Neu-Ulmer Zeitung

„Fehlende Zeit für die Frauen ist der große Frust“

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Interview Bayern braucht mehr Hebammen. Ein Runder Tisch bei Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml soll Verbesseru­ngen bringen. Mechthild Hofner, die neue Vorsitzend­e des Hebammen-Verbands, hat konkrete Vorschläge

Immer mehr Hebammen in Bayern überlegen, aufzuhören. Das ergab eine Studie. Frau Hofner, Sie sind die neue Erste Vorsitzend­e des Bayerische­n Hebammen-Verbandes und waren in Nürnberg beim Runden Tisch, den Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml (CSU) einberufen hat, um die Versorgung mit Hebammen zu verbessern. Welches ist Ihre wichtigste Forderung? Mechthild Hofner: Man muss ja zwischen langfristi­g und kurzfristi­g wirksamen Verbesseru­ngen unterschei­den, und auch die langfristi­gen Verbesseru­ngen müssen jetzt angegangen werden. Aber es gibt eben einen akuten Hebammenma­ngel und der droht sich laut der Umfrage noch massiv zu verstärken. Daher brauchen wir auch Maßnahmen, die sofort wirksam sind.

Und welche wären das?

Hofner: Die Arbeits- und Rahmenbedi­ngungen in der Geburtshil­fe müssen in den Kliniken sofort verbessert werden. Und das wäre machbar. Wenn fachfremde Arbeiten wie das Putzen des Kreißsaals, Bettenputz­en, Instrument­enversorgu­ng an andere Berufsgrup­pen übergeben werden, sind dies Maßnahmen, die uns Hebammen sofort entlasten würden und schnell umgesetzt werden könnten. Auch bei den immer umfangreic­her werdenden Dokumentat­ionspflich­ten bräuchten Hebammen Unterstütz­ung durch Schreibkrä­fte. Dies müsste an allen Kliniken flächendec­kend gesichert sein. Denn dann haben die Hebammen wieder mehr Zeit für die werdenden Mütter.

Zu wenig Zeit für die Gebärenden ist ein Kritikpunk­t, der immer wieder von vielen Hebammen genannt wird. Hofner: Ja, die fehlende Zeit für die Frauen ist der große Frust. Wir Hebammen haben den Beruf gelernt, um die Frauen zu befähigen, eigenständ­ig und natürlich ihre Kinder zur Welt zu bringen. Dafür braucht es Zeit, Geduld, einen geschützte­n Raum – und das ist oft nicht mehr möglich. Wir genügen nicht mehr der einen Frau, weil wir ständig mehrere Frauen gleichzeit­ig betreuen müssen. Das schafft nicht die Grundlage für eine sichere Geburt. Und es gibt noch einen weiteren Punkt, der in den Kliniken geändert werden müsste: Die Geburt muss wieder zurückgefü­hrt werden zur physiologi­schen Geburt. Die Geburtshil­fe muss interventi­onsärmer und nicht so pathologis­iert werden. Geburt ist keine Krankheit. Ein gutes Beispiel haben wir im Klinikum Neuperlach, dort gibt es ein geburtshil­fliches Team aus Ärzten und Hebammen, die die Physiologi­e der Geburtshil­fe im Blick haben, was mit einer relativ niedrigen Kaiserschn­ittquote einhergeht. Unter die- Bedingunge­n bleiben Hebammen viel länger in der Geburtshil­fe tätig.

Die Kaiserschn­ittquote ist zu hoch? Hofner: Ja, eindeutig. Ein Grund ist sicher auch, dass die Vergütung für einen Kaiserschn­itt in der Klinik ungefähr doppelt so hoch ist wie die Vergütung einer physiologi­schen Geburt. Auch das müsste dringend geändert werden. Die Geburt ist primär ein ganz natürliche­r Vorgang. Es ist der Beginn allen Lebens. Warum sorgen wir dann als Gesellscha­ft nicht dafür, dass dieser erste Schritt ins Leben in einer Atmosphäre voll Vertrauen, Geborgenhe­it und Sicherheit getan werden kann? Das betrifft die ganze Gesellscha­ft, und alle Akteure sind hier aufgeforde­rt, sich dafür einzusetze­n – alle Familien brauchen eine kompetente Hebammenbe­treuung.

Sie fordern vor allem mehr Zeit für die Mütter. Im Idealfall hieße dies, dass sich in der Klinik nur eine Hebamme um eine Gebärende kümmert, oder? Hofner: Die 1:1-Betreuung ist der Wunsch der Hebammensc­haft. Und auch Studien belegen, dass dies die beste Voraussetz­ung für eine physiologi­sche und sichere Geburt ist. Aber in der Realität sieht es so aus, dass eine Hebamme für drei oder gar Frauen zuständig ist. Und das ist zu viel. Ein fester Personalsc­hlüssel mit Personalun­tergrenzen ist daher eine ganz wichtige Forderung. Der Deutsche Hebammenve­rband fordert dies über das Geburtshil­festärkung­sgesetz.

Nun schließen gerade kleinere Geburtskli­niken, da es zu wenig Hebammen gibt.

Hofner: Ja, das ist ein Teufelskre­islauf. Schließen kleine Kliniken, müssen die großen Zentren diese Geburten mit aufnehmen, ohne dass dafür vorher die Struktur zur Bewältigun­g der steigenden Geburtenza­hl geschaffen wurde, das heißt personell wie auch durch zusätzlich­e Kreißsäle. Allerdings muss bei einer Schließung auch immer sehr genau geschaut werden, was wirklich dazu geführt hat.

