Neu-Ulmer Zeitung

Das Schönheits­geheimnis der Sonnenblum­en

Sie haben eine besondere Ausstrahlu­ng. Sie drehen sich in die Sonne. Sie stehen in Reih und Glied auf dem Feld: Wenige Pflanzen fasziniere­n uns im Sommer so sehr wie die Sonnenblum­en. Was steckt hinter den rätselhaft­en Tricks der Pflanze?

- VON CHRISTIAN SATORIUS

Schon van Gogh war ihnen ganz und gar verfallen und vollkommen fasziniert von den Formen und Farben, unzählige Male hat er sie auf die Leinwand gebannt. Kein Wunder eigentlich, denn Sonnenblum­en stehen wie keine anderen Pflanzen für die Sehnsucht nach Sonne, Sommer und Wärme, ja für den Sommer selbst. Mehr noch: Sie gieren förmlich nach jedem einzelnen Sonnenstra­hl und genau dafür sind sie auch gemacht. Optimal ausgestatt­et für genau diese Aufgabe haben sie so manchen Trick auf Lager, um auch den allerletzt­en Sonnenstra­hl noch einfangen zu können. Gleichzeit­ig halten sie alle möglichen Widersache­r davon ab, ihnen ins Handwerk zu pfuschen. Wie machen sie das?

Das Zauberwort heißt Heliotropi­smus: So nennen Botaniker die Fähigkeit der Pflanzen, dem Lauf der Sonne am Himmel zu folgen. Auf diese Weise sind sie immer optimal zur Sonne hin ausgericht­et und können die maximale Sonnendosi­s in sich aufnehmen. Nicht nur die Knospen, auch die Blätter verfügen über diese Fähigkeit. Motorzelle­n im sogenannte­n Pulvinus, einem flexiblen Teil des Stamms gleich unterhalb der Knospe, sind für die Bewegung verantwort­lich.

Die entspreche­nden Pflanzente­ile, die weniger Licht bekommen, bilden sogenannte Auxine, Stoffe, die für das Pflanzenwa­chstum verantwort­lich sind. Durch das Auxin wachsen die Pflanzente­ile im Schatten schneller als die im direkten Sonnenlich­t: Die Sonnenblum­e bewegt sich. Nachts kehren Knospen und Blätter wieder in ihre Ausgangsla­ge Richtung Osten zurück.

Bei älteren Pflanzen verhärtet der Stamm allerdings mit der Zeit und so zeigen alte Blüten zumeist lediglich noch in Sonnenaufg­angsrichtu­ng – die Fähigkeit des Heliotropi­smus geht so verloren. Gerade weil die Blüten und Blätter allesamt gleich ausgericht­et sind, fasziniere­n uns Sonnenblum­enfelder so sehr. Sie sehen immer schön ordentlich aufgereiht und aufgeräumt aus, wachsen nicht wie die sprichwört­lichen Kraut und Rüben wild durcheinan­der. Aber das ist noch nicht alles.

Ein weiteres optisches Highlight, das erklärt, warum uns die Sonnenblum­en so sehr gefallen, ist der Komplement­ärkontrast, der im Zusammenha­ng mit einem strahlend blauen Himmel entsteht. Das Blau des Himmels steht im Farbkreis dem Gelb der Blüten gegenüber. Jede einzelne Farbe wird dadurch noch einmal stärker betont und genau das empfinden wir Menschen als besonders ansprechen­d. Wenn nun auch noch Bienen fröhlich umhersumme­n, ist der Sommer perfekt und auch der Sonnenblum­enhonig konservier­t etwas die schöne Farbe.

Die Schönheit der Sonnenblum­en setzt sich übrigens bis ins kleinste Detail fort. Die Biologen haben dieses Schönheits­geheimnis als „Fibonaccif­olge“enträtselt. Betrachtet man nämlich die Blüte einer Son- genauer, so fällt auf, dass die Kerne in Spiralen angeordnet sind, die sich nach rechts beziehungs­weise links drehen. Die Anzahl dieser Spiralen ist nun keinesfall­s vollkommen beliebig, sondern nach mathematis­chen Gesetzmäßi­gkeiten aufgebaut, und zwar der sogenannte­n mathematis­chen „Fibonaccif­olge“entspreche­nd. Dies ist eine unendliche Reihe von Zahlen, bei denen sich jede einzelne Zahl dadurch ergibt, dass man die beiden vorherigen zusammenad­diert, also: 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55… und so weiter. Teilt man nun aber eine Zahl der Folge durch diejenige, die in der Reihe unmittelba­r vor ihr steht, ergibt sich im Mittel etwa eine 1,6, was dem Goldenen Schnitt gleichkomm­t, der als besonders harmonisch empfunden wird. So kommt es, dass wir ausgerechn­et die Blüten der Sonnenblum­en als schön und angenehm empfinden.

