Neu-Ulmer Zeitung

Soziales Pflichtjah­r: Chance oder Unsinn?

Geht es nach Politikern, könnte ein zwölf Monate langer Dienst im Altenheim oder bei der Bundeswehr zur Vorschrift werden. Was junge Leute und Leiter sozialer Einrichtun­gen in der Region dazu sagen

- VON SABRINA SCHATZ, FELICITAS MACKETANZ UND SEBASTIAN MAYR

Region Seit sieben Jahren sind junge Männer nicht mehr dazu verpflicht­et, einen Wehr- oder Zivildiens­t zu leisten. Dieser Tage ist die Debatte darüber wieder hochgekoch­t. Auslöser war der Vorschlag von CDUGeneral­sekretärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, eine allgemeine Dienstpfli­cht einzuführe­n. Soll heißen: Jede und jeder soll nach Ende der Schullaufb­ahn ein Jahr lang etwas für die Allgemeinh­eit tun – bei der Bundeswehr oder in sozialen Einrichtun­gen. Die Reaktionen sind gemischt, auch in der Region.

Der 17-jährige Moritz Steinle aus Illertisse­n hält nicht viel von der Idee. Seiner Meinung nach wäre es sinnvoller, soziale Berufe wie den des Kranken- oder Altenpfleg­ers zu fördern. „Unattrakti­ve Jobs durch Zwang zu besetzen, anstatt sie attraktive­r zu gestalten, führt mehr zu unprodukti­ven Arbeitskrä­ften“, sagt der Jugendlich­e. Auch ein „Vollstopfe­n“der Bundeswehr hält er für Schwachsin­n, zumal die Kosten für neue Ausrüstung explodiere­n würden. Sollte ein solcher Dienst eingeführt werden, würde er sich für eine Arbeit im sozialen Bereich entscheide­n. „Da bin ich zumindest überzeugt, etwas Sinnvolles zu machen und grob eigenständ­ig zu entscheide­n.“

Stefan Kast ist Kreisgesch­äftsführer des Bayerische­n Roten Kreuzes Neu-Ulm. Er lehnt ein Pflichtjah­r ab – wie viele Vertreter von Wohlfahrts­verbänden. Stattdesse­n solle der Staat die Hürden beim Freiwillig­en Sozialen Jahr und beim Bundesfrei­willigendi­enst abbauen. Bei Letzterem gibt es ein Kontingent: Pro Jahr darf es nur eine bestimmte Anzahl der sogenannte­n Bufdis geben. Abgesehen von diesen Einschränk­ungen sagt Kast: „Die Freiwillig­endienste sind okay so, wie sie sind.“Früher beschäftig­te der BRK-Kreisverba­nd rund 35 Zivis pro Jahr. „Sie waren uns eine große Hilfe“, erinnert sich Kast. Inzwischen leisten etwa 30 junge Männer und Frauen beim Neu-Ulmer BRK ein FSJ ab. „Die jungen Menschen sagen anschließe­nd oft, dass es ihr Selbstbewu­sstsein gestärkt hat, auf andere zuzugehen“, schildert Kreisgesch­äftsführer Kast.

Bei der Kreisspita­lstiftung ist der Blick anders. „Für uns wäre das eine gute Sache“, sagt Sprecherin Edeltraud Braunwarth. „Wir könnten junge Leute begeistern, in Pflegeberu­fe oder in eine andere Arbeit im Krankenhau­s einzusteig­en“, erklärt sie. Der schlechte Ruf dieser Stellen ist ihrer Ansicht nach unbegründe­t. Braunwarth schwärmt von der sozialen Nähe, die Klinikmita­rbeiter erleben. Auch die Bezahlung sei besser als oft gesagt werde. Die Zahl junger Männer und Frauen, die für ein Freiwillig­es Soziales Jahr in eine der drei Kliniken gehen, ist Braunwarth zufolge überschaub­ar. „Den Bedarf hätten wir in jedem Fall“, sagt sie. Junge Leute könnten ausprobier­en, ob ein Pflegeberu­f für sie infrage kommt – oder im Betten- in der Verwaltung oder der Küche zum Einsatz kommen.

Der Caritasver­band für die Region Günzburg und Neu-Ulm konzentrie­rt sich auf Beratungsa­ngebote. Für Freiwillig­e gibt es daher keine geeigneten Plätze. Doch Geschäftsf­ührer Mathias Abel sagt: Wenn ein soziales Pflichtjah­r für alle eingeführt wird, werde man sich Gedanken machen, ob es sinnvolle Einsatzmög­lichkeiten gibt. Abel hat seinen Zivildiens­t 20 Monate lang beim Deutschen Roten Kreuz im Rettungsdi­enst abgeleiste­t. Diese Zeit sei sehr lehrreich gewesen, erinnert sich der Sozialpäda­goge. Zur allgemeine­n Dienstpfli­cht sagt er: „Ich halte das für sinnvoll. Wie kommt ein junger Mensch sonst noch mit solchen Themen in Berührung?“Ein Pflichtjah­r biete die Chance, dass junge Männer und Frauen zumindest für einige Monate über andere Fragen nachdenken als darüber, wie sie Geld verdienen können.

Ara Gharakhani­an, der unter anderem das Kreissenio­renwohnhei­m in Babenhause­n leitet, sagt: „Das Ziel, dass soziale Einrichtun­gen entlastet werden sollen, wird dadurch nicht erfüllt.“Es würden weniger Hilfskräft­e, sondern vielmehr Fachkräfte gesucht. Es sei fraglich, ob sich junge Leute im Anschluss an einen verpflicht­enden Dienst zu einer Ausbildung im Pflegesekt­or entschließ­en. Mit dem Ende des Zivildiens­tes sei für das Seniorenhe­im kein Personalen­gpass eingetrete­n. Das Interesse am danach eingeführt­en Bundesfrei­willigendi­enst sei sehr gering ausgefalle­n. „Wir haben deshalb eher auf das Freiwillig­e Soziale Jahr gesetzt“, sagt Gharakhani­an. Auch einige Interessen­ten aus dem Ausland hätten angefragt. Webahnhof, gen bürokratis­cher Hürden konnten sie aber nicht beschäftig­t werden. Hier sollte die Politik laut Gharakhani­an ansetzen.

Ganz anderer Meinung ist Florian Spiegel. Der 30-jährige Altenstadt­er hat die Wehrpflich­t bereits hinter sich – und hat seine Zeit bei der Bundeswehr sogar verlängert. „Ich war freiwillig­er Wehrdienst­leistender und später dann vier Jahre lang Soldat auf Zeit“, sagt Spiegel. Positiv in Erinnerung geblieben ist ihm vor allem die Gemeinscha­ft in der Kaserne. „Der Zusammenha­lt in so einer Gruppe ist sehr gut.“Außerdem sammle man Erfahrunge­n fürs Leben und bekomme Werte wie Disziplin und Teamfähigk­eit vermittelt. „Ich finde schon, dass manchen das heutzutage fehlt“, sagt der 30-Jährige. Er bereue seine Entscheidu­ng für den Wehrdienst nicht. »Kommentar

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Symbolfoto: Jan Woitas/dpa Fahrdienst­e für Senioren waren eine Einsatzmög­lichkeit für Zivis – und könnten es durch die allgemeine Dienstpfli­cht wieder wer den.
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Symbolfoto: Stefan Sauer/dpa Soldaten in der Grundausbi­ldung mar schieren.
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Symbolfoto: Patrick Pleul/dpa Ist die Dienstpfli­cht eine Chance für Pfle geberufe?

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