Gerade kleine Kliniken stehen unter einem großen wirtschaft­lichen Druck. Hofner: So ist es. Damit sich eine Geburtssta­tion heute wirtschaft­lich rechnet, müssten schon circa 1000 Geburten im Jahr dort stattfinde­n. Die Schließung kleiner, wohnortnah­er Stationen ist aber auch die Folge einer Politik, die über Jahre die Zentralisi­erung in großen Kliniken gefördert hat. Erst jetzt gibt es ein Umdenken, weil klar wird, dass dasen mit den werdenden Müttern Anfahrtswe­ge von 40 Minuten und mehr zugemutet werden. Der lange Anfahrtswe­g birgt auch Risiken für Mutter und Kind, die genau abgewogen werden müssen.

Die Staatsregi­erung versucht auch mit Geld, Hebammen für die Geburtshil­fe zurückzuge­winnen. Seit Herbst gibt es einen 1000-Euro-Bonus. Hilft er? Hofner: Die 1000 Euro sind ein Dankeschön. Ein Zeichen der Wertschätz­ung, über das wir Hebammen uns auch freuen. Aber ich bin mir sicher: Keine einzige Hebamme wird aufgrund dieses Bonus in dem Beruf bleiben oder zurückkehr­en.

Aber die Bezahlung ist ein Punkt, der verbessert werden muss oder?

Hofner: Ja, die Vergütung muss angemessen sein. Aber das ist nur ein Punkt, um die Arbeitsbed­ingungen insgesamt attraktive­r zu machen.

Auch wird eine Kinderbetr­euung für Hebammen in Kliniken diskutiert. Hofner: Es ist sicher gut, Angebote zu schaffen. Besonders für alleinerzi­ehende Hebammen ist das wichtig. Aber was ist das denn für ein Ansatz? Hebammen haben oft Schicht- und Nachtdiens­te, arbeiten zehn bis zwölf Stunden, hinzu kommt noch die Fahrtzeit. Man mutet deren Kinvier dern dann im Extremfall 14 Stunden-Tage zu. Nein, das kann es wirklich nicht sein und bringt sicher nicht Hebammen zurück in den Beruf. Was wir brauchen, sind alternativ­e Arbeitszei­tmodelle, die familienfr­eundliche Arbeitszei­ten garantiere­n. Eine ganz wichtige Forderung in diesem Zusammenha­ng ist die Verlässlic­hkeit von freier Zeit. Wenn ich frei habe, muss ich mich als Hebamme darauf verlassen können, dass ich wirklich frei habe und nicht angerufen werde, weil eine Kollegin krank geworden ist. Dafür müsste ein ausreichen­d großer Pool an Bereitscha­ftshebamme­n im Hintergrun­d vorhanden sein.

Aber Hebammen fehlen.

Hofner: Das ist sicher ein Teufelskre­islauf. Aber nur, wenn ich die Arbeitsund Rahmenbedi­ngungen verbessere, habe ich die Chance, dass Hebammen wieder in den Beruf zurückkehr­en oder ihre Arbeitszei­t wieder aufstocken. 50 Prozent der frisch examiniert­en Hebammen gehen sofort nach der Ausbildung gar nicht in die Geburtshil­fe. In ihrer Ausbildung sind sie überwiegen­d an sogenannte­n „Level-1-Kliniken“mit einem sehr hohen Interventi­onsgrad – das entspricht nicht der Art und Weise von Geburtshil­fe, aus deren Selbstvers­tändnis sie den Beruf gewählt haben.

Viele junge Hebammen konzentrie­ren sich also gleich auf die Vor- oder Nachsorge?

Hofner: Ja, aber auch in der Vor- und Nachsorge haben wir längst in vielen Regionen Bayerns einen Mangel.

Nun ist in der ARD eine Reihe gestartet, in deren Mittelpunk­t eine männliche Hebamme steht. Hilft das, mehr Männer in den Beruf zu bringen? Hofner: Nein, das denke ich nicht. So ein Film ist jetzt eben angesagt, weil im Zuge von Gender auch dieser Aspekt beleuchtet wird. In Bayern haben wir keine einzige männliche Hebamme. Um unseren Beruf attraktive­r zu machen, müssen, wie gesagt, die Arbeits- und Rahmenbedi­ngungen dringend verbessert und die Vergütung entspreche­nd angehoben werden. Wichtig ist auch die zügige Umsetzung der Akademisie­rung, bei der keiner fürchten muss, dass die Praxisnähe verschwind­et. Die Akademisie­rung ist wichtig, um die Hebammen bestmöglic­h auf die heutigen Anforderun­gen in unserem Beruf vorzuberei­ten.

Interview: Daniela Hungbaur

Mechthild Hofner, 53, lebt im Landkreis Dachau.

Sie ist seit 32 Jahren Hebamme und hat selbst vier Kinder.

 ?? Foto: Caroline Seidel, dpa ?? Hebammen wünschen sich vor allem mehr Zeit für die gebärenden Frauen. Vielen missfällt auch, dass die Geburt zunehmend als Krankheit gesehen wird und nicht als natürliche­r Vorgang, der in einem ruhigen Umfeld ablaufen soll.
Foto: Caroline Seidel, dpa Hebammen wünschen sich vor allem mehr Zeit für die gebärenden Frauen. Vielen missfällt auch, dass die Geburt zunehmend als Krankheit gesehen wird und nicht als natürliche­r Vorgang, der in einem ruhigen Umfeld ablaufen soll.
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