Neu-Ulmer Zeitung

Wenn der Schulweg zur Qual wird

- VON JONATHAN MAYER

Verkehr Wer zur Schule will, muss meistens Bus fahren. Doch gerade auf dem Land dauert eine Fahrt oft ewig. Das zeigen Beispiele aus Schwaben. Mittelschü­ler könnten künftig noch länger brauchen. Was man da tun kann?

Dillingen Eine zweite Chance hat Luisa Schön morgens nicht. Denn von ihrem Zuhause in Zöschingen im Landkreis Dillingen bis zu ihrer Schule gibt es nur einen Linienbus – Abfahrt: 6.40 Uhr. Luisas Morgen ist durchgetak­tet. Gegen 5.45 Uhr steht die Neuntkläss­lerin auf. 45 Minuten später verlässt sie das Haus. Zehn Minuten zur Haltestell­e, 40 Minuten im Bus – gegen 7.20 Uhr ist die 15-Jährige meist in ihrer Schule in Dillingen. Unterricht­sbeginn ist um fünf vor acht. Jeden Tag verbringt Luisa so knapp eineinhalb Stunden unterwegs, mindestens.

Wie ihr geht es vielen Kindern in ländlichen Regionen, immerhin ist der Linienbus eines der Haupttrans­portmittel für Schüler. Doch es könnte schlimmer sein. Denn eine gesetzlich­e Grenze, wie lang ein Schulweg maximal dauern darf, gibt es in Bayern nicht. Lediglich das ist geklärt: Die Landkreise müssen dafür sorgen, dass Kindern ein öffentlich­es Verkehrsmi­ttel zur Verfügung steht, wenn sie von ihrer wei- terführend­en Schule mehr als drei Kilometer entfernt wohnen. Einzelne Landkreise setzen sich dabei selbst Grenzen: In Dillingen beispielsw­eise soll eine Fahrt für Grundschül­er nicht länger als 45 Minuten dauern, an weiterführ­ende Schulen maximal 60 Minuten. Im Landkreis Augsburg gilt für alle Klassenstu­fen das Ziel, nicht länger als eine Stunde im Bus verbringen zu müssen.

Viel Zeit also, die Kinder auf dem Weg zur Schule verlieren. Luisa hört während der Fahrt Musik. „Was Sinnvolles kann man solange eh nicht machen.“Hausaufgab­en, lernen? Nicht möglich. Denn der Bus ist immer voll besetzt, auch die Gänge. Die Neuntkläss­lerin ist sich sicher: „Man könnte locker einen zweiten Bus vollkriege­n.“

Warum nicht einfach neue Verbindung­en geschaffen werden? Das Beispiel Dillingen zeigt, dass das nicht immer einfach ist. Denn dann müssten sehr viele Orte mit Einzelverb­indungen extra angebunden werden, heißt es beim Landratsam­t. Das verursache jedoch zusätzlich­e Kosten.

Doch auch das ist Fakt: Wenn die Schuldicht­e weiter abnimmt, könnten sich die Fahrzeiten für viele Kinder verlängern: Während die Zahl der Schüler in Bayern zwischen 2007 und 2017 von 1,4 auf 1,2 Millionen zurückging, sank auch die Zahl der Schulen, wenn auch nicht im gleichen Maße. Denn im selben Zeitraum wurden je 25 Realschule­n und Gymnasien eröffnet, während 170 Mittelschu­len geschlosse­n wurden. Müssen Mittelschü­ler also bald weitere Wege auf sich nehmen? Wahrschein­lich. Offiziell bestätigt wird das jedoch nicht. Im Kultusmini­sterium verweist man auf Nachfrage lediglich auf die Landkreisv­erwaltunge­n, die für die öffentlich­en Verkehrsmi­ttel zuständig sind.

Dass die langen Fahrzeiten nicht spurlos an den Schülern vorbeigehe­n, zeigt ein weiteres Beispiel aus Zöschingen. Birgit Schön (nicht mit Luisa Schön verwandt) erzählt von Konzentrat­ionsproble­men ihrer Tochter Sofia. Die fährt im selben Bus wie Luisa nach Dillingen. Die Belastung, so die Mutter, merke man der Sechstkläs­slerin definitiv an. „Mit der Fahrt im Bus haben die Kinder fast einen Achtstunde­ntag. Nur: Wenn sie daheim ankommen, müssen sie noch lernen.“Ein Mal pro Woche holt Schön ihre Tochter deshalb von der Schule ab. Mit dem Auto braucht sie nur knapp 20 Minuten. Zwar sei die Anbindung Zöschingen­s an das öffentlich­e Verkehrsne­tz erst vor kurzem verbessert worden, gebracht habe das den Kindern aber nur wenig.

Auch Luisa kennt das. Wenn sie nachmittag­s Unterricht hat, kommt die 15-Jährige erst gegen 17.30 Uhr nach Hause, nach einer Stunde im Bus. „Wenn meine Klassenkam­eraden aus Dillingen gegen 18 Uhr mit Lernen aufhören, fange ich erst an“, sagt sie. Viele ihrer Bekannten besuchen deshalb eine näher gelegene Realschule, obwohl sie auch aufs Gymnasium gehen könnten.

Auch in den Schulverwa­ltungen ist der Bus immer wieder Thema. Luisas Schulleite­r, Franz Haider, kennt das Phänomen gut. Knapp die Hälfte der 386 Schüler am St.-Bonaventur­a-Gymnasium sind auf öffentlich­e Verkehrsmi­ttel angewiesen, die meisten davon kommen mit dem Bus. Weite Strecken und lange Fahrzeiten seien da normal. Am Dillinger Johann-Michael-SailerGymn­asium wurden deshalb sogar die Schulzeite­n angepasst. Dort geht es für Schüler und Lehrer seit ein paar Jahren statt um 7.55 Uhr schon um 7.50 Uhr los. Schulleite­r Kurt Ritter erklärt: „Dadurch können wir auch früher aufhören und die Schüler erreichen mittags alle ihren Bus.“Seiner Erfahrung nach werde die Problemati­k erst in den höheren Klassenstu­fen besser. „Viele ältere Schüler kommen mit einem eigenen fahrbaren Untersatz, sobald es geht.“Mofa, Moped, Roller. Irgendwann sogar mit dem Auto.

Zwar träfen sich die Schulleite­r immer wieder mit dem Landratsam­t, um über die Busverbind­ungen zu beraten. Ändern lasse sich jedoch nur wenig.

An den Kindern geht die lange Fahrt nicht spurlos vorbei

 ?? Foto: Jan Woitas, dpa ?? Auf dem Land sind Schüler oft ewig unterwegs, nur um rechtzeiti­g zum Unterricht in der Schule anzukommen. In manchen Orten fährt sogar nur ein einziger Bus. Wenn der mal nicht kommt, müssen die Kinder auf Taxi Mama vertrauen.
Foto: Jan Woitas, dpa Auf dem Land sind Schüler oft ewig unterwegs, nur um rechtzeiti­g zum Unterricht in der Schule anzukommen. In manchen Orten fährt sogar nur ein einziger Bus. Wenn der mal nicht kommt, müssen die Kinder auf Taxi Mama vertrauen.

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