Neu-Ulmer Zeitung

Koalition will Betriebsre­ntner entlasten

- VON RUDI WAIS

Soziales Ihre Krankenkas­senbeiträg­e sollen wieder reduziert werden. Nur wer muss das jetzt bezahlen?

Augsburg Bei mehr als fünf Millionen Rentnern sitzt der Groll auf die Politik tief. Sie zahlen seit einer Gesetzesän­derung aus dem Jahr 2004 auf ihre Betriebsre­nten nicht nur den Arbeitnehm­eranteil zur gesetzlich­en Krankenver­sicherung, sondern auch den Arbeitgebe­ranteil. Bei einer Betriebsre­nte von 300 Euro monatlich sind das, je nach Krankenkas­se und Zusatzbeit­rag, zusammen mindestens 43,80 Euro. Und obwohl Union und SPD sich im Prinzip darin einig sind, dass das nicht so bleiben kann, hat die Koalition noch keine Lösung gefunden, um diese Rentner zu entlasten.

Bei der gesetzlich­en Rente übernimmt die Rentenvers­icherung die Hälfte des Beitrags. Warum verlangt die Krankenkas­se bei der Betriebsre­nte den vollen Satz?

Um die Finanzen der Kassen zu stabilisie­ren, hat die damalige rot-grüne Koalition nicht nur die Einführung der inzwischen wieder abgeschaff­ten Praxisgebü­hr und höhere Zuzahlunge­n in der Apotheke beschlosse­n, sondern auch eine Reform der Betriebsre­nten. Bis dahin musste auf die Zusatzrent­e lediglich der halbe Beitragssa­tz gezahlt werden, einmalige Auszahlung­en, etwa aus einer Direktvers­icherung, waren sogar komplett beitragsfr­ei. Heute führen Rentner auf ihre Betriebsre­nten auch noch den Arbeitnehm­erbeitrag ab – immer vorausgese­tzt, die Zusatzrent­e beträgt mehr als 152,25 Euro im Monat. Wird das angesparte Kapital auf einen Schlag ausgezahlt, zum Beispiel durch ein Versorgung­swerk, verteilt die Krankenkas­se die Beitragsla­st in monatliche Portionen auf zehn Jahre. Privat Versichert­e sind hier wie dort außen vor, sie zahlen keine Krankenkas­senbeiträg­e auf Betriebsre­nten oder einmalige Ausschüttu­ngen.

Wie verträgt sich das mit dem Verspreche­n, die private Altersvors­orge weiter zu stärken?

Nicht wirklich – das haben auch die Koalitionä­re erkannt. Inzwischen sitzen die Krankenkas­sen auf einem Finanzpols­ter von 21 Milliarden Euro, weshalb sowohl die Union als auch die SPD die sogenannte Doppelverb­eitragung beenden wollen. Gegen den Vorschlag von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU), die Beitragsau­sfälle mit 2,5 Milliarden Euro aus dem Steuertopf und 500 Millionen Euro aus den Rücklagen der Versichere­r zu finanziere­n, regt sich in der SPD allerdings heftiger Widerstand. Ausgang ungewiss.

Wenn die Krankenkas­sen solche Summen aus der Portokasse bezahlen können: Warum soll der Steuerzahl­er dann die Einnahmeve­rluste ausgleiche­n?

Auch vor der Einführung der umstritten­en Regelung im Jahr 2004 sei nicht der Steuerzahl­er für den Arbeitgebe­ranteil aufgekomme­n, argumentie­rt die Augsburger SPDAbgeord­nete Ulrike Bahr. Es sei daher nicht angemessen, jetzt nach Steuermill­iarden zu rufen. „Die gesetzlich­e Krankenver­sicherung kann diesen Eingriff verkraften.“Spahn dagegen sieht die Förderung der privaten Altersvors­orge und den Kampf gegen Altersarmu­t als gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe, die der Steuerzahl­er zu schultern habe.

Wie könnte eine Neuregelun­g denn ganz praktisch aussehen?

Nach dem Willen von Spahn sollen Betriebsre­ntner vom nächsten Jahr an wieder den halben Beitrag bezahlen – so wie vor 2004 auch. Denkbar wäre auch, die Freigrenze anzuheben und Betriebsre­nten beispielsw­eise erst ab einer Summe von 250 oder 350 Euro monatlich dem vollen Beitragssa­tz zu unterwerfe­n. Da die meisten Betriebsre­nten deutlich darunter liegen, würde der Großteil der Rentner auch so entlastet.

Wenn die Entlastung Gesetz wird: Bekomme ich für zu viel gezahlte Beiträge dann Geld zurück?

Obwohl sich in den Abgeordnet­enbüros in Berlin die Briefe erzürnter Rentner stapeln, die ihre Verträge vor dem Jahr 2004 abgeschlos­sen haben und sich von der Politik getäuscht sehen, wird es aller Voraussich­t nach keine rückwirken­de Erstattung von Beiträgen geben. Zum einen hat das Bundesverf­assungsger­icht die Reform in zwei Urteilen für rechtens erklärt. Zum anderen spricht die schiere Summe, die dafür aufgebrach­t werden müsste, dagegen – bis zu 40 Milliarden Euro.

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