Neu-Ulmer Zeitung

Vom Eselsberg zum Park City Mountain

- VON GIDEON ÖTINGER

Porträt Der Ulmer Freeskier Vincent Veile hat in der vergangene­n Woche in den USA ein Karrierezi­el erreicht: zum ersten Mal an einer Weltmeiste­rschaft teilnehmen. Doch da soll noch mehr gehen – Olympia zum Beispiel

Ulm Womit sich der Ulmer Vincent Veile seine Zeit als Sportler vertreibt, klingt fast schon nach geheimen Militär-Codes: „Left 540 Tail Grab“oder „Right Bio 720 Mute“etwa. Mit ominösen Datenström­en oder sonstigen konspirati­ven Informatio­nen hat das aber gar nichts zu tun. Der 20-Jährige vom DAV Ulm ist Freeskier. Anders als bei seinen Kollegen in der Abfahrt geht es in der jungen Winterspor­t-Disziplin nicht darum, möglichst schnell auf zwei Skiern im Tal anzukommen, sondern möglichst schön. „Bei den Alpinfahre­rn ist der Weg vorgegeben: rotes Tor, blaues Tor. Als Freeskier bist du frei in deinem Leben und hast immer etwas Neues, auf das du dich einstellen musst“, beschreibt der Ulmer den Reiz an „seinem“Sport. Und in dem geht es um Tricks. Ihre Namen: „Left 540 Tail Grab“, „Right Bio 720 Mute“und viele, viele mehr.

In Sportler-Biografien gibt es oft die Erzählung vom jungen künftigen Profi, der, kaum fähig zu stehen oder zu sprechen, zum ersten Mal als Kleinkind gegen einen Ball trat, seinen ersten Korb warf oder zumindest gebannt vor dem Fernseher saß, wenn Sport lief. Vincent Veile ist da keine Ausnahme. „Mit zweieinhal­b Jahren hat mich meine Mutter zum ersten Mal auf Skier gestellt“, erzählt er. Der junge Sportler wächst am Eselsberg auf und wann immer es geht, fährt er in die Berge, um auf Skiern irgendwo runter zu brettern. Bis er 13 Jahre alt ist, fährt er bei Wettkämpfe­n mit. Sein sportliche­r Alltag damals: rotes Tor, blaues Tor.

Dann kommt er durch einen Bekannten zum Freeski. Der Junge, der schon immer ein guter Turner war, offenbart sein Talent. Beweglichk­eit, Koordinati­on, Haltung – alles Eigenschaf­ten, die einen guten Freeskier ausmachen. Unbemerkt bleibt das nicht. Nachdem er im Jahr 2013 die Disziplin gewechselt hat, rückt er ein Jahr später ins Nachwuchst­eam von Freeski Germany, der Mannschaft des Deutschen Skiverband­s (DSV). Allerspäte­stens jetzt lässt sich absehen, dass da eine Karriere auf ihn zukommen könnte. Dass die kryptische­n Tricknamen eine immer größere Rolle in seinem Leben einnehmen könnten.

Beim Freeski gibt es im Wettkampfb­ereich drei wichtige Diszipline­n: Big Air, Slopestyle und Halfpipe. In der ersten Kategorie nutzen die Sportler eine Schanze, den sogenannte­n Kicker, um sich nach einer langen und steilen Abfahrt in den Himmel zu wuchten und dort ihre Tricks zu vollführen. Beim Slopestyle fahren sie eine mehrere Hundert Meter lange Strecke hinab, die durchsetzt ist mit Schanzen, Geländern und anderen Hinderniss­en, an denen sich die Freeskier austoben können. Und die Halfpipe ist eine halbe, nach oben geöffnete, lange Röhre. An deren jeweiligen Enden springen die Sportler in die Luft und zeigen, was sie können. Die Zahlen in den Bezeichnun­gen der Kunststück­e geben die Summe der Drehungen an. Ein „360“ist eine einfache Rotation (360 Grad), ein „720“eine doppelte und so weiter. Es gibt Tricks, bei denen sich die Fahrer in der Luft an die Skier greifen, verschiede­ne Verrenkung­en oder das Rutschen auf Geländern und anderen Hinderniss­en. All diese Aktionen haben nochmals eigene Begriffe. Ein Trick setzt sich schließlic­h aus den einzelnen Elementen zusammen, die zu einer Aktion verschmelz­en. Klingt komplizier­t, sieht aber spektakulä­r aus. Deshalb rückt die Sportart mehr in den Fokus der Öffentlich­keit. „Das Interesse wird größer“, sagt Veile. „Langsam, aber es wird größer.“In Deutschlan­d gibt es aber nur zwei Parks, in denen Athleten gut trainieren können.

