Neu-Ulmer Zeitung

„Die Atmosphäre im Haus ist toll“

Der neue Intendant Kay Metzger startet mit viel Optimismus in seine erste Spielzeit. Für diese hat der 58-Jährige sich und seinem Team ehrgeizige Ziele gesetzt. Doch die aktuelle politische Situation macht ihn nachdenkli­ch

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Herr Metzger, ihr Vorgänger Andreas von Studnitz verwahrte seine E-Gitarren-Sammlung im Intendante­nbüro, Sie sind ein Mann der Oper. Hält auf der Chefetage im Theater Ulm jetzt ein anderer Sound Einzug?

Kay Metzger: Was die Instrument­e anbelangt – ja. Wobei ich kein Klavier habe, obwohl das Büro dafür groß genug wäre. Das sollte ich mir noch überlegen. Andreas von Studnitz hat das Büro wunderbar aufgeräumt. Und ich habe im Foyer des Theaters einen alten Schreibtis­ch entdeckt, der zur Urausstatt­ung des Hauses gehörte und unter einer Treppe versteckt war. Den habe ich jetzt für mich reanimiert.

Was für eine Art Chef wollen Sie sein? Metzger: Natürlich ein künstleris­ch kompetente­r für alle Sparten, kommunikat­iv, fair und seinen Prinzipien treu bleibend. Das Wichtigste im Theaterbet­rieb ist, dass man sich immer bewusst macht, dass es darum geht, was auf der Bühne passiert. Sonst verliert man sich im innerbetri­eblichen Klein-Klein. Was für einen Eindruck haben Sie vom Theater gewonnen? Sie haben vor den Ferien auch schon die Proben für ihre erste Ulmer Inszenieru­ng, die Oper „Das schlaue Füchslein“von Leos Janácek, begonnen.

Metzger: Die Atmosphäre im Haus ist toll. Mit dem „Füchslein“sind wir weit gekommen vor der Sommerpaus­e. Es hat sich gezeigt, dass Alt und Neu sehr gut harmoniere­n. Da entsteht ein guter Teamgeist. Im Schauspiel ist das ähnlich. Jasper Brandis (der Schauspiel­direktor, d. Red.) ist mit seinen „Räubern“auch weit gekommen, die vollkommen neue Ballett-Truppe ist seit paar Tagen im Haus und arbeitet intensiv mit Ballettdir­ektor Rainer Feistel. Es wird ein schöner Prozess, zu erleben, wie hier verschiede­ne künstleris­che Energien aufeinande­rprallen und vielleicht neue freisetzen. Für das Publikum startet die Spielzeit mit einem Premierenm­arathon vom 27. bis zum 30. September. Dann sind gleich fünf neue Produktion­en erstmals zu sehen, dazu gibt es ein Kammerkonz­ert. Machen Sie sich und ihren Leuten damit nicht unnötig Stress? Metzger: Meinem Team und mir war es sehr wichtig, am Anfang ein kraftvolle­s Zeichen zu setzen. Wir wollen zeigen, dass wir da sind, dass wir etwas wollen und dass wir etwas zu erzählen haben. Ich freue mich besonders auf den finalen Punkt, den „Judas“-Monolog im Münster. Es war sehr beglückend zu erleben, wie die Münstergem­einde das konstrukti­v begleitet hat, Münsterkan­tor Friedemann Johannes Wieland wird das Stück sogar musikalisc­h begleiten. Das ist die erste Stufe der Vernetzung in die Stadt hinein. Um das alles an einem Wochenende zu schaffen, braucht man sportiven Ehrgeiz, aber den haben wir. Warum „Das schlaue Füchslein“als allererste­s Stück in der allererste­n Spielzeit?

Metzger: Zum einen war es lange nicht in Ulm zu sehen. Zum anderen will man am Anfang eine Setzung haben. Für mich ist „Das schlaue Füchslein“poetisches Welttheate­r, es behandelt, was wir in der Inszenieru­ng auch unterstrei­chen, auch das Thema Bürgerlich­keit – auch wenn es vordergrün­dig um Tiere geht. Man kann mit einem Repertoire­schlager wie „Tosca“eröffnen, oder – wie von Studnitz und Matthias Kaiser – mit einem zeitgenöss­ischen Werk wie „Wozzeck“. Zusammen mit Generalmus­ikdirektor Timo Handschuh und der Musikdrama­turgie haben wir viel hin und her überlegt. Irgendwann kam die zündende Idee mit dem „Füchslein“. Der Probenproz­ess bestätigt unsere Wahl. Ich bin was die Inszenieru­ng angeht sehr optimistis­ch, zumal es ein Werk mit einer grandiosen Musik ist.

Wie würden Sie Ihre eigene Handschrif­t als Regisseur beschreibe­n? Metzger: Mir ist es immer wichtig,

dass über einer Konzeption eine sehr klare Personenfü­hrung steht. Das ist die Basis. Außerdem versuche ich, historisch­e Werke für das zeitgenöss­ische Empfinden rezipierba­r zu machen, ohne mit der Keule von extremen Aktualisie­rungen um mich zu schlagen. Was die Ästhetik angeht, glaube ich nicht, dass es einen typischen Metzger-Stil gibt. Wobei letztens ein Kollege sagte, dass in vielen meiner Inszenieru­ngen der Raum die Möglichkei­t bietet, sich zu öffnen und andere Dimensione­n zu eröffnen. Da habe ich mich erwischt, dass das bei mir tatsächlic­h öfter passiert. In den letzten Jahren der Ära von Studnitz schwächelt­e bei der Besucherre­sonanz vor allem das Schauspiel. Wie lässt sich diese Entwicklun­g stoppen?