Nun ist die Sonnenblum­e aber nicht nur eine Schönheit, sondern auch ein Biest. Nicht nur ihre Perfektion in Aufbau und Verhalten sorgt dafür, dass sie ihren Mitstreite­rn um Sonnenlich­t und Nährstoffe überlegen ist. Um ihre Pracht zu erhalten, weiß sie sich vorzüglich gegen Fressfeind­e zur Wehr zu setnenblum­e zen. Unzählige kleine Giftstache­ln schlagen Insekten augenblick­lich in die Flucht, wenn sie mit ihnen in Berührung kommen.

Die Spitzen dieser kleinen Stacheln sind speziell gehärtet mit Silizium, dem Material aus dem auch Computerch­ips hergestell­t werden. Mehr noch: Sonnenblum­en sind sogar in der Lage, ihrem Standortbo­den Gifte zu entziehen und diese einzulager­n, etwa in den Stacheln oder auch in den Blättern. Selbst bleihaltig­en und radioaktiv belasteten Böden können die Pflanzen ihre Schadstoff­e entnehmen. So ist es schon vorgekomme­n, dass ganze Viehherden innerhalb kürzester Zeit verendet sind, nachdem sie an einem Sonnenblum­enfeld gefressen haben. Anderersei­ts kann diese besondere Fähigkeit, Gifte aufzunehme­n, aber auch gezielt dazu genutzt werden, um schadstoff­belastete Böden zu dekontamin­ieren.

Es gibt viele einzelne Sorten: Die „American Giant“ist mit 4,80

Wie sich die Sonnenblum­e Tag und Nacht bewegt Die Pflanzen können sogar verseuchte Böden entgiften

Metern Höhe die Riesin unter den Sonnenblum­en. Entspreche­nd kräftig ist auch der Stil. Große gelbe Blüten mit gelbbraune­r Mitte gibt’s dazu. Knapp an sie heranreich­t „King Kong“mit stolzen viereinhal­b Meter Größe, ihre Blütenköpf­e sind ganze 30 Zentimeter groß und eher schwarzbra­un. Die gut drei Meter hohen Blumen der Sorte „Titan“leuchten besonders schön gelb. Die Sorte „Abendsonne“verdankt ihren Namen dem tiefen dunklen Rot der Blüten in bis zu zwei Metern Höhe.

Eine absolute Schönheit unter den ja ohnehin schon hübschen Blumen ist die „Ring of Fire“. Sie macht ihrem Namen alle Ehre: Um die schwarze Mitte herum sind feurigrote Blätter angeordnet, die zum Rand hin gelb werden. 120 Zentimeter hoch. Für die Ölgewinnun­g werden spezielle Ölsorten angebaut –inzwischen immer mehr sogenannte „High-Oleic“-Sorten, deren Öl sich für besonders hohe Brat- und Frittier-Temperatur­en eignet. Für einen Liter Sonnenblum­enöl braucht man in der Regel die Kerne von bis zu 60 Sonnenblum­en.

Die bekanntest­e Sorte der Sonnenblum­en-Zierpflanz­e für zu Hause und den Balkon hört auf den süßen Namen Teddybär. Der Teddy fühlt sich auch in Töpfen wohl, da er nur etwa 45 cm groß wird. Die Blüten sind orangegelb und dicht gefüllt. Kuschelig.

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Foto: Fabrice Coffrini, afp Mit diesem Farbspiel verführt die Sonnenblum­e das menschlich­e Auge besonders: Das kräftige Gelb bietet im Zusammensp­iel mit dem Blau des Himmels für den Menschen einen unwiderste­hlichen Kontrast.

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