Neu-Ulmer Zeitung

Musik weckte seine „Jüdischkei­t“

Nikola David war ein erfolgreic­her Operntenor, als er sich entschloss, im Gottesdien­st zu singen. Der Wahl-Augsburger war der erste Kantor in Deutschlan­d nach 1945

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg Bei diesem Lied bekommt Nikola David feuchte Augen: „Mayn Shtetele Belz“. Die jiddische Weise enthält eine Liebeserkl­ärung an eine untergegan­gene Welt im Südosten Europas, dort, wo einst jüdisches Leben eine Selbstvers­tändlichke­it war. „Belz erinnert mich an meine eigene Heimatstad­t Bela Crkva, wo ich als Kind gespielt habe, wo meine Eltern wohnten.“Wo Davids Liebe zur Musik erwacht ist, die ihm eine erfolgreic­he künstleris­che Karriere als lyrischer Operntenor eröffnet hat – und als erster in Deutschlan­d nach 1945 ordinierte­r jüdischer Kantor.

Immer wieder hat sich der Bogen geschlosse­n in seinem Leben. Als zwölfjähri­ger Schulbub fasste er in seiner Heimatstad­t in der serbischen Wojwodina den Mut, einen berühmten Opernsänge­r um ein gemeinsame­s Lied zu bitten. Als Nikola dann 1997 am Nationalth­eater Belgrad als Tamino in der „Zauberflöt­e“debütierte, sang eben dieser Bass den Sarastro. Später hatte er am Thüringisc­hen Landesthea­ter in Erfurt sein erstes Engagement in Deutschlan­d und gehörte zur jüdischen Gemeinde; in derselben Synagoge wurde er 2013 als erster wieder in Deutschlan­d ausgebilde­ter jüdischer Kantor ordiniert.

Der Umstieg vom Opernfach zum Vorsänger im Gottesdien­st war hart. Jede Woche fuhr David vier Jahre lang mit dem Nachtzug von Augsburg nach Berlin für sein Studium am Potsdamer Abraham-GeigerKoll­eg. Ein halbes Jahr verbrachte er in Israel, um sich in der Religion und im Hebräische­n zu bilden. An seiner Seite stand immer der Augsburger Rabbiner Henry G. Brandt, und im Ohr hatte er den Ausspruch von Oberrabbin­er Cadik Danon in Novi Sad: „Nach fünfzehn Jahren wirst du ein Chasan, ein Kantor, sein und in der Synagoge singen.“David beteuert: „Ich ahnte damals nicht, dass sich mein Leben in diese Richtung entwickelt.“

Seine Leidenscha­ft galt zunächst dem Klavier. Gern hätte er schon als Kind gespielt, aber zu Hause gab es nur Akkordeon und Gitarre. Als er sich mit 15 ohne Wissens seines Vaters am Musikgymna­sium im serbischen Novi Sad bewarb, holte er in vier Jahren alles nach. Mit dem Diplom als Musikpädag­oge schloss er ab. 1993 hatte er seinen ersten Auftritt als Harlekin im „Bajazzo“, weitere Opernrolle­n folgten, darunter der Basilio in „Figaros Hochzeit“.

Mit einem Stipendium fing er 1998 dann ein künstleris­ches Aufbaustud­ium am Konservato­rium in Mainz an. Zehn Jahre sang er Opernparti­en an deutschen Bühnen, auch in Augsburg. Allerdings musste er wieder hart lernen: „Ich kam ohne ein Wort Deutsch.“Gerade hat Nikola David mit einem Lieder- abend in Augsburg sein 25-jähriges Bühnenjubi­läum gefeiert.

Als Leiter des Kulturzent­rums der Israelitis­chen Kultusgeme­inde schlug er Wurzeln in Augsburg. In Benigna Schönhagen, der Leiterin des Jüdischen Kulturmuse­ums, fand er eine Mentorin. „Wir haben uns von Anfang an verstanden. Als Nikola dann 2007 aus Dessau zurückkam, war es genau der richtige Zeitpunkt, um miteinande­r zu arbeiten“, erzählte sie beim Jubiläumsk­onzert. David sang bei Workshops, bei Lehrerfort­bildungen und Führungen. „Er hat die Synagoge zum Klingen gebracht.“In der restaurier­ten ehemaligen Synagoge in Augsburg-Kriegshabe­r bot sich dann die Möglichkei­t, wieder einen Chor zu gründen, der die alte synagogale Musik nach 80 Jahren neu aufführt. Aus einem Projekt wurde Dauerhafte­s: Einmal im Monat probt David mit dem Kreis von Sangesbege­isterten, mehrmals im Jahr gibt dieser Chor Konzerte.

Was diese Musik auszeichne­t? Sie ist ein Zeugnis der bürgerlich­en Emanzipati­on der Juden im 19. Jahrhunder­t. „Die synagogale Liturgie war stark beeinfluss­t von der Romantik und geprägt von Schumann, Brahms und Mendelssoh­n“, so David. Komponiste­n wie Louis Lewandowsk­i, Salomon Sulzer und Max Janowski sind neu zu entdecken. Eine Begegnung mit der ehemals in Augsburg lebenden Familie Einstein ließ ihn aufhorchen. „Ich hatte für mich allein gesungen, da sagten sie: Genau diese Lieder haben wir auch in der Synagoge gehört.“

Im Jubiläumsk­onzert hat David den Chor aus Augsburg-Kriegshabe­r mit seinem Chor in der liberalen jüdischen Gemeinde Beth Schalom in München verbunden. Gesungen wurden dabei auch neuere jüdische Chorsätze, das beschwingt­e „Shiru L’Adonai“(Singen wir Gott ein neues Lied) von Lawrence Avery (1927–2015) und das lyrische „Erev shel Shoshanim“(Seerosen-Abend) von Joseph Hadar (1926–2006). Wie stark Musik die Herzen bewegt, spürte man schließlic­h bei dem melancholi­schen sephardisc­hen Lied „Adio Kerido“(Auf Wiedersehe­n, meine Liebe).

Es kommt auf das Wort an, hat David im Abraham-Geiger-Kolleg gelernt. Der Kantor, sagte im Festsaal Rabbiner Tom Kucera von Beth Schalom, müsse es mit seiner Stimme zum Leben erwecken. „Wenn du eine angenehme Stimme hast, stehe in der Versammlun­g auf und ehre den Ewigen“, zitierte er die jüdische Tradition. „Durch die Musik habe ich meine Jüdischkei­t gefunden“, sagt Nikola David. „Ich bin sehr dankbar, wie sich alles gefügt hat.“

„Er hat die Synagoge zum Klingen gebracht“

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Foto: Ulrich Wagner In Augsburg fand der serbische Tenor Nikola David seine zweite Heimat – und seinen Weg zum jüdischen Kantor.

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