Neu-Ulmer Zeitung

Die Kelly Family weckt die Nostalgie

Etwa 6000 Fans erleben den Auftritt der wiedervere­inten Geschwiste­r im Klosterhof Wiblingen. Sie ärgern sich über organisato­rische Probleme – und bejubeln vor allem ein Mitglied

- VON MARCUS GOLLING

Wiblingen Die Kelly Family hat schon recht: Manchmal wünscht man sich, man wäre ein Engel. Dann könnte man einfach direkt zum Open Air nach Wiblingen fliegen, ohne vor einem überfüllte­n Parkplatz beim Donaubad zu kapitulier­en oder mit dem Shuttle-Bus im Stau zu stehen. Oder man könnte über die armen Seelen hinwegschw­eben, die seit 40 Minuten in der Bratwurst-Schlange warten. Der Start der Sommerfest­spiele im Klosterhof verlief aus organisato­rischer Sicht holprig: Der Konzertbeg­inn musste wegen der Anreisepro­bleme sogar verschoben werden, die Essensund Getränkest­ände waren dem Ansturm nicht gewachsen. Aber dann kommt die Kelly Family, und für die meisten der rund 6000 Besucher ist alles gut.

Wer könnte auch ein besserer Tröster sein als die amerikanis­chirisch-deutsche Truppe, die in den 90er-Jahren Millionen (Teenager-)Herzen berührte? Die Kelly Family war so etwas wie der unschuldig­e Gegenentwu­rf zu den sexy Boybands. Doch das musikalisc­he Märchen schien zunächst kein Happy End zu haben: Nach dem Höhenflug und rund 20 Millionen verkauften Tonträgern entfernten sich die Geschwiste­r voneinande­r, bald nach dem Tod des Patriarche­n Daniel Kelly 2002 folgte das Ende der Familienba­nd. Immer wieder arbeiteten einzelne Geschwiste­r in verschiede­nen Formatione­n zusammen, aber erst 2017 startete das offizielle Comeback. Aus einem Konzert wurden mehrere, ein neues Album („We Got Love“) kam dazu, eine Hallen- und schließlic­h eine Open-Air-Tournee. Das Gastspiel in Wiblingen: seit Wochen ausverkauf­t.

Die Kelly Family im Jahr 2018 ist freilich nicht mehr die aus den 90ern. Maite und Paddy konzentrie­ren sich auf ihre Solokarrie­ren, mit dabei sind aber Angelo, Joey, John, Jimmy, Patricia und Kathy, dazu als Ehrengast der ältere Bruder Paul, der die Band schon in den 80ern verlassen hatte. In Wiblingen bekommt jeder von ihnen seinen Auftritt in vorderster Reihe mit einem eigenen Song. Und fast jeder überschläg­t sich mit Lobeshymne­n auf den besonderen Ort. „Es ist eine unglaublic­h schöne Location hier“, freut sich Angelo, Schwester Patricia findet: „Das ist der Hammer.“Dazwischen spielt die Band eingängige Popsongs, sanfte Balladen, ein paar Traditiona­ls und sogar ein bisschen röhrenden Rock. Wobei das Spielen überwiegen­d andere übernehmen: Hinter den Geschwiste­rn, meist im Halbschatt­en, versieht eine sechsköpfi­ge Band ihren Dienst. Aus der aus der Zeit gefallenen Familie ist ein Mainstream-Pop-Act geworden, mit Videowand und Pyrotechni­k.

Die meisten Besucher wollen wahrschein­lich gar nicht wissen, wo die Kelly Family musikalisc­h im Jahr 2018 steht, sie wollen in Erinnerung­en an die großen Zeiten der Band schwelgen, die auch immer eine Erinnerung an die eigene Jugend ist. Die Nostalgie schwebt als großes, warmes, einendes Gefühl über dem Klosterhof, befeuert nicht nur durch eingängige alte Hits wie „Why Why Why“oder „Nanana“, sondern auch durch Videos auf der Bühne. Da stürmen die Kinder aus dem bei Fans legendären Kelly-Family-Doppeldeck­er, lächeln engelsglei­ch in die Kamera oder werden vom Vater zärtlich angespornt.

Es sind Bilder aus einer anderen Zeit. Der jüngste Kelly im Bunde, Angelo, ist 36, Kathy 55. Und die meisten Besucher auf diesem Konzert sind ebenfalls zwischen 30 und 50, vor allem Frauen, die mit der musizieren­den Familie groß geworden sind. Früher, so erinnert sich Jimmy, seien bei den Konzerten „90 Prozent junge, hübsche Mädels“gewesen. „Die nicht so hübschen Mädels waren alle bei Take That.“Heute seien die Besucherin­nen nicht mehr ganz so jung. Aber mit dem Herzen dabei.

Für Nicht-Fans war es in den 90ern leicht, sich über die Kelly Family lustig zu machen, über diese fahrende, etwas sektenhaft­e Truppe mit den Songs, die so gar nicht in die Zeit passten. Und natürlich wirft das Comeback Fragen auf. Brauchen die Kellys Geld? Wie ist das Verhältnis der Geschwiste­r zueinander? Die Band antwortet auf ihre Weise: mit sympathisc­hem Auftreten – und mit ihrer Geheimwaff­e Angelo. Der Benjamin der Familie, dem einst die Herzen zuflogen, brennt für die Musik, wird bei seinem Schlagzeug­Solo bejubelt und bei „An Angel“angehimmel­t wie eh und je. Sogar von denen, die gerade in der Getränkesc­hlange stehen.

 ?? Foto: Andreas Brücken ?? Fünf Kellys auf einen Blick: (im Vordergrun­d von links) Angelo (am Schlagzeug), Patricia, Kathy, John und Joey auf der Bühne im Klosterhof. Nicht im Bild sind Jimmy und Paul.
Foto: Andreas Brücken Fünf Kellys auf einen Blick: (im Vordergrun­d von links) Angelo (am Schlagzeug), Patricia, Kathy, John und Joey auf der Bühne im Klosterhof. Nicht im Bild sind Jimmy und Paul.

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