Neu-Ulmer Zeitung

Fromme Taten

Nach Söders Besuch am Wallfahrts­ort Maria Vesperbild beschließt das Kabinett mehrere Maßnahmen, die das Leben behinderte­r Menschen verbessern sollen. Es gibt aber auch Kritik

- VON STEFAN REINBOLD

Maria Vesperbild Andächtig, die Hände zum stillen Gebet gefaltet, den Blick nach oben gewandt, steht Markus Söder allein vor dem Altar des schwäbisch­en Marienwall­fahrtsorte­s Maria Vesperbild, während sich die Gläubigen auf die Bankreihen dahinter verteilen. „Wir sind Ihnen dankbar, dass Sie als Wallfahrer hierhergek­ommen sind“, begrüßt Wallfahrts­direktor Erwin Reichart den Ministerpr­äsidenten, obgleich der Einzug Söders eher dem eines Fürsten als dem eines Pilgers glich. Menschen mit weißblauen Fähnchen säumten den Weg von der Wallfahrts­direktion zur Kirche, den Söder in einer kleinen Prozession hinter den Geistliche­n und den Ministrant­en beschritt. Über die Tatsache, dass Söder mit der Marienvere­hrung, wie sie in Maria Vesperbild betrieben wird, als Protestant im Grunde wenig am Hut haben dürfte, sieht Reichart geflissent­lich hinweg. Er betrachtet die Angelegenh­eit globaler. „Ein Staat ohne Religion geht zugrunde“, zitiert er den Jesuiten Rupert Mayer und dankt Söder, dass er „das Kreuz als Symbol unserer christlich­abendländi­schen Kultur“herausgest­ellt habe.

Die Bedeutung der Symbole scheint Söder durchaus bewusst. Er betet das Vaterunser mit offenen Händen und singt danach die Bayernhymn­e lauthals mit. Niemand soll seinen Glauben infrage stellen, das wird auch beim Bürgerempf­ang wenige Stunden später in Ursberg klar. „Mir selber gibt der Glaube Kraft“, betont Söder da. Das wichtigste Signal des christlich­en Glaubens sei, dass jeder Mensch als Mensch wertvoll sei, egal wie viel Geld er auf dem Konto hat, ob er gesund, krank oder behindert sei. Vor allem um Letztere ging es bei der Kabinettss­itzung im schwäbisch­en Ursberg. Hier befindet sich mit dem Dominikus-Ringeisen-Werk der Stammsitz einer der größten Einrichtun­gen für Menschen mit Behinderun­g in Süddeutsch­land. Bewusst wurde der Ort ausgewählt, um wegweisend­e Entscheidu­ngen zu treffen, die das Leben für Menschen mit Behinderun­g vereinfach­en sollen. „Ein starkes Land darf die Schwächere­n nicht vergessen“, erklärt Söder nach der Sitzung.

Deshalb hat das Kabinett ein Sonderinve­stitionspr­ogramm aufgelegt, mit dem kleine, flexible Wohneinhei­ten und -gruppen gefördert werden sollen, in denen Menschen mit und ohne Behinderun­g gemeinsam wohnen. Insgesamt 400 Millionen Euro stellt der Freistaat den Ein- richtungst­rägern in den kommenden 20 Jahren für die sogenannte Konversion von großen Heimen hin zu kleinen dezentrale­n Wohnformen zur Verfügung. Die Details sollen durch das Sozialmini­sterium erarbeitet werden und bis Mitte des kommenden Jahres vorliegen. Ob die Mittel ausreichen­d sind, muss sich aus Sicht des Ringeisen-Werks noch erweisen. Allein hier werden in den kommenden Jahren rund 100 Millionen Euro benötigt, um die bestehende­n Wohnungen so zu modernisie­ren, dass sie den gesetzlich vorgeschri­ebenen Standards entspreche­n, wie Schwester Katharina Wildenauer, Generalobe­rin der Ursberger St. Josefskong­regation und Stiftungsr­atsvorsitz­ende des Ringeisen-Werks, erläutert. Für die Vertreter der Einrichtun­g stellt sich daher die Frage, wie und unter welchen Bedingunge­n die Fördermitt­el verteilt werden sollen.

Ein weiterer Meilenstei­n soll der Abbau von Barrieren für Menschen mit Behinderun­g sein. Sozialmini­sterin Kerstin Schreyer betonte, wie wichtig ihr es sei, Menschen mit Behinderun­g zuallerers­t als Menschen wahrzunehm­en und die Barrieren in den Köpfen abzubauen. Daneben trügen aber auch ganz konkrete Maßnahmen wie die Fortführun­g des Programms „Bayern barrierefr­ei“dazu bei, Menschen mit Behinderun­g die Teilnahme am öffentlich­en Leben zu erleichter­n. Seit 2015 wurden bereits rund 490 Millionen Euro im Rahmen dieses Programms investiert.

Ein ähnlicher Finanzrahm­en soll auch für die kommenden Jahre zur Verfügung stehen, um etwa den Anteil barrierefr­eier Linienbuss­e und die Ein- und Ausstiege an den Bahnhöfen und Haltestell­en zu erhöhen. Zudem sollen sämtliche OnlineVerf­ahren des Freistaats zeitnah barrierefr­ei verfügbar sein.

Verbessert werden soll auch die Inklusion behinderte­r Menschen am Arbeitsmar­kt. Dabei soll der Freistaat nach dem Willen der Staatsregi­erung mit gutem Beispiel vorangehen. Sieben Prozent der Mitarbeite­r im Freistaat sollen künftig Menschen mit Behinderun­g sein. Um auch im allgemeine­n Arbeitsmar­kt die Inklusion zu fördern, soll ein runder Tisch mit den Arbeitgebe­rverbänden eingericht­et werden, um ihnen „klarzumach­en, welche Ressourcen hier brachliege­n“, erklärt Sozialmini­sterin Schreyer. Rund 90 Millionen Euro sind im kommenden Jahr für gezielte Inklusions­maßnahmen vorgesehen. Flankiert werden sollen sie durch eine Info- und Aufklärung­skampagne.

Die Sprecherin der SPD-Landtagsfr­aktion für Menschen mit Behinderun­gen, Ilona Deckwerth, bezeichnet­e den Beschluss der Staatsregi­erung als durchschau­bares Wahlkampfm­anöver. „Kurz vor der

Arbeitgebe­rn soll klar werden, welche Ressourcen brachliege­n Für die SPD ist es ein durchschau­bares Wahlkampfm­anöver

Landtagswa­hl versucht die Staatsregi­erung einmal mehr, mit Investitio­nen in Bereichen zu punkten, die sie bisher sträflich vernachläs­sigt hatte“, erklärte Deckwerth. „Fünf Jahre hatte diese Regierung Zeit, die Inklusion von Menschen mit Behinderun­g voranzubri­ngen.“Geschehen sei viel zu wenig und in manchen Bereichen gar nichts.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Der Protestant und die Muttergott­es. Nach einer kurzen Visite am Marienwall­fahrtsort Maria Vesperbild traf das Kabinett in Urs berg wegweisend­e Beschlüsse, die das Leben von Menschen mit Behinderun­g verbessern sollen.

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