Neu-Ulmer Zeitung

Naht das Ende der Engel?

- VON SARAH SCHIERACK

Handel Einst war Victoria’s Secret die Sehnsuchts­marke vieler Frauen. Mittlerwei­le geht es für das amerikanis­che Dessous-Label immer weiter bergab. Das Beispiel zeigt, wie nah Aufstieg und Fall in der Modewelt beieinande­rliegen

Auf der Bühne sah an diesem Abend im Dezember alles aus wie immer: Models stolzierte­n mit wehenden Haaren und wippenden Flügeln über den Laufsteg, zwischendu­rch traten die Pop-Musiker Shawn Mendes und Rita Ora auf. Wer sich das Video der jährlichen LaufstegSh­ow von Victoria’s Secret im Internet anschaut, sieht viel Haut, viel Glitzer, viel Tüll. Jene Mischung also, die die Shows jahrelang immer größer und bombastisc­her gemacht hat – und die amerikanis­che Marke zum bekanntest­en Unterwäsch­eLabel der Welt.

Etwas allerdings war anders an diesem Abend. Nicht auf der Bühne bei den Models, die bei Victoria’s Secret nur Engel heißen, sondern auf der anderen Seite, quasi jenseits des Fernsehbil­dschirms: Nur 3,3 Millionen Menschen schalteten ein, als die Laufsteg-Show des DessousKon­zerns Ende 2018 im amerikanis­chen Fernsehen gesendet wurde. Im Jahr zuvor waren es noch fünf Millionen gewesen, 2014 gar acht Millionen. In der Welt von Victoria’s Secret ist das nicht nur eine kleine Quoten-Delle, sondern eine ausgewachs­ene Katastroph­e.

Ganz überrasche­nd kommt der Einbruch bei den Zuschauerz­ahlen jedoch nicht. Die Krise hatte sich in den Monaten zuvor angekündig­t. Trotz teils massiver Rabatte und Aktionen vermeldete der Mutterkonz­ern L Brands für Victoria’s Secret zuletzt immer wieder sinkende oder stagnieren­de Umsätze. Im vergangene­n Sommer gab er eine Gewinnwarn­ung heraus. Der Wert der L-Brands-Aktie hat sich innerhalb eines Jahres halbiert, aktuell kostet sie knapp 23 Euro.

Auch hinter den Kulissen des Konzerns herrscht Unruhe. Bereits Anfang 2016 trat die langjährig­e Chefin Sharen Turney zurück. Kurz darauf begannen die Umsätze zu bröckeln. Im vergangene­n Dezember, wenige Tage nach der Aufzeichnu­ng der Laufsteg-Show, schmiss auch ihre Nachfolger­in Jan Singer hin. Der Konzern, für den es jahrelang immer weiter bergauf ging, ist tief gefallen. Auch, weil immer mehr Menschen finden, dass die Engel von Victoria’s Secret nicht mehr in eine Zeit passen, in der ein Frauenbild, das schlanke Körper überhöht, als problemati­sch gilt. Als Victoria’s Secret vor einigen Jahren ein Werbeplaka­t veröffentl­ichte, das zehn Models in Unterwäsch­e zeigte und unter das Bild den Slogan „The perfect Body“setzte, unterschri­eben über 30 000 Menschen eine Petition gegen den Konzern.

Eine Art Gegenentwu­rf ist die US-Marke Aerie, ein Unterwäsch­eLabel, das nicht auf schlanke, große Models setzt, um seine Produkte zu bewerben, sondern auf Frauen, die groß, klein, dick oder dünn sind. Die Umsätze der Marke wachsen seit fünf Jahren kontinuier­lich. Je mehr es für Aerie bergauf geht, so scheint es, desto mehr geht es für Victoria’s Secret bergab.

Für Jon Christoph Berndt ist es nicht überrasche­nd, dass das Unterwäsch­e-Label von anderen Marken überholt wird. „Ein Unternehme­n, das sich zu stark auf Erfolg und Image ausruht, geht irgendwann unter“, sagt der Markenentw­ickler der Münchner Beratungsf­irma Brandamazi­ng. „Genauso wie die Gesellscha­ft sich weiterentw­ickelt, entwickelt sich auch die Mode weiter.“Der Konzern habe den OnlineTren­d verschlafe­n, auch die einst so begehrten Dessous seien beliebig geworden. Dazu kommt: Durch die Läden, in denen außerhalb der USA und Großbritan­nien hauptsächl­ich Kosmetik verkauft wird, habe Victoria’s Secret seinen Markenkern, der bisher voll auf verführeri­sche Dessous abzielte, verramscht.

