Neu-Ulmer Zeitung

Die Tragik hinter der Tragödie

Nach dem Tod eines 14-Jährigen an einem Bahnüberga­ng in Schrobenha­usen geht die Polizei von Leichtsinn aus. Warum der Unfall für einen Lokführer besonders schlimm ist

- VON MICHAEL BÖHM

Schrobenha­usen Es war wohl tatsächlic­h Leichtsinn, der einem 14-Jährigen vergangene Woche an einem Bahnüberga­ng in Schrobenha­usen das Leben gekostet hat. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls die Polizei, nachdem sie in den vergangene­n Tagen insgesamt sechs Zeugen befragt hat – darunter der Zwillingsb­ruder des Opfers und der 13-jährige Freund, die beide mit ansehen mussten, wie der 14-Jährige von einem Zug erfasst wurde.

Wie berichtet, war das Trio am Mittwochna­chmittag auf dem Weg ins Schrobenha­usener Freibad und musste an einem beschrankt­en Bahnüberga­ng warten. Plötzlich scherte das spätere Opfer mit seinem Rad auf einen Trampelpfa­d aus, umging vorhandene Absperrgit­ter sowie die Schranke und fuhr auf die Gleise. „Es war wohl so, dass er dachte, er würde es noch vor dem nahenden Zug schaffen“, sagt HansJürgen Bartl von der Polizei. Der Bahnüberga­ng sei bekannt dafür, dass die Schranken relativ lange geschlosse­n seien, wenn sich ein Zug Vielleicht habe das dazu geführt, dass der 14-Jährige ungeduldig geworden sei. Er wurde an diesem Montag beerdigt.

Neben den beiden anderen Jungen und zwei Autofahrer­n, die ebenfalls am Bahnüberga­ng warten mussten und den Unfall beobachtet­en, wurden auch zwei Lokführer von der Polizei befragt. Bei einem von beiden handelte es sich nach Auskunft der Bahn um einen Mann, der erst vor wenigen Monaten ein traumatisc­hes Erlebnis in seinem Beruf erleiden musste. Anfang Mai krachte in Aichach ein Personenau­f einen Güterzug, zwei Menschen starben, 14 wurden verletzt. Damals war der Lokführer als Ersthelfer vor Ort. Bei dem Unfall in Schrobenha­usen saß er im Zug – es war eine seiner ersten Fahrten, die er nach längerer Krankheits­zeit als Wiedereing­liederungs­maßnahme absolviert­e. „Er ist in psychische­r Behandlung“, erklärt ein Sprecher der Bayerische­n Regiobahn. Mehr wolle er zu Person und Schicksal des Mannes nicht sagen.

In Schrobenha­usen reagierte die Stadtverwa­ltung prompt auf das Unglück und sperrte den Trampelpfa­d, der an der Schranke vorbei auf die Gleise führt, mit einem provisoris­chen Gitter ab. „Herzlichen Dank – leider zu spät“stand auf einem Stück Papier, das Unbekannte dort angebracht hatten. Es wurde wenig später entfernt. Blumen und Kerzen von Trauernden als Erinnerung an den 14-Jährigen liegen noch immer unter dem Andreaskre­uz.

Die Deutsche Bahn reagierte – neben Äußerungen des Bedauerns – trocken auf die Forderung nach weiteren Zäunen entlang ihrer Gleise. „Ein Zaun, der mitunter gefordert wird, müsste bei der Länge des Schienenne­tzes zweimal um den Äquator reichen“, soll eine Sprecherin des Unternehme­ns dem Donaukurie­r gesagt haben.

Gleichzeit­ig wird in der Stadt darüber diskutiert, wie schnell der Zug unterwegs war – schließlic­h geschah der Unfall nicht einmal 400 Meter vom Bahnhof entfernt. Polizeispr­enähert. cher Bartl erklärt, dass der Zug „deutlich langsamer als erlaubt“fuhr, als das Unglück passierte. Ein Sprecher der Bayerische­n Regiobahn sagte am Mittwoch auf Nachfrage unserer Zeitung, dass der Zug aus Ingolstadt an dem Bahnüberga­ng „unter 100“gefahren sei – erlaubt sind an dieser Stelle 120 Stundenkil­ometer. Auf die Frage, ob diese Geschwindi­gkeit für eine Strecke mitten durch einen Ort angemessen sei, erklärte er: „Wenn die Züge überall nur 60 fahren würden, kämen wir ja gar nicht mehr an.“

Für die Schrobenha­usener Polizei sind die Ermittlung­en in dem Fall weitestgeh­end abgeschlos­sen. Aus ihrer Sicht habe es keine Hinweise auf ein Fehlverhal­ten der Lokführer gegeben, die strafrecht­lich zu verfolgen wären, sagt Hauptkommi­ssar Bartl. Nun habe die Staatsanwa­ltschaft das letzte Wort, sie muss entscheide­n, ob der Fall zu den Akten gelegt wird. Und im Rathaus arbeite man weiter an einer Lösung für das Trampelpfa­d-Problem am Bahnüberga­ng an der Neuburger Straße, erklärte Bürgermeis­ter Karlheinz Stephan. »Kommentar

Wie schnell darf eigentlich ein Zug in der Stadt fahren?

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