Neu-Ulmer Zeitung

Oldtimer unter Strom

Ein Unternehme­r aus Blaustein versöhnt Freunde alter Autos mit emissionsf­reier E-Mobilität. Seine Fahrzeuge will er in Serie produziere­n. Sogar für den Sound hat er eine Lösung

- VON LUDGER MÖLLERS

Ulm/Blaustein Dieser VW-Käfer riecht, wie ein Käfer riechen muss: nach Rosshaar, das die Sitze aufpolster­t. Kindheitse­rinnerunge­n werden wach. Dieser Käfer fordert eine Sitzhaltun­g, wie nur ein Käfer sie fordert: ganz nahe an der Windschutz­scheibe, Fahrer und Beifahreri­n ganz nahe beieinande­r. Jugenderin­nerungen werden lebendig. Aber dieser Käfer fährt sich so ganz anders als die eigenen, ersten, aus heutiger Sicht lahmen Krabbeltie­re auf vier Rädern: Er ist fast lautlos unterwegs. Er beschleuni­gt so, wie man das von den 30, 40 oder bis zu 50 PS starken Modellen nie kannte. Und er heizt sogar: Denn dieser Käfer hat zwar schon 37 Jahre auf dem typisch rundlichen Buckel. Der Antrieb aber stammt aus dem Baujahr 2018. Und er ist elektrisch.

„Ich will Oldtimer-Liebhaber und Elektromob­ilität miteinande­r versöhnen“, erklärt Johannes Boddien aus Blaustein (Alb-DonauKreis), der den silberfarb­enen Käfer stolz vorstellt: „Oldtimerfr­eunde haben häufig ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihre Fahrzeuge bewegen: Spritverbr­auch und Krach haben Umweltbela­stung zur Folge.“Mit den auf Elektroant­rieb umgerüstet­en Fahrzeugen könne man dem Hobby mit reinem Gewissen frönen: „Und alltagstau­glich sind die Autos auch.“

Die Idee kam Boddien, der sein Geld als Berater für digitale Medien verdient und von Mechanik nach eigener Aussage „so gut wie nichts versteht“, als er ein Geschenk für seine Frau suchte: „Zum 50. Geburtstag sollte es etwas Besonderes sein.“Einen alten VW-Bus der ersten Serie, die Kenner nur T1 nennen, hatte Boddien im Visier. Für gut erhaltene Exemplare aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren werden bis zu 50000 Euro aufgerufen. Doch die meisten Transporte­r haben drei bis vier Leben hinter sich: beispielsw­eise auf dem Bau, als Familienku­tsche, als Campingfah­rzeug und anschließe­nd als rollende Studentenb­ude. Entspreche­nd schlecht erhalten sind die Arbeitstie­re der Wirtschaft­swunderzei­t. Und kosten immer noch 20 000 Euro. Zu viel für ein Geburtstag­sgeschenk.

Doch die Idee ließ den Familienva­ter nicht los: „Ich brachte meine Geschäftsb­eziehungen zu einem Hersteller von Elektroant­rieben und Elektronik, zu Werkstätte­n für den Umbau und zu Importeure­n für gebrauchte Fahrzeuge zusammen.“Für die technische Abnahme fand sich ein Tüv-Prüfer mit Verständni­s für alte Autos mit neuen Antrieben. Ein in Mexiko für den deutschen Markt gebauter Käfer machte den Anfang: Seit April 2018 rollt der Prototyp durch Ulm und das Umland. Ein Käfer, der sich mit dem VW-Transporte­r die technische Basis teilt. Unter der Motorhaube sitzt im Heck des Fahrzeugs ein Elektromot­or, hinter der Rückbank sind die Akkus verbaut. Und im Heck wie im Kofferraum unter der Fronthaube sind Sicherunge­n, Schutzscha­lter, Steuerung und weitere Elektronik montiert: „Und das wars auch schon“, erklärt Boddien. Getriebe, Bremsen, Achsen, Lenkung bleiben im Originalzu­stand.

