die eine gute Arbeit finden und die ihr Zuhause vermissen. Der Rest hofft weiter.“

Auch die Erlanger Laborassis­tentin Mónica Pascual Maté denkt noch nicht an eine Rückkehr nach Spanien. Sie ist mit ihrem Leben in Erlangen zufrieden. Die Zeit bis zum nächsten Familienur­laub in Spanien überbrückt sie mit dem Familiench­at auf WhatsApp. Ihr gefällt, dass in Deutschlan­d alles ruhiger ist. Auch einen Freundeskr­eis hat sie sich aufgebaut: Die 30-Jährige spielt Lacrosse, eine Ballsporta­rt, bei der zwei Mannschaft­en mit einem Schläger um einen Gummiball kämpfen. Ihre Familie vermisst sie trotzdem. „Wenn meine Eltern irgendwann Hilfe benötigen, werde ich eventuell zurückkehr­en“, erklärt sie.

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Foto: Sebastian Castaneda, afp Archiv „Es fehlt nicht am Geld, es gibt nur zu viele Diebe.“: Junge Spanierinn­en demonstrie­ren mit gepackten Koffern gegen die hohe Ju gendarbeit­slosigkeit in ihrer Heimat.

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