Soziales Pflichtjahr: Chance oder Unsinn?
Geht es nach Politikern, könnte ein zwölf Monate langer Dienst im Altenheim oder bei der Bundeswehr zur Vorschrift werden. Was junge Leute und Leiter sozialer Einrichtungen in der Region dazu sagen
Region Seit sieben Jahren sind junge Männer nicht mehr dazu verpflichtet, einen Wehr- oder Zivildienst zu leisten. Dieser Tage ist die Debatte darüber wieder hochgekocht. Auslöser war der Vorschlag von CDUGeneralsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, eine allgemeine Dienstpflicht einzuführen. Soll heißen: Jede und jeder soll nach Ende der Schullaufbahn ein Jahr lang etwas für die Allgemeinheit tun – bei der Bundeswehr oder in sozialen Einrichtungen. Die Reaktionen sind gemischt, auch in der Region.
Der 17-jährige Moritz Steinle aus Illertissen hält nicht viel von der Idee. Seiner Meinung nach wäre es sinnvoller, soziale Berufe wie den des Kranken- oder Altenpflegers zu fördern. „Unattraktive Jobs durch Zwang zu besetzen, anstatt sie attraktiver zu gestalten, führt mehr zu unproduktiven Arbeitskräften“, sagt der Jugendliche. Auch ein „Vollstopfen“der Bundeswehr hält er für Schwachsinn, zumal die Kosten für neue Ausrüstung explodieren würden. Sollte ein solcher Dienst eingeführt werden, würde er sich für eine Arbeit im sozialen Bereich entscheiden. „Da bin ich zumindest überzeugt, etwas Sinnvolles zu machen und grob eigenständig zu entscheiden.“
Stefan Kast ist Kreisgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes Neu-Ulm. Er lehnt ein Pflichtjahr ab – wie viele Vertreter von Wohlfahrtsverbänden. Stattdessen solle der Staat die Hürden beim Freiwilligen Sozialen Jahr und beim Bundesfreiwilligendienst abbauen. Bei Letzterem gibt es ein Kontingent: Pro Jahr darf es nur eine bestimmte Anzahl der sogenannten Bufdis geben. Abgesehen von diesen Einschränkungen sagt Kast: „Die Freiwilligendienste sind okay so, wie sie sind.“Früher beschäftigte der BRK-Kreisverband rund 35 Zivis pro Jahr. „Sie waren uns eine große Hilfe“, erinnert sich Kast. Inzwischen leisten etwa 30 junge Männer und Frauen beim Neu-Ulmer BRK ein FSJ ab. „Die jungen Menschen sagen anschließend oft, dass es ihr Selbstbewusstsein gestärkt hat, auf andere zuzugehen“, schildert Kreisgeschäftsführer Kast.
Bei der Kreisspitalstiftung ist der Blick anders. „Für uns wäre das eine gute Sache“, sagt Sprecherin Edeltraud Braunwarth. „Wir könnten junge Leute begeistern, in Pflegeberufe oder in eine andere Arbeit im Krankenhaus einzusteigen“, erklärt sie. Der schlechte Ruf dieser Stellen ist ihrer Ansicht nach unbegründet. Braunwarth schwärmt von der sozialen Nähe, die Klinikmitarbeiter erleben. Auch die Bezahlung sei besser als oft gesagt werde. Die Zahl junger Männer und Frauen, die für ein Freiwilliges Soziales Jahr in eine der drei Kliniken gehen, ist Braunwarth zufolge überschaubar. „Den Bedarf hätten wir in jedem Fall“, sagt sie. Junge Leute könnten ausprobieren, ob ein Pflegeberuf für sie infrage kommt – oder im Betten- in der Verwaltung oder der Küche zum Einsatz kommen.
Der Caritasverband für die Region Günzburg und Neu-Ulm konzentriert sich auf Beratungsangebote. Für Freiwillige gibt es daher keine geeigneten Plätze. Doch Geschäftsführer Mathias Abel sagt: Wenn ein soziales Pflichtjahr für alle eingeführt wird, werde man sich Gedanken machen, ob es sinnvolle Einsatzmöglichkeiten gibt. Abel hat seinen Zivildienst 20 Monate lang beim Deutschen Roten Kreuz im Rettungsdienst abgeleistet. Diese Zeit sei sehr lehrreich gewesen, erinnert sich der Sozialpädagoge. Zur allgemeinen Dienstpflicht sagt er: „Ich halte das für sinnvoll. Wie kommt ein junger Mensch sonst noch mit solchen Themen in Berührung?“Ein Pflichtjahr biete die Chance, dass junge Männer und Frauen zumindest für einige Monate über andere Fragen nachdenken als darüber, wie sie Geld verdienen können.
Ara Gharakhanian, der unter anderem das Kreisseniorenwohnheim in Babenhausen leitet, sagt: „Das Ziel, dass soziale Einrichtungen entlastet werden sollen, wird dadurch nicht erfüllt.“Es würden weniger Hilfskräfte, sondern vielmehr Fachkräfte gesucht. Es sei fraglich, ob sich junge Leute im Anschluss an einen verpflichtenden Dienst zu einer Ausbildung im Pflegesektor entschließen. Mit dem Ende des Zivildienstes sei für das Seniorenheim kein Personalengpass eingetreten. Das Interesse am danach eingeführten Bundesfreiwilligendienst sei sehr gering ausgefallen. „Wir haben deshalb eher auf das Freiwillige Soziale Jahr gesetzt“, sagt Gharakhanian. Auch einige Interessenten aus dem Ausland hätten angefragt. Webahnhof, gen bürokratischer Hürden konnten sie aber nicht beschäftigt werden. Hier sollte die Politik laut Gharakhanian ansetzen.
Ganz anderer Meinung ist Florian Spiegel. Der 30-jährige Altenstadter hat die Wehrpflicht bereits hinter sich – und hat seine Zeit bei der Bundeswehr sogar verlängert. „Ich war freiwilliger Wehrdienstleistender und später dann vier Jahre lang Soldat auf Zeit“, sagt Spiegel. Positiv in Erinnerung geblieben ist ihm vor allem die Gemeinschaft in der Kaserne. „Der Zusammenhalt in so einer Gruppe ist sehr gut.“Außerdem sammle man Erfahrungen fürs Leben und bekomme Werte wie Disziplin und Teamfähigkeit vermittelt. „Ich finde schon, dass manchen das heutzutage fehlt“, sagt der 30-Jährige. Er bereue seine Entscheidung für den Wehrdienst nicht. »Kommentar