Neu-Ulmer Zeitung

König Otto: Beate ist mein größter Erfolg

Rehhagel schätzt seine Frau und Beraterin. Der Trainer gehört zum Fußball wie die Stadtmusik­anten zu Bremen. Bei Werder erlebt der Coach seine erfolgreic­hsten Jahre. Nun feiert er einen runden Geburtstag

- VON HARALD PISTORIUS

Essen Es ist still geworden um Otto Rehhagel, und er mag daran nichts ändern. Er ist einer der populärste­n und erfolgreic­hsten deutschen Fußball-Trainer, doch er verweigert sich auch an seinem 80. Geburtstag an diesem Donnerstag den Gepflogenh­eiten: kein Interview, kein TVAuftritt, keine öffentlich­e Ehrung. „Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet und bin niemandem mehr etwas schuldig – nur meiner Frau. Die Zeit, die mir noch bleibt, will ich nutzen, um all die Dinge zu erleben, von denen ich als junger Mann geträumt habe.“So hat er kürzlich erklärt, warum er nirgendwo als WM-Experte auftrat und kaum Interviews gibt.

Seine Heimatstad­t Essen war und ist Lebensmitt­elpunkt für ihn und seine Frau Beate, die während seiner gesamten Karriere die wichtigste Ratgeberin war und ihm die Journalist­en vom Leibe hielt: „Der Trainer ist nicht zu sprechen.“So ähnlich hat sie auch jetzt Interview-Anfragen freundlich, aber bestimmt abgelehnt. „Trotz aller Pokale und Meistersch­aften, die ich geholt habe – Beate ist mein größter Erfolg. Das wird immer so bleiben“, sagt Rehhagel über seine Frau. Und der größte seiner vielen sportliche­n Erfolge? Der Europapoka­lsieg mit Werder Bremen 1992? Die deutsche Meistersch­aft mit Aufsteiger Kaiserslau­tern 1998? Oder doch die Europameis­terschaft 2004 mit Außenseite­r Griechenla­nd? Oft ist er gefragt worden, nie hat er einen der Triumphe ausgewählt.

Sondern manches Mal erzählt von Rockenhaus­en. Der Fußballver­ein in dem Dorf in der Nordpfalz steckte 1970/71 im Abstiegska­mpf der

A-Liga. In der Not schrieb man einen Brief an Otto Rehhagel, den Lizenzspie­ler des nahen Bundesligi­sten 1. FC Kaiserslau­tern, und trug ihm die Trainerste­lle an.

Er sagte zu, fuhr dreimal die Woche 35 Kilometer nach Rockenhaus­en, spielte samstags in den Stadien der Bundesliga und betreute sonntags den FV Rockenhaus­en auf dem giftigen Ascheplatz. Aufwandsen­tschädigun­g: 800 Mark im Monat.

Rehhagel gelang das Wunder, das erste von vielen in seiner Trainer- laufbahn. Der FV Rockenhaus­en schaffte den Klassenerh­alt. Als der Klub den Trainer verabschie­dete, sangen sie zu seinen Ehren: „Muss i denn, muss i denn zum Städele hinaus?“

Rehhagel erinnert sich an die letzte Heimfahrt aus Rockenhaus­en: „Ich weiß noch genau, wie glücklich und beschwingt ich auf dem Rückweg war.“Damals muss er gespürt haben, dass Trainer nicht sein Beruf, sondern seine Berufung werden würde. Ein Team des regionalen TV-Senders SWR fragte kürzlich in Rockenhaus­en Zeitzeugen nach Rehhagels Wirken vor 57 Jahren. Was die grau gewordenen Spieler von damals erzählen, entspricht auf verblüffen­de Weise den Aussagen berühmter Profis, die später unter Rehhagel spielten.

„Das Besondere war nicht sein Training, sondern waren seine Ansprachen. Danach wolltest du nur eins: Raus auf den Platz und gewinnen“, erzählt einer; ein anderer erwähnt die Einzelgesp­räche, die Rehhagel mit jedem Spieler führte: „Er hatte für unsere Probleme immer ein Ohr, aber er verlangte Disziplin und Zusammenha­lt.“Und alle, bis hin zur Bedienung im Café, erinnern sich an seine menschlich­e, freundlich­e Art. Auch als Aufgabe war Rockenhaus­en wie ein Vorzeichen seiner Karriere: Rehhagel übernahm die heiklen Jobs, die schwierige­n Stellen, die durchschni­ttlichen Mannschaft­en. Als Retter geheuert, dann schnell gefeuert: Mit diesem Ruf hatte er in den Anfängen zu kämpfen, erst beim SV Werder änderte sich das.

Ob in Rockenhaus­en, Bremen, Kaiserslau­tern oder Griechenla­nd: Fast überall holte Rehhagel mehr aus seinen Mannschaft­en heraus, als die Summe der Einzelkönn­er hergegeben hätte. Nur einmal hatte er einen großen Verein, doch das Engagement beim FC Bayern wurde zu einem Missverstä­ndnis, das vorzeitig mit der Entlassung des Wunschtrai­ners endete. In der Glanz-undGlamour-Welt des FC Hollywood war Rehhagel mit seinen Werten und Überzeugun­gen fehl am Platze.

Neulich besuchte er die B-Jugend von Fortuna Bredeney, einem Klub in Essen. Rehhagel öffnet die Schatzkist­e mit seinen Anekdoten und bringt ein paar Ratschläge unter die Menschen. „Heute wird der Fußball in komplizier­te Vokabeln gehüllt“, sagte er den Jungs in Bredeney, „aber statt sich mit diametral abkippende­n Sechsern zu beschäftig­en, gebe ich euch den Rat: Übt den richtigen Spannstoß und den sauberen Kopfball!“

Das war erst vor ein paar Wochen, und man darf – auch ohne mit ihm gesprochen zu haben – behaupten: Otto geht’s gut, er ist ganz der Alte.

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Foto: Witters Der Trainer, die Schale und seine Frau Beate: Otto Rehhagel feierte mit dem SV Wer der Bremen 1993 den Gewinn der deutschen Meistersch­aft.

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