Wiblinger suchen Wege gegen den Notstand in der Pflege
Sozialminister Manne Lucha kommt zu einer Diskussion in die Akademie, die eigene Ansätze entwickelt hat
Wiblingen Anderthalb Stunden lang haben Politiker und Mediziner in der Wiblinger Akademie für Gesundheitsberufe Wege aus dem Fachkräftemangel in der Pflegebranche erörtert. Fazit des badenwürttembergischen Sozialministers Manfred „Manne“Lucha aus den ihm vorgetragenen Fakten zur Gewinnung, Ausbildung und Finanzierung des Nachwuchses: „Die Stimmung ist besser als die Lage.“Und er will helfen, wo er kann.
Die Gesundheitsberufe leiden massiv unter der herrschenden Personalnot. Fehlten dem deutschen Gesundheitswesen heute bereits mehr als 100000 Fachkräfte, werde sich ihre Zahl bis zum Jahr 2030 im günstigsten Fall auf 450 000 steigern, sagte der Akademiedirektor Professor Karl-Heinz Tomaschko. Für die Politik sei die Zeit gekommen, endlich gegenzusteuern.
Grünenpolitiker Lucha hatte als eins der Ziele seiner „Sommerreise“ die Wiblinger Akademie für Gesundheitsberufe ausgewählt, weil auch sie mittlerweile das sinkende Interesse junger Leute an den Pflegeberufen spürt. Hatte die Bewerberzahl vor zwei Jahren noch bei gut 1800 gelegen, ist sie im Vorjahr auf weniger als 1400 gesunken. Tomaschko und Professor Udo Kaisers, der ärztliche Direktor des Universitätsklinikums, trugen dem Minister ihre Sorgen vor, hielten aber auch Lösungsansätze bereit.
Die Gründe für den Bewerbermangel machte Tomaschko an drei Erscheinungen fest. Da sei vor allem der allgemeine demografische Wandel mit sinkenden Nachwuchszahlen. Hinzu komme der „Academic Drift“, der mehr als sechzig Prozent aller Schulabgänger aus Prestigegründen in ein Studium dränge. Letztlich fehle es auch an entsprechender Ausbildungsvergütung, wie sie im europäischen Ausland bereits gang und gäbe sei. Die Akademie in den Wiblinger Klosteranlagen, die Tomaschko seit zwanzig Jahren leitet und die er als schönste Bildungseinrichtung ganz Deutschlands bezeichnet, hat Wege zur Behebung des Bewerbermangels erarbeitet und führt sie teilweise auch schon aus. So hat sie ein „duales Modell“entwickelt, in dem sie gemeinsam mit der Dualen Hochschule BadenWürttemberg Bachelorstudiengänge anbietet. Noch nicht erreicht hat sie eine allgemeine Ausbildungsvergütung. Ermöglichen will Tomaschko seinen Schülern schließlich auch, dass sie im Zuge ihrer Ausbildung die Fachhochschulreife erlangen können. „In Bayern geht das schon“, sagte der Akademiedirektor, „in Baden-Württemberg fehlt es an der Finanzierung.“Trotz aller Nöte, versicherte Tomaschko, sei die Atmosphäre an der Akademie einzigartig. Es bereite allen Lehrkräften ungeheure Freude, mit den Schülern zu arbeiten.
Uni-Direktor Kaisers mahnte gegenüber dem Minister zwar auch Geld für die Schüler an, beklagte aber zugleich, „dass Pflegeberufe fast nur negativ konnotiert“seien. Es komme darauf an, in der Öffentlichkeit ein Bild von der Pflege zu transportieren, wie sie sich in Wirklichkeit zeige. Natürlich gebe es unter den Kliniken schwarze Schafe. Aber es müssten auch die Chancen im Pflegeberuf aufgezeigt werden. Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch sah in der Wiblinger Akademie einen „Trendsetter“. Er halte es für wichtig, „in der dualen Kooperation was zu tun“. Czisch versicherte, die Akademie werde die vom städtischen Altenheim nicht mehr genutzten Räume im ehemaligen Kloster voll übernehmen können. Direktor Tomaschko hatte das zuvor als dringend notwendig bezeichnet: „Denn wir platzen aus allen Nähten.“
Der Minister, selbst ausgebildeter Krankenpfleger, hielt sich mit Zusagen zurück. Mit seinem dualen Angebot stehe Baden-Württemberg in Deutschland als bestes Bundesland da. Die weitere Akademisierung der Pflege will er zwar unterstützen, verwies zugleich aber auf die Zuständigkeit des Kultusministeriums. Die Durchlässigkeit des Ausbildungssystems halte er für wichtig. Bis zur Fachhochschulreife werde es aber wohl noch dauern. Die Ausbildungsvergütung müsse mit den Tarifpartnern ausgehandelt werden. „Es ist nicht mehr zeitgemäß, heute noch Schulgeld mitzubringen“, begründete Lucha.
Der Minister erwies sich als durchaus informiert und schien nicht viel Neues erfahren zu haben. „Wir machen unsere Hausaufgaben und werden die Pflege stärken, die ja noch nie ein Zuckerschlecken war“, versicherte er. Immerhin überträfen die Löhne in BadenWürttemberg die übrigen Bundesländer im Durchschnitt schon um acht Prozent.