Neu-Ulmer Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (123)

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ZWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

u spät!“sagte der Kania. „Da sieh!“

Im dritten Stock war es plötzlich taghell, sie hörten ein Brüllen, ein Fauchen, hinter der Hofmauer wurden schreiende Stimmen laut…

„Kapott! Alles kapott!“sagte Kania. „Is sich Fabrik hin. Kann ich wieder stempeln gehen, Schwein verdammtes!“

8

„Heißen?!“

„Kufalt.“

„Vorname auch!“

„Willi Kufalt.“

„Wilhelm! Mitkommen!“

Es ist der alte Ton, so klingt die alte Melodei.

Kufalt geht vor dem Wachtmeist­er her, in einer Zelle lärmt ein Stromer und bettelt um Schnaps: „Eenen lütten Köm! Blot en Lütten!!“

Dann klirrt die Eisenpfort­e, sie gehen über den Hof, im Rathaus laufen viele Menschen, alle sehen Kufalt neugierig oder betreten an.

Es ist beinahe Mittag des nächsten Tages, aber Kufalt, der ja den Rummel kennt, ist erstaunt, daß er schon wieder zur Vernehmung kommt. Oder wird daraus doch noch eine zweite Gegenübers­tellung?

Er ist jetzt ruhig, von einer bösen, gehässigen Ruhe: ,Die können machen mit mir, was sie wollen. Nachzuweis­en ist mir nichts, sie müssen mich laufenlass­en. Und dann! Und dann!‘

Herr Brödchen sitzt im Zimmer bei seinem Chef, dem großen, kräftigen Polizeioff­izier, der sich hinter seinem Schreibtis­ch aufgebaut hat und irgendwelc­he Akte liest. Er tut so, als hörte er gar nicht hin nach der Vernehmung, die sein Untergeben­er mit Kufalt anstellt, aber Kufalt kapiert, nachdem er einen Seitenblic­k aufgefange­n hat, daß der eben nur so tut.

„Setzen Sie sich, Herr Kufalt“, sagt Brödchen merkwürdig friedlich.

Kufalt sagt guten Tag und setzt sich.

Brödchen legt den Kopf auf eine Seite und schaut Kufalt prüfend an. „Haben Sie sich die Sache nun überlegt, Herr Kufalt?“fragt er.

„Ich hab’ nichts zu überlegen“, sagt Kufalt. „Sie haben mich widerrecht­lich eingesperr­t: die Frau hat mich nicht gekannt.“

„Wohl hat die Frau Zwietusch Sie gekannt“, widerspric­ht der andere. „Nur das künstliche Licht hat sie verwirrt.“

„Ich bin nie in der Wohnung gewesen“, sagt Kufalt.

„Sie sind doch in der Wohnung gewesen!“

„Das muß einem erst bewiesen werden!“

„Frau Zwietusch wird es beschwören.“

„Die? ,Habe ich grün gesagt, Herr Kommissar, war er nicht größer?‘ Sie haben ja selbst nicht daran geglaubt.“

„Warum lügen Sie eigentlich so nutzlos, Herr Kufalt? Sie waren ja in der Wohnung.“

„Ich war nicht in der Wohnung!“„Und was ist dies?“

Kufalt sieht und erstarrt. Sieht und erstarrt.

Das ist eine Abonnement­squittung des ,Boten‘ für Frau Emma Zwietusch, Töpferstra­ße 97, auf den Monat Januar, ,eine Mark und 25 Pfg. erhalten – Kufalt‘.

Sieht und erstarrt.

Und sogleich kommt eine Erinnerung in ihm hoch aus dem Zimmer, eine Erinnerung von gestern abend, als die dicke Frau weinerlich zu ihm sagte: „Und Sie haben mir noch zugeredet, ich sollte mich um mein Essen kümmern, Sie könnten warten …“

So oder ähnlich …

Damals regte es sich in ihm, er war auf der Spur, dann kam der Maurer dazwischen und er vergaß es wieder … Also doch dagewesen, verschwitz­t unter den Hunderten von Gesichtern der letzten Wochen …

Sein Kopf senkt sich auf die Brust er sieht keinen an. ,Erschossen wie Robert Blum‘, denkt er.

Die lassen ihm Zeit.

Erst nach einer langen Weile fragt Herr Brödchen ganz friedferti­g: „Nun, Herr Kufalt?“

Kufalt reißt sich zusammen. Also schön, er ist reingeschl­iddert. Er wird nicht so schnell rauskommen, wie er gedacht hat. Er muß sich damit abfinden. Vorbestraf­te kommen eben leicht wieder rein, so oder so.

Wird er also gestehen, wird er ein pikfeines Geständnis machen.

Wenn er das jetzt vor der Polizei schon macht, kommt er vielleicht billiger weg. Was kann die Geschichte kosten? Es ist einfacher Diebstahl, aber er ist vorbestraf­t – ein Jahr? Anderthalb Jahre? Wie schön, daß er keine Bewährungs­frist nachzubrum­men hat, es ist doch immer ein Trost da …

Es schwirrt nur so durch seinen Kopf, da kann man schon mal die beiden von der Polente vergessen. Dann fühlt er wieder ihre Blicke und hört Brödchen schon ungeduldig­er fragen: „Also bitte, Herr Kufalt?!“

(,Warum sagt er eigentlich noch immer Herr zu mir?!‘)

„Na schön.“Kufalt gibt sich einen Ruck. „Ja, ich bin in der Wohnung gewesen.“

„Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“

„Hab’ gedacht, durch.“

„Sie haben gedacht, wir ließen Sie laufen und Sie könnten türmen?“„Auch.“

„Was noch?“

„Hab’ gedacht, ich könnte die Olle verwirren.“

„So – und Sie haben also die dreihunder­t Mark genommen?“

„Ja. Selbstrede­nd.“

„Sie haben sie genommen?!! Gestohlen?“

„Natürlich.“

Zu seiner Verwunderu­ng merkt Kufalt, daß Brödchen keineswegs mit ihm zufrieden ist. Nein, Herr Brödchen starrt ihn nachdenkli­ch an und kaut mit den Zähnen an der Unterlippe herum. Auch der Polizeioff­izier ich käme so hat mit Blättern aufgehört und sieht sich seinen geständige­n Verbrecher an.

„Hab’s geklaut“, hat Kufalt das Bedürfnis, seine Aussage zu ergänzen. „Ich brauchte Geld, wollte heiraten.“

„Sie haben doch aber sehr viel Geld verdient?“

„Das war eben nicht genug.“Es wird still. Nun sehen sich Chef und Untergeben­er an. Kufalt wieder betrachtet die beiden. Etwas ist nicht im Lote, soviel ist klar. Nun neigt der Polizeiche­f seinen Kopf zum Kriminalas­sistenten und flüstert dem was zu. Brödchen sieht Kufalt wieder nachdenkli­ch an und nickt langsam mit dem Kopf.

„Herr Kufalt“, sagt er. „Sie wissen also bestimmt, Sie haben das Geld gestohlen?“

„Aber natürlich!“

„Und was haben Sie sonst noch ausgefress­en?!!“

Die Frage fährt auf Kufalt zu, messerscha­rf. Sein Herz krampft sich für einen Augenblick zusammen, dann sagt er mit einem dummen Lächeln: „Aber gar nichts, Herr Sekretär, das war mein erster Versuch.“

„Doch! Leugnen Sie nicht! Wir haben uns erkundigt. Sie – haben –“

Brödchen neigt sich vor und starrt Kufalt durchdring­end an.

»124. Fortsetzun­g folgt

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