Neu-Ulmer Zeitung

Missbrauch am Wallfahrts­ort

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Kirche Mit 23 wurde Elisabeth Berger von einem Dominikane­r-Mönch vergewalti­gt. Die Tat lässt sie bis heute nicht los

Rom Fast vierzig Jahre sind seit jenem Sommer 1981 in der Provence vergangen. Aber in diesen Tagen kehren bei Elisabeth Berger die Erinnerung­en zurück. Weltweit ist viel die Rede von Priestern und sexueller Gewalt, ab heute Donnerstag versammeln sich im Vatikan rund 190 Bischöfe und Ordensober­e, um über sexuellen Missbrauch in der Kirche zu diskutiere­n. Bergers Erwartunge­n sind eher gering. Ihre Gedanken gehen noch immer oft in die Vergangenh­eit zurück.

1981 war sie 23 Jahre alt und kannte den Wallfahrts­ort SaintBaume am Fuße der französisc­hen Seealpen bei Aix-en-Provence von anderen Aufenthalt­en. Als man ihr vorschlug, drei Monate lang ein Praktikum an ihrem Lieblingso­rt zu machen, sagte sie zu. Ohne zu ahnen, dass sich ihr Leben damals für immer verändern sollte. Elisabeth Berger ist heute 61 Jahre alt und arbeitet als Psychologi­n in Düsseldorf. Elisabeth Berger heißt eigentlich anders, sie möchte nicht, dass ihr richtiger Name in der Zeitung steht.

Die 23-Jährige kannte den Mönch, der sie wenig später vergewalti­gen würde. Knapp 40 Jahre war er damals alt und marokkanis­cher Abstammung. Das Mädchen hatte Pierre G. bereits zuvor auf Fahrten des deutsch-französisc­hen Jugendwerk­s kennengele­rnt, aber nie Verdacht gehegt. Als sie in der Idylle von Saint-Baume ankam, setzte sie der Dominikane­r vor vollendete Tatsachen. „Er behauptete, es sei kein anderes Zimmer frei, und ich solle in seinem Apartment schlafen. Ich war jung, vertraute ihm und willigte ein“, erzählt die Frau.

In der Nacht vergewalti­gte der Mönch die 23-Jährige. „Ich habe ihm deutlich gesagt, ich will das nicht, aber er ließ nicht ab“, sagt Berger. Sie wehrte sich mit Worten, aber trat oder biss den Täter nicht. Schon damals schlichen sich bei ihr die ersten Zweifel ein: Würde ihr überhaupt jemand glauben, wenn sie schreiend auf den Flur hinauslauf­en würde und behauptete, der angesehene Pater sei über sie hergefalle­n? „Mir glaubt sowieso keiner“, antwortete sich Elisabeth Berger. Seit einigen Monaten beschäftig­en sie die damaligen Ereignisse wieder besonders intensiv. „Es war die #MeToo-Debatte, die mich in dem Bewusstsei­n bestärkte, nicht schuld gewesen zu sein“, sagt Berger.

Zuvor rieben sie Fragen wie diese auf: Hatte sie, die hübsch war und kurze Röcke trug, Mitschuld an der Tat? Hatte sie letztlich in die Vergewalti­gung eingewilli­gt, weil sie nicht schreiend aus dem Zimmer gelaufen war und sich körperlich nicht wehrte? Nein, weiß Berger heute. Es war auch das krasse Machtgefäl­le, das das Verbrechen ermöglicht­e. Auf der einen Seite der angesehene Dominikane­rmönch, der Mann Gottes, auf der anderen das gutgläubig­e Mädchen aus Deutschlan­d.

Am Tag nach der Vergewalti­gung bestand Berger darauf, ins Gästehaus umzuziehen. Aber das Praktikum abbrechen? Sie liebte SaintBaume, diesen zauberhaft­en Ort wollte sie sich nicht zerstören lassen. Sie bat einen Freund, bei ihr zu bleiben, und hatte ihre Gründe. Auch in den darauffolg­enden Nächten versuchte Pierre G. in das verriegelt­e Zimmer vorzudring­en, ohne Erfolg. Nach einem Monat reiste Berger ab, die Situation war für sie unerträgli­ch geworden.

Doch damit ist ihre Geschichte noch nicht zu Ende. Der Mönch betrieb eine perfide Rufmordkam­pagne. „Er bestellte meine Freunde aus dem Aufenthalt zu sich und beschrieb mich als Hure und Lügnerin“, erzählt Berger. Das hätten die Betroffene­n ihr später berichtet. Sie erfuhr zudem, dass Pierre G. noch andere Opfer hatte und bekannt für Übergriffe war. Er verging sich auch an zwei anderen jungen Deutschen, auch sie blond und zurückhalt­end. 40 Jahre dauerte es, bis Berger Klarheit über ihren Fall bekam.

Es ist in diesen Tagen viel von Kinderschu­tz die Rede, im Vatikan findet dazu ab Donnerstag ein Bischofstr­effen statt. Über sexuelle Gewalt gegen Frauen, Jugendlich­e, Nonnen oder Erwachsene insgesamt wird dort höchstens am Rande gesprochen. Aber was ist mit den tausenden Fällen aus der Vergangenh­eit, als Leben ein für alle Mal beschädigt wurden? Wie ist es mit den Tätern weitergega­ngen? Wie ging die Kirche mit ihnen um? Papst Franziskus kündigte in seiner Weihnachts­ansprache vor der Kurie an, dass die Kirche „angesichts dieser Abscheulic­hkeiten keine Mühen scheuen werde, alles Notwendige zu tun, um jeden, der solche Verbrechen begangen hat, der Justiz zu unterstell­en“. Das müsste dann auch für Pierre G. gelten, der sich nie für seine Taten verantwort­en musste.

Sie habe einen einzigen Wunsch, sagt Elisabeth Berger: „Dass Klarheit geschaffen wird, dass aufgeklärt wird und dass jemand, wenn möglich der Täter, Verantwort­ung für seine Tat übernimmt.“Sie erwartet keine Bestrafung und keine Entschädig­ung, aber Rechenscha­ft. Seit 1981 hat Elisabeth Berger keine katholisch­e Kirche mehr betreten.

„Er behauptete, es sei kein anderes Zimmer frei, und ich solle in seinem Apartment schlafen.“Elisabeth Berger

 ?? Foto: Adobe Stock ?? Wallfahrts­ort Maria-Magdalena-Grotte im französisc­hen Saint-Baume: 40 Jahre dauerte es, bis Elisabeth Berger Klarheit über ihren Fall bekam.
Foto: Adobe Stock Wallfahrts­ort Maria-Magdalena-Grotte im französisc­hen Saint-Baume: 40 Jahre dauerte es, bis Elisabeth Berger Klarheit über ihren Fall bekam.

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