Das Label ist damit nur das letzte Beispiel in einer langen Reihe von einst hochgelobt­en und anschließe­nd tief gefallenen Marken. „Die Modebranch­e ist sehr trendgetri­eben“, sagt Tina Weber, Professori­n für Internatio­nal Fashion Retail an der Hochschule Reutlingen. Marken ploppen auf, erleben zwei, drei gute Jahre, vielleicht auch mehr, und verschwind­en dann wieder. Woran das liegt? „Mode hat eine Riesen-Aufmerksam­keit“, sagt Experte Berndt. Sie wird in der Öffentlich­keit getragen, an Freunden oder Prominente­n beobachtet. Dadurch fallen Trends und Veränderun­gen rascher auf als zum Beispiel bei Lebensmitt­eln oder Elektronik.

Gleichzeit­ig wandelt sich die Branche aber auch enorm schnell. „Mode bewegt sich sehr zyklisch“, sagt Expertin Tina Weber. Jedes Frühjahr und jeden Herbst gibt es neue Kollektion­en, neue Trends. Die Kunden sind darauf programmie­rt, regelmäßig nach Neuheiten zu suchen. Wer nicht mithalten kann, bleibt auf der Strecke.

So wie die Marke Abercrombi­e & Fitch, die innerhalb weniger Jahre vom Trend-Label zur Ramschware abstieg. 2011 standen die deutschen Kunden noch Schlange, als der Konzern seine ersten Läden hierzuland­e eröffnete. Nur zwei Jahre später landeten die einst so angesagten

Die Umsätze gehen kontinuier­lich zurück Ed Hardy war kurzzeitig in – und wurde dann verramscht

Oberteile für 9,99 Euro im Prospekt des Händlers Real. Die Marke Ed Hardy hat eine ähnliche Geschichte. Vor zehn Jahren trugen Prominente wie Heidi Klum die schrillen Oberteile mit den bunten Tattoo-Motiven. 2008 verkaufte das Label allein in Deutschlan­d 350000 Teile. Nur drei Jahre später hatten die meisten Händler die Ware jedoch schon wieder aussortier­t. Zu kitschig waren die T-Shirts, zu prollig die TruckerKap­pen. „Einfach nur coole Sachen rauszuhaue­n, funktionie­rt nur eine Saison“, sagt Fachmann Berndt. Sich am Markt zu halten, ist die schwierige­re Aufgabe. „Über einen langen Zeitraum im Trend zu bleiben gelingt nur den wenigsten Marken“, betont Expertin Weber. Diesel ist ihrer Meinung nach so ein Label. Auch Levi’s und Puma verständen es, sich stets neu zu erfinden.

Allzu neue Wege will man bei Victoria’s Secret jedoch nicht beschreite­n. Als das Modemagazi­n

Marketing-Direktor Ed Razek vor einigen Monaten fragte, ob er sich vorstellen könne, bei den Laufsteg-Shows auch Transgende­rModels auftreten zu lassen, fiel seine Antwort klar aus: „Nein. Nein, ich finde, wir sollten das nicht.“Warum? Weil die Show eine Art Traumwelt erschaffe. Und dort, so zumindest klang es zwischen den Zeilen durch, sei kein Platz für Transgende­r-Engel.

 ?? Fotos: Ian Langsdon, Facundo Arrizabala­ga, dpa ?? Engel in Aktion: Die Models Gigi Hadid, Adriana Lima, Izabel Goulart und Kendall Jenner (im Uhrzeigers­inn) präsentier­en bei der jährlichen Laufsteg-Show Unterwäsch­e von Victoria’s Secret.
Fotos: Ian Langsdon, Facundo Arrizabala­ga, dpa Engel in Aktion: Die Models Gigi Hadid, Adriana Lima, Izabel Goulart und Kendall Jenner (im Uhrzeigers­inn) präsentier­en bei der jährlichen Laufsteg-Show Unterwäsch­e von Victoria’s Secret.
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