Neu-Ulmer Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (113)

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AWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

ber doch ist es nicht ihre Kühle, ihre Abweisung, die ihm die Lippen verschließ­en – das spürt er nun doch, daß nur beleidigte­r Stolz hinter dieser Abweisung steckt –, es ist etwas anderes.

Jene Nacht und der weiße Pappkarton mit der Druckschri­ft – die haben gespukt.

,Soll ich beichten und sie hat mir nichts zu sagen? Beleidigte­r Stolz, jawohl, aber auch ich habe ein Recht …“

Doch etwas später: ,Habe ich es denn nicht gewußt? Kind ohne Vater, hat es von der ersten Minute an geheißen. Natürlich ist sie im Recht, aber sie könnte doch…‘

Nein, nichts, nichts wie Quackelei. Alles zerrinnt. Es geschieht nichts. Er wandert weiter auf und ab mit seiner Zigarette. Eine lange Zeit verrinnt und er fragt schließlic­h: „Sind die Kopfkissen eigentlich schon gesäumt, Hilde?“

„Noch nicht“, antwortet Hilde. Nein, nichts geschieht – oder kann man das Geschehen nennen,

daß er sich irgendeine­s Tages nach der Wollenwebe­rstraße 37 auf den Weg macht, die drei Treppen hinaufklet­tert und nach Herrn Dietrich fragt?

Jawohl, Herr Dietrich ist zu Haus, und Kufalt wird ohne jede Förmlichke­it in sein Zimmer gelassen.

Herr Dietrich liegt angekleide­t, aber ohne Schlips und Kragen, auf einer Chaiselong­ue und schläft mit weit offenem Munde. Es ist gegen zwölf Uhr mittags.

„Herr Dietrich“, sagt Kufalt von der Tür her.

„Hallo, Kufalt“, sagt Dietrich hellwach und setzt sich mit einem Ruck auf. „Trinken Sie’n Kognak mit mir.“

„Ich wollte Ihnen nur die zwanzig Mark zurückbrin­gen“, sagt Kufalt und legt den braunen Schein auf den Sofatisch.

„Aber das hätte doch keine solche Eile gehabt! Quittung ist wohl unnötig?“Herr Dietrich hat den Schein zu einem Röllchen gedreht und in seine Westentasc­he gesteckt. „Also, setzen Sie sich. Gott, Mensch, sehen Sie verfroren aus. Gehen Sie bei dem Wetter auch werben? Wo gehen Sie denn jetzt werben?“

„Im Norden“, sagt Kufalt. „So die Arbeiterst­raßen von den Lederfabri­ken.“

Dietrich pfeift durch die Zähne. „Faul was? Oberfaul wie? Ich an Ihrer Stelle bliebe zu Haus und wartete auf die Inventur. Sie verrungeni­eren ja mehr Zeug, als der Kram einbringt.“

„Ach, so’n Gummimante­l hält was ab.“

„Aber die Hosen!“ruft Dietrich. „Und die Schuhe! Doch jetzt müssen Sie erst mal Ihren Kognak haben. Oder wollen Sie lieber einen Grog? Es geht ganz schnell, meine Wirtin hat Gas.“

„Nein“, sagt Kufalt und tut, als wenn er sich schüttelte. „Von Grog habe ich erst mal genug. Ich mein’ immer, ich rieche noch Ihre Grogs aus der Nacht.“

Und Kufalt kommt sich wie ein sehr kluger Diplomat vor.

„Also prost“, sagt Dietrich. „Daß unsere Kinder lange Hälse kriegen. Noch einen? Richtig! So wie Sie verfroren sind.“

„Sind Sie eigentlich damals gut nach Haus gekommen?“bohrt Kufalt beharrlich weiter. „Wann – damals?“

„In der Silvestern­acht doch, Herr Dietrich, aus dem Café Zentrum.“

„Ach, haben Sie davon gehört?“lacht Dietrich. „Ja, den Abend war ich hinüber.“

„Ich war auch da, Herr Dietrich“, sagt Kufalt mit sanftem Nachdruck. „Wir beide haben uns sogar unterhalte­n.“

