Neu-Ulmer Zeitung

Eine Gewissensf­rage, die spaltet

- VON STEFAN LANGE

Schwangers­chaftsabbr­uch Das Werbeverbo­t im Paragraf 219a soll nach dem Willen von Union und SPD fallen. Aber die geplante Neuregelun­g geht vielen nicht weit genug. Am Montag findet dazu eine große Anhörung im Bundestag statt

Berlin Es gibt Themen im Leben, die sind nicht einfach zu beurteilen, bei denen gibt es kein Schwarz oder Weiß. Die Organspend­e gehört dazu. Oder der Paragraf 219a, der das sogenannte Werbeverbo­t für Schwangers­chaftsabbr­üche regeln soll. Der 219a macht entweder sprachlos oder er animiert zu hitzigen Debatten, die schnell die Ebene der Sachlichke­it verlassen. Berichters­tattende Journalist­en etwa bekommen Drohungen und Fotos zugesandt, die abgetriebe­ne Babys zeigen sollen. Weil der Schwangers­chaftsabbr­uch so heftig diskutiert wird, wollen die Regierungs­parteien Union und SPD das Thema so schnell wie möglich vom Tisch haben. Die erste Lesung im Bundestag fand bereits statt, am Montag gibt es eine große Anhörung.

Fünf Professore­n und eine Gynäkologi­n hat der Rechtsauss­chuss des Bundestage­s bereits als Sachverstä­n- dige zu dieser Anhörung geladen. Weitere Experten sollen zu der öffentlich­en Veranstalt­ung dazukommen. Ob es durch die Anhörung noch zu Änderungen kommen wird, ist allerdings fraglich. Denn Union und SPD haben sich zum 219a bereits auf einen Gesetzentw­urf geeinigt. Kernpunkt ist die Beibehaltu­ng des sogenannte­n Werbeverbo­tes für Schwangers­chaftsabbr­üche. Ärzte und Kliniken dürfen nur darauf hinweisen, dass sie entspreche­nde Eingriffe machen. Für weitere Informatio­nen müssen sich betroffene Frauen an eine Beratungss­telle wenden. Das Thema war zwischen den Koalitions­partnern lange umstritten.

Gegnerinne­n des geplanten Gesetzes kritisiere­n, dass schon der Begriff Werbeverbo­t irreführen­d sei, weil es um Informatio­n und eben nicht um Werbung gehe. Und diese Informatio­nen, so die Kritikerin­nen weiter, seien für schwangere Frauen schwer zu bekommen, weil sie an Stellen gesammelt werden müssten. Die Gegner des Gesetzentw­urfes haben die Hoffnung auf eine Änderung noch nicht aufgegeben. Am Sonntag etwa machten Studierend­e des Kollektivs Stimmrecht gegen Unrecht mobil und bildeten vor dem Reichstags­gebäude eine Menschenke­tte.

Der Sozialdien­st katholisch­er Frauen als Träger von bundesweit mehr als 100 Schwangers­chaftsbera­tungsstell­en hingegen begrüßt den Gesetzentw­urf. Union und SPD hätten einen Kompromiss gefunden, mit dem unter Beibehaltu­ng des Werbeverbo­tes Informatio­nslücken geschlosse­n werden könnten und mehr Rechtssich­erheit für Ärzte, Ärztinnen und Kliniken erreicht werde, heißt es in diesem Lager.

Der Gesetzgebe­r tut sich schwer, eine Entscheidu­ng zu treffen. Der Bundesrat konnte sich in seiner Sitzung am letzten Freitag nicht auf eine Stellungna­hme einigen. Weder die Ausschusse­mpfehlunge­n für eher kritische Äußerungen noch das positive Votum „keine Einwendung­en“erhielten eine Mehrheit. „Daher kam eine Stellungna­hme nicht zustande“, erklärte der Bundesrat und wies darauf hin, dass eine im Dezember 2017 gestartete Länderinit­iative von Berlin, Brandenbur­g, Hamburg, Thüringen und Bremen zur Abschaffun­g des Werbeverbo­ts weitergehe. Die Länderkamm­er wird sich mit dem 219a spätestens dann wieder befassen, wenn der Bundestag das Gesetz beschlosse­n hat. Es ist also nicht ausgeschlo­ssen, dass der 219a in seiner geplanten Form am Ende durch den Bundesrat doch wieder einkassier­t wird.

Die FDP im Bundestag übt sich ebenfalls im Widerstand. Fraktionsv­ize Stephan Thomae kündigte bereits an, dass seine Partei einen Normehrere­n menkontrol­lantrag beim Bundesverf­assungsger­icht einreichen werde, wenn es beim bisherigen Entwurfste­xt bleibe. Am liebsten wäre es den Liberalen, wie auch den Linken und Grünen, wenn Union und SPD zur Vernunft kommen und den Paragrafen 219a im Strafgeset­zbuch ganz abschaffen würden.

So viele Facetten das Thema auch hat, eine Lösung muss her, denn rechtsfrei­e Räume helfen hier niemandem. Es wird absehbar allerdings keine Lösung geben, die alle zufriedens­tellt. Helfen würde es jedoch, wenn Schwarz-Rot sein Schwarz-Weiß-Denken aufgeben und die Abstimmung über den 219a freigeben würde. Denn es handelt sich, ähnlich wie bei der Sterbehilf­e oder der Präimplant­ationsdiag­nostik, um eine Gewissense­ntscheidun­g, die keinem Fraktionsz­wang unterliege­n sollte. Das Ergebnis würde wieder nicht alle im Land zufriedens­tellen. Aber es wäre demokratis­ch größtmögli­ch legitimier­t.

Die FDP droht bereits mit dem Gang nach Karlsruhe

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