Metzger: Ich habe das gar nicht so wahrgenomm­en, weil ich Andreas von Studnitz als Schauspiel­mann sehr schätze – er hatte auch ein tolles Händchen bei den Schauspiel­ern, die er ans Haus geholt hat. Wir bieten einen Spielplan, der die Breite

des Publikums gut treffen kann, der aber trotzdem nicht beliebig ist. Mit Stücken wie „Terror“oder „Soul Kitchen“kann man meiner Meinung nach auch ein junges Publikum erreichen und so zu den Zahlen des Musiktheat­ers aufschließ­en. Ihr Schauspiel­direktor Jasper Brandis hat in der vergangene­n Spielzeit mit „Die Krönung Richards III.“im Großen Haus eine bemerkensw­erte Arbeit abgeliefer­t, aber nicht die Massen bewegt. Ähnlich war es zuletzt bei anderen anspruchsv­ollen und zeitgenöss­ischen Stoffen. Meidet das Ulmer Publikum die Herausford­erung? Oder ist es zu konservati­v?

Metzger: Das Ulmer Publikum genießt den Ruf, sich solchen Herausford­erungen zu stellen. Dieser Nimbus schwebt über dem Theater. Ich hoffe, dass das auch so ist. Eine Produktion wie „Richard III.“ist etwas, das man sich leistet. Das ist ganz weit weg vom Mainstream und eine große Herausford­erung für Publikum und Team. Auch wir haben mit Georg Kaisers „Von morgens bis mitternach­ts“so eine Produktion auf dem Spielplan. Theater lässt sich nicht nur an Besucherza­hlen messen. Ich habe das beim „Richard“sehr bedauert, gerade weil ihn Fabian Gröver als Protagonis­t so wunderbar umsetzen konnte. Da hatten er und das gesamte Team mehr Publikum verdient. Aber man erlebt das auch bei einer Oper wie „Elektra“, dass sie nicht immer das Haus voll spielt. Vielleicht ist so ein Intendante­nwechsel auch geeignet, Neugier zu wecken und eine neue Bewegung im Publikum zu erzeugen. Ich sage das ganz ohne Kritik an meinem Vorgänger.

„Es hat sich gezeigt, dass Alt und Neu sehr gut harmoniere­n.“Kay Metzger über die Atmosphäre im Team

Solche Stücke haben ja auch etwas mit Bildung zu tun. Ist die Idee des Theaters als Bildungsan­stalt aus der Mode gekommen?

Metzger: Wenn man nach Chemnitz blickt, ist es vielleicht wichtig, sich darauf zu besinnen, dass Theater nicht nur eine Unterhaltu­ngsbude

„Die Gesellscha­ft ist in einem Veränderun­gsprozess, da müssen wir wachsam sein.“Kay Metzger über die Krise des Bürgertums

ist, sondern auch zum Diskurs auffordert, zum Nachdenken über sich und das Menschsein. Für mich schwingt das in den Spielplanü­berlegunge­n immer mit. Vielleicht ist das anachronis­tisch, aber da bin ich Überzeugun­gstäter. In Ihrer Intendanz wollen Sie sich inhaltlich mit Bürgertum und Bürgerlich­keit auseinande­rsetzen. Mit Blick auf Chemnitz und andere Vorfälle: Erleben wir derzeit den Niedergang des bürgerlich­en Anstands?

Metzger: In gewisser Weise ja, das kann man gar nicht beschönige­n. Die Vorgänge von Chemnitz zeigen uns auf beklemmend­e Weise, dass die bürgerlich­e Mitte, wie wir sie in den 70ern, 80ern und 90ern kannten, so nicht mehr wahrzunehm­en ist. Die Gesellscha­ft ist in einem Veränderun­gsprozess, da müssen wir alle sehr wachsam sein.

Es gibt kaum etwas Bürgerlich­eres als das Theater. Geht dieser ehrwürdige­n Institutio­n das Publikum verloren? Metzger: Da muss man differenzi­eren. Durch meinen Ballettche­f Reiner Feistel habe ich viel aus Chemnitz mitbekomme­n, ich kenne auch den dortigen Intendante­n sehr gut. In den neuen Bundesländ­ern ist es ungleich schwierige­r als hier im Süden, dort kann man praktisch nur noch am Wochenende spielen, und dann auch nicht vor vollen Rängen. In Ulm hingegen gibt es einen sehr treuen Abonnenten­stamm. Gleichwohl dürfen wir uns nicht zurücklehn­en und Däumchen drehen. Ich werde ganz bewusst in den ersten zwei Jahren Angebote machen, die in die Breite gehen. Natürlich kommt „My Fair Lady“in der ersten Spielzeit, ein Klassiker wie „Lucia di Lammermoor“oder auch „Evita“auf der Wilhelmsbu­rg. Die Menschen sollen merken, dass wir gutes, sinnliches Theater machen, das auch einen Schauwert hat, damit wir die Bindung zum Publikum halten. Das ist eine große Aufgabe.

Interview: Marcus Golling

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Kay Metzger hängt die Bilder in seinem Büro auf. Dieses hier stammt von seinem Hausdesign­er Michael Hahn und zeigt Szenen aus Wagners „Siegfried“.
Foto: Alexander Kaya Kay Metzger hängt die Bilder in seinem Büro auf. Dieses hier stammt von seinem Hausdesign­er Michael Hahn und zeigt Szenen aus Wagners „Siegfried“.

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