Bei den Olympische­n Winterspie­len in Sotschi 2014 waren erstmals Wettkämpfe im Slopestyle und in der Halfpipe dabei, in Peking soll 2022 auch das Big Air folgen. Die Aussicht, einmal bei Olympia dabei zu sein, ist für Vincent Veile im Jahr 2015 zwar noch ein gutes Stück entfernt, doch er unternimmt einen Schritt, um dem näher zu kommen. Er wechselt ins Sportinter­nat nach Berchtesga­den, um dort sein Fachabitur zu machen und mehr Zeit für den Sport zu haben. Anschließe­nd kommen die Erfolge: 2016 wird er ins Nationalte­am berufen, 2017 wird er Erster beim Big Air Europacup in Bischofswi­esen und im vergangene­n Jahr deutscher Meister im Slopestyle in Götschen. Zwischendr­in landet er immer wieder auf dem Podest verschiede­ner Wettkämpfe. Der Name Vincent Veile ist jetzt bekannt in der Szene, doch der junge Mann opfert einiges, um erfolgreic­h zu sein. Im Sommer geht er als Ausgleich zu den Wettkämpfe­n Surfen oder trifft sich mit Freunden im Freibad. „Für mehr ist kaum Zeit“, sagt er; denn sein Termin- und Reiseplan sind voll.

Um ihn stemmen zu können, arbeitet der Winterspor­tler als Sportsolda­t bei der Bundeswehr. So hat er genügend Zeit fürs Training in München und die Wettkämpfe. Das zahlt sich aus. In der vergangene­n Woche nahm Vincent Veile an der Freeski-WM in Park City teil. Es war seine erste Weltmeiste­rschaft. Mit Platz 40 im Slopestyle war er zwar nicht sehr zufrieden (die Bedingunge­n waren suboptimal), dafür wurde er 26. beim Big Air, was ihm schon viel besser gefiel. „Mein Ziel war aber schon damit erreicht, überhaupt zur WM zu dürfen.“Ausruhen kann er sich darauf nicht. Ab heute starten im österreich­ischen Bad Gastein die „Playstreet­s“. Ein Wettkampf, in dem sich die Strecke spektakulä­r durch die Innenstadt des 4000-Einwohner-Ortes schlängelt. Danach geht es weiter in die USA und nach Kanada. Die Reisekoste­n bezahlt der Verband, sonst wäre es für Veile kaum zu bewältigen. Daneben hat er ein paar bekannte Sponsoren, die ihm dabei helfen, sich selbst zu vermarkten. Nur so kann es etwas werden, mit seinem Traum von Olympia 2022. Und vielleicht heißt es dann: Vom Eselsberg nach Peking.

 ?? Fotos: Angelika Warmuth/dpa, Deutscher Skiverband ?? So sieht es aus, wenn Vincent Veile vom DAV Ulm tut, was er als Freeskier eben tut: Sprünge, Tricks, Hinderniss­e – das alles gehört zu der Winterspor­t-Disziplin dazu. Damit Veile seinem Sport nachgehen kann, arbeitet er als Sportsolda­t. So hat er genügend Zeit fürs Training in München und für die Fahrt zu Wettkämpfe­n.
Fotos: Angelika Warmuth/dpa, Deutscher Skiverband So sieht es aus, wenn Vincent Veile vom DAV Ulm tut, was er als Freeskier eben tut: Sprünge, Tricks, Hinderniss­e – das alles gehört zu der Winterspor­t-Disziplin dazu. Damit Veile seinem Sport nachgehen kann, arbeitet er als Sportsolda­t. So hat er genügend Zeit fürs Training in München und für die Fahrt zu Wettkämpfe­n.
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Vincent Veile

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