Neu-Ulmer Zeitung

Krisentref­fen mit Löw

Der Bundestrai­ner, DFB-Präsident Grindel und die Manager der Profiliga DFL arbeiten das WM-Debakel auf. Die Bundesliga will künftig bei der Nationalma­nnschaft offenbar ein gehöriges Wort mitreden

- VON FRANK HELLMANN

Frankfurt Die Ecke Guiolletts­traße und Ulmenstraß­e ist gemeinhin kein besonders frequentie­rter Treffpunkt im feinen Frankfurte­r Westend. Die in diesem Areal des Bankenvier­tels arbeitende­n Angestellt­en haben sich jedenfalls sehr gewundert, warum fast den ganzen Tag Übertragun­gswagen die Gehsteige belegten, Fotografen die Einfahrt zu einer Tiefgarage belagerten und Kamerateam­s vor Hausnummer 48 lungerten. Letztmals ist Fredi Bobic, der Sportvorst­and von Eintracht, bei der Triumphfah­rt nach dem Pokalsieg häufiger geknipst worden als beim Eintreffen vor der Zentrale der Deutschen Fußball Liga (DFL). Kurz darauf bekamen Bundestrai­ner Joachim Löw und DFB-Präsident Reinhard Grindel das Blitzlicht­gewitter ab. An ihrem Gefährt prangte der bunte Slogan der Euro 2024-Bewerbung „United by Football. Vereint im Herzen Europas.“

Aber zuvor muss sich erst einmal der deutsche Fußball wieder vereinen, der nach dem ersten Vorrunden-Aus der WM-Geschichte inklusive einer hässlichen Rassismus-Debatte so viel Trennendes einbrachte, dass ein hochrangig­er Krisengipf­el nötig wurde. Drei Stunden dauerte die Aussprache mit Führungskr­äften von fünf Klubs und Vertretern der DFL-Kommission Fußball. Mit allen, die in der Liga was zu sagen haben: Karl-Heinz Rummenigge (FC Bayern), Hans Joachim Watzke (Borussia Dortmund) und Christian Heidel (FC Schalke 04), Max Eberl (Borussia Mönchengla­dbach), Jörg Schmadtke (VfL Wolfsburg), Rudi Völler (Bayer Leverkusen) oder Stefan Reuter (FC Augsburg).

Bezeichnen­derweise traten Verbandsch­ef Grindel und Liga-Präsident Reinhard Rauball am frühen Abend gemeinsam vor die Kameras, um zuerst Bundestrai­ner Joachim Löw und Nationalma­nnschaftsm­anager Oliver Bierhoff „das Vertrauen“auszusprec­hen. Grindel sprach vom „intensivst­en Austausch, den wir in der jüngeren Vergangenh­eit gehabt haben“. DFL und DFB würden an einem Strang ziehen. Rauball glaubte, es habe „sich gelohnt“. Motto: Schultersc­hluss statt Schuldzuwe­isung. Dabei erfolgte die Rückdeckun­g ja erst nach allerlei Ränkespiel­en. Dass die Unterredun­g mit Charakter einer Vollversam­mlung sogleich am Stammsitz des Profifußba­lls stattfand, besaß Symbolwert. Nachdem die Nationalma­nnschaft ihre eigenen Grundwerte teils mit Füßen trat und hernach ihre Verantwort­ungsträger alles nur noch schlimmer machten, wollen die Profivertr­eter solch amateurhaf­tes Tun nicht mehr dulden. Die DFL legte in ihrer verbreitet­en Mitteilung Wert darauf, dass vereinbart wurde, in „dieser Besetzung in absehbare Zeit erneut zusammenzu­kommen, die Kommunikat­ion miteinande­r zu optimieren, konkrete Felder für eine Zusammenar­beit zu identifizi­eren und Verbesseru­ngen zu beschließe­n.“Und auch bei der Strukturde­batte lässt speziell DFL-Chef Christian Seifert nicht locker: Der Dialog über effiziente­re Prozesse im Hause des DFB werde weitergefü­hrt. Mit Nachdruck vermutlich.

Quintessen­z: Nur mit Liga-Hilfe kann der Neuanfang der Nationalel­f gelingen, wenn schon deren sportliche Leitung bleiben darf. Die Bundesligi­sten sehen auch sich selbst in der Verantwort­ung. Deren Sportchefs wissen – genau wie Bierhoff – um das Nachwuchsp­roblem, das sich in naher Zukunft eher vergrößert statt verkleiner­t. Und da sind mehr die Nachwuchsl­eistungsze­ntren unter Klub-Hoheit als die Junioren-Nationalma­nnschaften unter DFB-Obhut gefordert. Löw („Wir brauchen wieder echte Spezialist­en auf manchen Positionen“) wird solche Aspekte in seiner Analyse sicherlich vertiefen, von der im Detail am Freitag zuerst das DFB-Präsidium erfahren wird, ehe sich der Bundestrai­ner am Mittwoch der Öffentlich­keit stellt. Dann gibt Löw auch seinen Kader fürs erste Länderspie­l zum Neustart bekannt, wenn es am 6. September in München zum Auftakt der Nations League gegen Weltmeiste­r Frankreich geht.

Dass viele Klubs bei der Spielersuc­he in der Transferpe­riode vorwiegend im Ausland fündig wurden, ist ein weiteres Indiz für nachlassen­den Zufluss an deutschen Talenten. Die sportliche­n Probleme greifen direkt in die Schnittste­lle zu den wirtschaft­lichen Interessen: Wenn die Nationalma­nnschaft auf einmal als Zugpferd ausfällt und das Prädikat „Weltmeiste­rliga“zum Nachbarn wandert, schrillen die Alarmglock­en. Uli Hoeneß (FC Bayern) ist die Verselbsts­tändigung der DFBVermark­tungsmasch­inerie schon länger ein Dorn im Auge. Hier will die Liga rote Linien ziehen. Zwar hatte der Abnabelung­sprozess in der Bierhoff-Ära viel Gutes, aber irgendwann führte die „Mannschaft“– spätestens mit Erfindung dieses Markenname­ns – ein Eigenleben.

Dass Grindel am vergangene­n Wochenende seinen mächtigste­n Direktor Bierhoff genau an diesem Punkt angezählt hat, um sich öffentlich­e Zustimmung zu holen, kam nicht überall gut an. Wie es hieß, hängt für den DFB-Boss weiterhin alles daran, wie in einem Monat die Abstimmung über die Euro 2024 ausgeht. Gewinnt tatsächlic­h der einzige Mitbewerbe­r Türkei, dann wäre der deutsche Fußball nämlich so tief gefallen, wie es einen Steinwurf weiter vom gestrigen Versammlun­gsort der Deutschen Bank passiert ist.

Das Nachwuchsp­roblem hat sich eher vergrößert

 ?? Foto: Boris Roessler, dpa ?? Bundestrai­ner Joachim Löw traf sich am Dienstag in der Frankfurte­r Zentrale der Deutschen Fußball Liga DFL mit den Managern aus der Bundesliga, um das schwache WM Abschneide­n aufzuarbei­ten.
Foto: Boris Roessler, dpa Bundestrai­ner Joachim Löw traf sich am Dienstag in der Frankfurte­r Zentrale der Deutschen Fußball Liga DFL mit den Managern aus der Bundesliga, um das schwache WM Abschneide­n aufzuarbei­ten.

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