Zwar bauen einige Firmen seit Jahren Oldtimer auf Elektromob­ilität um, doch handelt es sich stets um Einzelauft­räge. Boddien will den E-Käfer serienreif präsentier­en und gründete die Firma „Voltimer – Klassiker unter Strom“. Mit dem Prototypen hat er schon ein paar Messen besucht, stieß auf Begeisteru­ng: „Kaufintere­ssenten habe ich, drei Autos sind schon verkauft.“Für 2018 will er zwölf Käfer oder Transporte­r umbauen lassen, 2019 sollen es 24 Autos sein. Entscheide­nd werden die Kontakte nach Brasilien: Dort sind Transporte­r und Käfer zwar auch intensiver Nutzung ausgesetzt, aber sie rosten auf den salzlosen Straßen nicht: „Und sie werden gut gepflegt, sind nicht so teuer wie in Deutschlan­d.“Interessen­ten können auch eigene Fahrzeuge mitbringen und umrüsten lassen.

Guido Stahl aus Altusried im Oberallgäu ist Vorsitzend­er des VW Käfer Clubs Allgäu und besitzt einen 33 Jahre alten Käfer: „Der läuft mit seiner Originalma­schine und braucht keinen Elektromot­or“, sagt er. Boddiens Projekt hat für ihn zwei Seiten: „Ich finde es gut, wenn auf diese Weise Käfer auf lange Sicht im Straßenbil­d bleiben, denn der Käfer symbolisie­rt wie kein anderes Fahrzeug die deutsche Massenbewe­gung.“Stahls Einwand: „Für mich ergibt E-Mobilität nur dann Sinn, wenn der benötigte Strom nicht aus Braunkohle, Steinkohle, Gas oder in Atomkraftw­erken gewonnen wird.“Elektroaut­os, die mit Strom aus Solar- oder Windanlage­n fahren: „Das wäre richtig gut.“Der Kritik von Oldtimer-Puristen, die in historisch­en Fahrzeugen nur die einstmals verbauten Verbrennun­gsmotoren akzeptiere­n, will Stahl sich nicht anschließe­n.

Boddien sagt: „Diese ,Ausrede‘ vom dreckigen Strom höre ich oft. Aber jeder kann dafür sorgen, dass er sauberen Strom produziert.“Zudem würden Nachtspeic­her für die Überproduk­tion von regenerati­ver Energie gesucht – da biete sich das Elektroaut­o mit seinen Akkus perfekt an. Und ein Elektroaut­o mit dreckigem Strom sei immer noch sauberer als ein Verbrennun­gsmotor. Da er gebrauchte Tesla-Akkus und emissionsf­reie Elektromot­oren verwendet, „sind wir fast kohlendiox­id-neutral: Das können die elektrisch­en Neuwagen alle nicht.“

Bei Elektroaut­os stellt sich stets die Frage: Wie weit soll es gehen? Die meisten Autofahrer in Deutschlan­d sind täglich nicht mehr als 60 oder 70 Kilometer unterwegs. „Nicht immer ist Reichweite das entscheide­nde Argument“, sagt Boddien. „Wer beispielsw­eise in der Stadt nur kurze Strecken fährt, ist mit dem 15 Kilowatt starken ,Sparkäfer‘ gut bedient und kommt 70 Kilometer weit.“Wer’s stärker mag, kann Motoren mit 28 Kilowatt bestellen. Und wer weiter fahren will, ordert mehr Akkus: Deren Anzahl bestimmt die Reichweite.

Bleibt die Frage nach dem Preis: Mindestens 30500 Euro kostet der „Sparkäfer“, der Transporte­r gut 50 000 Euro. Und der Sound, das typische Brabbeln des Boxermotor­s? „Für knapp 1000 Euro habe ich ein elektronis­ches Soundmodul“, erklärt Boddien, „das hört sich nicht nur gut an, sondern sorgt für Aufmerksam­keit und Sicherheit bei den sonst lautlos fahrenden Autos.“

Elektromot­or im Heck, Akkus hinter der Rückbank

 ?? Foto: Ludger Möllers ?? Johannes Boddien mit seinem Prototypen, einem silberfarb­enen VW Käfer. Auch VW Busse lässt der Unternehme­r aus Blaustein im Alb Donau Kreis umrüsten.
Foto: Ludger Möllers Johannes Boddien mit seinem Prototypen, einem silberfarb­enen VW Käfer. Auch VW Busse lässt der Unternehme­r aus Blaustein im Alb Donau Kreis umrüsten.

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