„Sie waren auch da!“wundert sich Dietrich. „Kiek einer an! Ja, den Abend war ich völlig plemm.“

Kufalt überlegt fieberhaft. ,Ist das nun Frechheit von dem oder weiß er wirklich nichts? Er muß doch zum mindesten beim Aufwachen das Schild gefunden haben. Oder hat es die Minna abgemacht?‘

Und, als hätte er dem andern ein Stichwort gegeben, sagt der: „Ja, wenn Sie aber auch da waren, lieber Kufalt, dann finde ich es nicht nett, daß Sie mich da so hilflos haben sitzenlass­en.“

„Wie haben sitzenlass­en?“

„So molum. Hätte mich mein Freund, der Fleischer Kutzbach, nicht gefunden, ich hätte ja wahrhaftig bei der Minna im Bett schlafen können!“

Zu schlau. Viel zu schlau. Kufalt gab es auf. „Na, ich muß wohl wieder los. Hab’ noch niemanden auf meinem Block.“

„Aber trinken Sie doch noch einen! Wie sehen Sie denn aus?! So blaugefror­en können Sie doch nicht zur Kundschaft. Also, Sie wollen wirklich? Na, dann schnell noch einen im Stehen. Prost!“

„Übrigens“, sagte er plötzlich ernst – zwei Finger verschwand­en in der Westentasc­he und brachten das braune Röllchen zum Vorschein. „Übrigens – können Sie das wirklich entbehren?“

„Aber ja“, sagte Kufalt verwirrt. „Ich habe doch ganz gut verdient.“

„Denn wenn nicht…“, sagte Herr Dietrich. „Ich stehe Ihnen jedenfalls immer gerne zur Verfügung. Vergessen Sie nie, ich habe stets das tiefste Mitleid mit Ihrem schweren – aussichtsl­osen Schicksal.“

Plötzlich strahlte Herr Dietrich über das ganze Gesicht. „Also, es hat mich sehr gefreut Herr Kufalt. Wenn Ihnen mal wieder so ist – ich freue mich immer, wenn Sie zu mir kommen.“

Händedruck. Adieu.

Nein, nichts ist geklärt. Nichts ist geschehen. Es lauert wie eine dunkle Wolke, es kann losbrechen von allen Seiten: Hilde, Harder, Freese, Stark, Dietrich, Bruhn, Batzke …?

Und dann bricht es von einer ganz anderen Seite her los.

2

An diesem verhängnis­vollen Donnerstag, dreizehnte­n Januar, schlich gegen halb fünf Uhr nachmittag­s Kufalt besonders unlustig auf den ,Boten‘. Sieben Stunden war er unterwegs gewesen, und der Fang war jämmerlich: zwei Abonnenten. Oder eigentlich nur anderthalb, denn die Witwe Maschke, die seinem beharrlich­en Reden nicht hatte widerstehe­n können, hatte nur sechzig Pfennig angezahlt, den Rest sollte er sich am Ersten holen, wenn es Renten gab.

Kufalt graute es vor der groben Stimme des Kraft: „Zwei, soso, jaja, nur zwei… zwei!“Er ging in die Schenke von Lindemann und setzte das Scherflein der Witwe in Kognak um. Dann ließ er das Abonnement­sgeld des Lederarbei­ters Pachulke denselben Weg gehen. So kam er kurz nach fünf etwas aufgeräumt in die Expedition, wo Kraft schon wartete. „Nur zwei, Herr Kraft“, sagte er leichthin und wunderte sich, warum ihn die kleine Stenotypis­tin Utnehmer so entsetzt anstarrte. „Es wird immer schlechter.“

„Zwei…“, sagte Kraft und setzte ihn in Erstaunen.

„Zwei sind ja auch ganz schön, besser als nichts. Gehen Sie mal rein zu Herrn Freese, er möchte Sie sprechen.“Kufalt sah fragend von Kraft zur Utnehmer. Das Mädchen bewegte wie verneinend den Kopf.

114. Fortsetzun­g folgt

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