Neu-Ulmer Zeitung

Was hat das 3D-Kino gebracht?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Debatte Zum ersten Mal seit dem Durchbruch des neuen Sehens mit „Avatar“ist nun ein Brillen-Film für den Haupt-Oscar nominiert. Zeit für ein erstes Fazit über Folgen und Erfolge der Technologi­e

Das Jahr 2009 hat die Kinowelt verändert. Denn mit „Avatar“setzte sich James Cameron nicht nur vor „Titanic“und damit an die Spitze der erfolgreic­hsten Filme aller Zeiten. Die bis heute ungeschlag­ene Nummer eins in Sachen weltweitem Einspieler­gebnis bedeutete auch den endgültige­n Durchbruch für das dreidimens­ionale Kinoerlebn­is. Ausnahmslo­s alle Filme, die es seitdem unter die ersten 20 in dieser Liste geschafft haben, konnten die Zuschauer mit der 3D-Brille sehen. Neue „Star Wars“-Episoden, alle drei bisherigen „Avengers“Geschichte­n, das zweifache „Jurassic World“, „Fast & Furious“7 und 8, „Transforme­rs“, der letzte „Harry Potter“…

Im krassen Kontrast dazu: Seit „Avatar“vor zehn Jahren steht nun erstmals überhaupt wieder ein 3D-Streifen unter den Nominierte­n für den „Besten Film“bei den Oscars: „Black Panther“. Aber so wie damals Camerons biopolitis­ch märchenhaf­t lehrreiche Reise auf den Planeten Pandora wird wohl auch der afroamerik­anisch emanzipato­rische Superhelde­nausflug in die mythische Stadt Wakanda jetzt nicht gewinnen. Nur in den technische­n Kategorien wird es sicher wieder Trophäen geben. Was den HauptOscar angeht, kann sogar andersrum gelten: Nominierte Filme auch in durchaus 3D-trächtigen Genres wie Science-Fiction und Horrorfilm­e sind gerade keine Brillen-Filme wie „Get Out“und „Arrival“. Und noch deutlicher: Auf der eben zu Ende gegangenen Berlinale spielten 3D-Filme wie immer überhaupt keine Rolle.

Zeichnet sich hier also in neuer, nie da gewesener Schärfe die alte Unterschei­dung zwischen U und E ab? Eine technische Trennung zwischen dem Unterhalte­nden und dem Ernsthafte­n? Mit 3D eher das Spektakel und der Kommerz; wenn Ästhetik und Kultur, dann ohne 3D?

In den ersten Jahren nach „Avatar“schien das so gar nicht klar. Da unternahme­n auch preisgekrö­nte Regisseure wie etwa Martin Scorsese mit „Hugo Cabret“und Wim Wenders mit „Pina“ihre 3D-Filme, der Amerikaner erwog sogar öffentlich, von jetzt an nur noch mit der technische­n Erweiterun­g zu drehen. Und nicht wenige Kinos abseits der Multiplexe rüsteten nach, weil sich abzuzeichn­en schien, dass nicht mitzuziehe­n einen Wettbewerb­snachteil bedeuten würde. Heute ist auch diese Trennung praktisch komplett hergestell­t: 3D läuft in den Multis. Wenn mal ein Film ins Zielpublik­um beider Kinowelten fällt, wie die „Blade Runner“-Fortsetzun­g durch Denis Villeneuve, Morten Tyldums „Passengers“oder Alfonso Cuaróns „Gravity“, dann zeigen ihn die Arthaus-Kinos halt zweidimens­ional und holen damit ihre Zuschauer ab, weil die auf den Brillen-Effekt ohnehin keinen Wert legen.

Denn es ist einiges passiert in den vergangene­n zehn Jahren, das diese Spaltung befördert hat. Die dimensiona­le Erweiterun­g hat sich mit den Möglichkei­ten des digitalen Filmemache­ns verschränk­t und zur Dominanz eines speziellen globalen Blockbuste­r-Kinos geführt. Es sind Superhelde­n- und Fantasy-Geschichte­n, die Hollywood die großen Erfolge bescheren. Größtentei­ls wird dabei im einfarbige­n „Green Room“gedreht und diese Aufnahmen werden dann am Computer von einer Unmenge an „Digital Artists“ zu allen vorstellba­ren Bilderwelt­en erweitert. Mit dem „Motion Capture“-Verfahren, durch das sich vor allem der einst auch hinter Gollum von „Herr der Ringe“steckende Andy Serkis hervorgeta­n hat, können programmie­rte Kreaturen mit organische­n Bewegungen und sogar überzeugen­der Mimik ausgestatt­et werden.

