Wo ausgesetzte Tiere Zuflucht finden
Wenn das Herrchen verreist, bleibt der Vierbeiner oft auf der Strecke. In Ulm klagt der Leiter des Tierheims über eine immer schlimmere Situation. Einen positiven Gegentrend gibt es in Weißenhorn
Ulm/Weißenhorn Dass Janosch noch lebt, ist reine Glückssache. Sein Besitzer hatte anscheinend genug von ihm – und setzte den jungen KangalHirtenhund an einer viel befahrenen Straße bei Einsingen aus. Ständig brausten Autos links und rechts an dem völlig abgemagerten Tier vorbei – bis schließlich ein Fahrer anhielt, den Hund beruhigte und das Tierheim anrief. Nicht einmal zwei Wochen ist das her. Mittlerweile sitzt Janosch, der große Hirtenhund mit dem freundlichen Gemüt, in der Quarantänestation im Ulmer Tierheim. „Es war einfach nur ein glücklicher Zufall“, erzählt Ralf Peßmann, Leiter des Tierheims Ulm/Neu-Ulm und Umgebung. Schließlich seien sicherlich eine Menge Autos an Janosch vorbeigefahren. Doch angesichts des großen, verwilderten Hundes, traute sich niemand, einfach anzuhalten. Der Mann, der es schließlich tat, war dagegen selbst Hundebesitzer und wusste, wie er vorzugehen hatte.
Etwa 900 Fundtiere landeten im vergangenen Jahr im Ulmer Tierheim, der Großteil davon allerdings Wildtiere, so Peßmann. Schwäne, Mauersegler und vor allem Igel, erzählt er. Viele der Hunde und Katzen waren entlaufen und wurden recht schnell wieder abgeholt. Grundsätzlich sei jedes ausgesetzte Tier eines zu viel, so Peßmann, und in der jetzigen Urlaubszeit seien es auch nicht mehr gewesen als sonst. Jedoch: „Bei Hunden wird es immer schlimmer.“Die Besitzer meldeten sich eigentlich immer erst, „wenn es schon zu spät ist und sie eigentlich schon mit dem Tier abgeschlossen haben“.
Die Geschichte von Janosch ist nur eine von vielen, die Peßmann erzählen könnte: Manchmal erwartet die Mitarbeiter am Morgen ein am Tierheim-Zaun angeleinter Hund. Dann taucht in einem Garten ein Kaninchen auf, das „von seiner Art her“da nicht hingehöre. Janoschs Schicksal hat die Mitarbeiter im Ulmer Tierheim aber besonders getroffen – nicht nur von der Art, wie man ihn loswerden wollte. „Er war sehr abgemagert, ist es ja immer noch“, sagt Peßmann. Zudem hat er eine starke Fehlstellung bei seinem linken Vorderbein. Entweder ein Wachstumsfehler oder ein schlecht verheilter Bruch. Auch wenn Janosch, der etwa zwei Jahre alt sein dürfte, keine Schmerzen zu haben scheint, eines ist klar: „Er wird sehr früh, sehr schwere Arthrose bekommen“, sagt Peßmann. Um Hinweise auf den Besitzer von Janosch zu bekommen, hat das Tierheim Fotos auf seiner Facebook-Seite gestellt. Der Beitrag wurde über 700 Mal geteilt. Wer der Halter war, weiß man jedoch immer noch nicht.
Theoretisch könnte Peßmann fast täglich einen bissigen Hund aufnehmen, so groß sei die Not. Praktisch geht das natürlich nicht – schon allein wegen des fehlenden Raums. Derzeit hat das Tierheim mit einem großen Umbau begonnen. Wenn in frühestens zwei Jahren alles komplett fertig ist, soll es viel mehr Platz geben. Zudem: „Es ist sehr zeit- und arbeitsintensiv, um einen solchen Hund vermittlungsfähig zu bekommen“, erklärt Peßmann, der auch Hundetrainer ist. „Tiere kosten einfach Geld“, betont er, „und sie können auch einmal krank werden.“Wer da keine Versicherung für das Tier oder kein Geld zur Seite gelegt habe, für den „wird’s halt eng“.
Im Weißenhorner Tierheim ist die Situation derzeit eine andere: „Wir merken schon seit letztem Jahr, dass es nicht mehr so viele Fundtiere sind“, berichtet Leiterin Uta Prestele und fügt hinzu: „Ich habe schon den Eindruck, dass die Leute vermehrt ein anderes Bewusstsein haben.“Tiere werden als Familienmitglied angesehen, das auch mit in den Urlaub fährt – und wenn nicht, suchen die Leute stattdessen eine Pension, die sich solange um Hund oder Katze kümmert. Das Angebot wachse und: „Wer ein Tier hat, zahlt gerne“, so Presteles Eindruck.
45 Katzen leben derzeit im Weißenhorner Tierheim, darunter viele schwangere. Leiterin Prestele will zwar niemandem etwas unterstellen, glaubt aber, dass in manchem Fall sicher die Schwangerschaft des Tieres damit zu tun hat, dass es abgegeben oder ausgesetzt wird.
Bei dem Fall, der Prestele und ihre Mitarbeiter am meisten mitgenommen hat, geht es auch um einen Kangal-Hirtenhund. Arnie, wie er im Tierheim getauft wurde, wurde im vergangenen Sommer bei der OMV-Tankstelle an der A 7 bei Weißenhorn gefunden. „Er war nur noch ein Gerippe“, erzählt Prestele. Es sei eine „Riesensauerei“einen Hund nahe der Autobahn einfach so frei herumspringen zu lassen. Die Chancen für den großen Hütehund, bald ein neues Zuhause zu finden, stehen allerdings eher schlecht. Auch wenn das Tierheim in Fällen wie diesen den normalerweise eng gesteckten Vermittlungsradius weit ausdehne. So hat ein Pärchen aus Leipzig Lara, ebenfalls eine KangalHündin, bei sich aufgenommen. „Mit ihnen haben wir immer noch Kontakt“, erzählt Prestele.
Die Tierheimleiterin erlebt aber auch schöne Momente. Zum Beispiel bei Schäferhund Max. Bereits mit nur einem Jahr litt er an Arthrose, bekam zu wenig zu Fressen. Mittlerweile hat er fast sechs Kilogramm zugenommen, bekommt regelmäßig Physiotherapie – und das Beste: „Er hat fast zu 100 Prozent ein neues Plätzchen gefunden“, sagt Prestele.