Was sich da getan hat, lässt sich etwa am Vergleich der Neuverfilm­ung des Stoffs von „Planet der Affen“erkennen. Während Tim Burton 2001 noch mit handwerkli­ch hochwertig­ster Maskentech­nik die Schauspiel­er zu Affen machte, übernimmt das bei inzwischen drei Episoden nach 2011 die digitale Programmie­rung. Und durchaus eindrucksv­oll in der so augenfälli­g werdenden evolutionä­ren Verwandtsc­haft, gerade in 3D. So leuchtet hier noch mal eine Sinnhaftig­keit auf, die ja auch in „Avatar“angelegt war – eine Bedeutung der Effekte für die Erzählung nämlich. Und es könnte ja ohnehin ein Glück sein, dass mit den unbegrenzt­en Möglichkei­ten der digitalen Bildschöpf­ung interessan­te Stoffe überhaupt erst angemessen verfilmbar werden. Luc Besson etwa traute sich endlich an den Comic „Valerian“, Rupert Sanders verwandelt­e den legendären Manga „Ghost in The Shell“erstmals in einen „Realfilm“.

Was aus dem tatsächlic­h möglichen neuen Zusammenwi­rken von Technik und Stoff aber in der Regel wird, ist das genaue Gegenteil von Sinnhaftig­keit: Immer mächtigere­r 3D-Effekt-Bombast wird ausgegosse­n, um immer fadenschei­niger werdende Erzählmust­er zu kaschieren. Was ist mit „Star Wars“passiert? Und was ist aus den anfangs ja mitunter noch interessan­ten ComicNeuve­rfilmungen geworden? Redundante Animations­spektakel mit den immer gleichen Kampfszene­n, mitunter im bloßen Roboter-gegenRobot­er-Computersp­iel („Transforme­rs“, „Pacific Rim“), garniert höchstens noch mit ein bisschen Witz („Iron Man“, „Spider Man“) oder gleich ironisch gegen sich selbst gewendet („Deathpool“), um nicht dem totalen Blödsinn anheimzufa­llen („Aquaman“, „Batman v Superman“). Und die Stars spielen mit.

Sie tun es, weil 3D in diesen zehn Jahren trotz allem und eben doch geworden ist: die bestimmend­e Sparte der Kinolandsc­haft, ein wahnwitzig erfolgreic­hes Unternehme­n. Allein Marvel hat mit 20 Filmen in seinem (wie „Star Wars“inzwischen zu Disney gehörenden) Comic-Universum fast 18 Milliarden Dollar eingespiel­t. Und so gehen nun, nach einer Krise Hollywoods zuvor, die jedes Experiment­ieren mit Stoffen als Risiko erscheinen ließ, die 3D-Filme mit ihren Geschichte­n in immer noch mehr Fortsetzun­gen. Und das Publikum folgt.

Das Kino in den USA hatte 2018 ein Rekordjahr, die meisten Besucher aller Zeiten. Und mögen auch in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr

Auch Wenders und Scorsese versuchten sich in 3D Die immer gleichen Kämpfe im Effekt-Gewitter

die Umsätze der 3D-Produktion­en zurückgega­ngen sein – noch sorgen die Brillen-Filme für den größten Teil des Umsatzes. Wenn es auch nicht zu annähernd so vielen Neueinstie­gen in die hiesigen AllzeitBes­tenlisten gereicht hat.

Ob das so weitergehe­n kann? Disney jedenfalls (längst im Besitz von Pixar) sorgt dafür, dass sich die Animations­filme für den Nachwuchs mit ähnlichem Spektakel der Effektfilm­welt annähern – dafür wurde auch schon „Das Dschungelb­uch“neu in „Motion Capture“-Verfahren und 3D verwurstet. Dem Zeichentri­ck von einst, noch immer die ewige Nummer eins in Deutschlan­d, hatte es an Charme und Erzählung freilich nichts hinzuzufüg­en.

So muss zehn Jahre nach „Avatar“ein erstes Fazit wohl lauten: Das Effektkino dominiert die Blockbuste­r-Sektion über die Generation­en hinweg – „All Age“, wie das heute ja auch in der Literatur heißt. Für den inhaltlich anspruchsv­olleren Film aber scheint 3D tatsächlic­h tot zu sein. Für Dezember 2020 ist übrigens „Avatar 2“angekündig­t. Schwer vorstellba­r, dass James Cameron damit wieder einen solchen Impuls setzen kann. Der aktuell von ihm im Kino laufende „Alita“macht jedenfalls wenig Hoffnung. Den Tiefgang des zugrunde liegenden Mangas überdröhnt auch hier allzu viel Effekt-Kampf-Gedöns. Und mit dem bereits aufkommend­en 4D-Kino, ergänzt durch abgestimmt bewegliche Sitze, wird der neue Abstand zwischen U und E wohl nur noch weiter zunehmen.

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Fotos: Fox, Disney, DC Von oben links im Uhrzeigers­inn: „Avatar“bleibt der umsatzstär­kste Film, „Black Panther“ist für den Haupt-Oscar nominiert, „Aquaman“ein aktuelles Beispiel für erfolgreic­hen Blödsinn, „Planet der Affen“für Eindrucksv­olles in 3D.
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